Donnerstag, 31. Januar 2013

Überunterirdisches

Was macht man, wenn man einen Text findet, der so genial ist, dass man ihm nichts mehr hinzuzufügen hat? Man übernimmt ihn und nutzt ihn selber. Und man nennt natürlich den Autor des Textes, da es schließlich ihm ganz alleine zu verdanken ist, dass man so einen genialen Text gelesen hat. Stimmts' Herr Guttenberg?
Der folgende Text stammt von Julian Apostatas Blog "Unversöhnlichkeiten" und ist mit Abstand das genialste, was ich bisher zu diesem Thema gelesen habe! Vielen Dank deshalb noch einmal an ihn, dass ich diesen Text nutzen durfte!

 

Überunterirdisches

 
Es gehört auch zur Menschlichkeit, religiöse Gefühle zu verletzen. Die Welt wäre heute ein besserer Ort, wenn in der Geschichte mehr religiöse Gefühle verletzt worden wären, wenn man, anstatt vor dem Heiligen zu verstummen, es in den Dreck gezogen hätte.
Wie hätte ein Gott, der es nicht einmal verträgt, dass man über ihn lacht, die Kraft aufbringen können, eine Welt zu schaffen?

Vielleicht funktioniert die Religion nur deshalb, weil Gott immer schon tot ist. Dass er niemals antwortet und die Gebete erhört, macht gerade seine Zuverlässigkeit aus. Gott ist in seinem Schweigen sehr konsequent, konsequenter als jeder Sterbliche jemals sein könnte. Man weiß, was man hat, wenn man die Hände faltet: ein konsequentes Nichts. Wenn es Gott wirklich gäbe und er also auch zu antworten vermöchte könnte er den Gläubigen widersprechen. Aber würden sie das Wort eines lebendigen Gottes akzeptieren? Wenn er den Gläubigen geböte, nicht mehr an ihn zu glauben? Könnten sie ihm folgen? Wäre sie dazu überhaupt in der Lage? Solange Gott schweigt, kann man aus seinem Schweigen heraushören, was immer man will. Was aber, wenn er mit einer Zunge spräche?

Montag, 28. Januar 2013

Holocaust - Gedenktag



Seit 1996 ist der 27. Januar ein bundesweiter gesetzlicher verankerter Gedenktag für die Opfer des Holocausts. Im Jahr 2005 wurde dieser Tag von der UN sogar zu einem internationalem Gedenktag erklärt. Am 27. Januar 1945 befreite die vorrückende Rote Armee das größte und bekannteste Konzentrationslager des zweiten Weltkrieges: Ausschwitz. Und obwohl die Soldaten das ganze Grauen des Krieges schon erlebt hatte, wurden sie von dem , was sie in Ausschwitz erwartete, tief getroffen. Die Bilder, die dort und in anderen Konzentrationslagern gemacht wurden, müssen nicht beschrieben werden; sie gingen um die ganze Welt und zeigten deutlicher als jede Sprache es könnte, die Grausamkeiten, die dort geschehen waren. Doch diese Befreiung ist nun 72 Jahre her und die Judenverfolgung ist mittlerweile nicht nur in der Schule, sondern auch in den alltäglichen Medien,  ein ständig wiederkehrendes Thema. Aus diesem Grund werden immer häufiger Stimmen laut, die meinen, dass man die Vergangenheit endlich ruhen lassen sollte. Aber kennt man diese Vergangenheit überhaupt gut genug, um sie ruhen zu lassen?

Auf nationaler Ebene betrachtet, dürfte die weitere Erforschung des Holocausts keine überraschenden neuen Erkenntnisse mehr bringen. Die Hauptschuldigen, die bekanntesten unter ihnen, Himmler, Hitler und Heydrich, sind schon längst verurteilt worden. Über sie kann man auch nur noch schwer etwas erzählen, ohne nicht ständig wen anders zu zitieren. Auf nationaler Ebene ist die Aufarbeitung des Verbrechens Holocausts weit vorangeschritten, aber dies darf kein Argument dafür sein, dass man dieses Massaker an den Juden einfach vergisst. Wenn man jedoch anfängt, die nationale Ebene zu verlassen und seinen Blick erst über die einzelnen Bundesländer, dann über die einzelnen Kreise und schließlich über die einzelnen Städte und Dörfer innerhalb der Kreise streifen lässt, wird man feststellen, dass die Aufarbeitung des Holocausts noch lange nicht abgeschlossen ist. Natürlich wurde im Zuge der „Entnazifizierung“ in allen Orten ein kurzes Register aller im nationalsozialistischen Apparat tätigen Personen erstellt, aber Konsequenzen hatten diese Register, vor allem im ländlichen Raum, nur sehr selten. Der Gedenktag ist eine guter Grund dafür, dass man anfängt, sich mit der „braunen Geschichte“ der eigenen Stadt, des eigenen Dorfes vertraut zu machen. Das man seine Großeltern nach ihren Geschichten aus der Zeit während und kurz nach dem zweiten Weltkrieges fragt. Das man anfängt in der Stadtchronik zu blättern und dabei vor allem die Zeit von 1933  - 1950 im Auge hat. Wenn man damit anfängt, wird man häufig sehr schnell feststellen, dass viele Personen, die direkt oder indirekt für die Ermordung von Juden verantwortlichen waren, schon nach kurzer Zeit wieder öffentliche Ämter bekleidet haben. Das viele, die angeblich „entnazifiziert“ waren, wieder in Schulen oder in der Politik tätig waren. Das die Stadt gnadenersuche für Gemeindemitglieder geschrieben hat, die wegen ihrer Tätigkeit in Konzentrationslagern oder in der Waffe-SS inhaftiert wurden. Und er wird vor allem feststellen, dass es noch sehr viele „blinde Flecken“ auf der Landkarte dieser Zeit gibt. Häufig wird er erleben, dass die Frühgeschichte seiner Stadt oder seines Dorfes besser recherchiert ist, als die Zeit des Nationalsozialismus. Wenn dies der Fall ist, dürfte das meist daran liegen, dass man lieber den Opfern gedenkt, als über die Täter und ihre Motivationen nachdenkt.

Natürlich sollte man am Holocaustgedenktag an die Opfer dieses schrecklichen Massenmordes denken. Es wäre aber ein großer Fehler, die Täter dabei völlig zu vergessen. Denn ohne Täter gibt es keine Opfer! Der Holocaust hat die Menschheit gelehrt, dass in (fast) jedem Menschen eine Bestie schlummert, die unter bestimmten Umständen zum Leben erweckt wird und die sämtliche menschlichen Verhaltensweisen abgelegt hat. Viele der grausamsten Tyrannen in den Konzentrationslagern, aber auch innerhalb der SA oder SS wurden von Freunden als „liebevolle Familienväter“ beschrieben. Wenn sie nach dem Krieg im Zuge der Entnazifizierung zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, hieß es auf ihren Grabreden nicht selten, dass „er keiner Fliege etwas zuleide tun konnte“. Natürlich kann man Verblendung hinter diesem Gerede vermute, aber vermutlich steck auch ein kleiner Funke Wahrheit in diesen Sätzen. Kein Mensch ist nur böse, so gerne wir das auch annehmen. Doch sind die Taten, die die meisten dieser Personen begangen haben, zu bestialisch gewesen, um sie mit ihren guten Taten aufzuwiegen.

Ich habe das Gefühl, dass der Holocaust-Gedenktag vor allem von Jugendlichen kaum wahrgenommen wird. Dies ist sehr schade, da gerade junge Menschen häufig einen ganz anderen Zugang zu dem Holocaust und der NS-Zeit haben, als die älteren Generationen. Jugendliche setzen schneller andere Brennpunkte und trauen sich eher, auch die Täter zu betrachten, als es die meisten Erwachsenen tun. Und außerdem liegt es an den Jugendlichen zu verhindern, dass erneut ein Regime entsteht, dass Millionen von Menschen aufgrund ideologischer Verblendung ermordet. Denn die Personen, die heute noch den Opfern gedenken, werden in absehbarer Zeit nicht mehr da sein, um so einen Wahnsinn zu verhindern! 

Der Mensch ist des menschen Wolf!

(nach Titus Maccius Plautus/Thomas Hobbes)

Donnerstag, 17. Januar 2013

Abschied einer Prinzessin



Sie möchte noch einmal mit dir Sprechen“, dieser Satz trieb ihn den gesamten Weg bis zum Krankhaus um. Eine ihrer Freundinnen kam heute in der Schule kurz auf ihn zu, sprach ihn aus und verschwand gleich darauf wieder mit ihrer Clique in dem munteren Gewusel des Pausenhofes. Keine Worte der Erklärung, keine Beschreibung der Situation; nichts, was einem die Angst nahm. Schweigend stieg der die Treppen hinauf, schlängelte sich an anderen Besuchern, medizinischem Personal oder Patienten vorbei. In seinem Kopf herrschte vollkommene Leere; eine Leere, wie sie wahrscheinlich sonst nur Gefangene in dem Moment vor ihrer Hinrichtung empfinden. Stur auf den Boden guckend folgte er den langen Fluren der Stationen, bis er vor einer Tür stehen bleiben musste. Rechts neben der Tür, ungefähr auf Hüfthöhe war ein Schalter angebracht, den er bei seinem ersten Besuch für einen Lichtschalter gehalten hatte. Jetzt wusste er es besser und drücke ihn, in der Hoffnung, dass jemand sein Klingeln hörte. Eine Weile geschah nichts und er begann auf seinen Fußsohlen zu wippen. Unfähig den Blick zu heben beobachtete er genauestens, an welcher Stelle sein Schuh knickte; die Stelle schien mit jedem Wippen ein wenig zu wandern. Dann hörte er schlurfende Schritte und jemand öffnete ihm die Tür. „Guten Tag Jochanan! Willst du Fenja wieder besuchen?“ Nun war er gezwungen aufzuschauen. Es kostete ihn einiges an Kraft und als er diese aufgebracht hatte, starrte er in ein bekanntes Gesicht, dass ihm heute ein wenig zu fröhlich vorkam. Ihm war nicht entgangen, dass das „wieder“ eher wie ein „noch einmal“ klang und ärgerte sich deshalb über den gut gelaunten Gesichtsausdruck des Mannes. Der Junge machte einen Schritt in die Station. „Ja“. Obwohl ihm nicht nach Reden war konnte er seinen Blick nicht von dem Gesicht des Mannes lösen. Er sah alt aus, so alt, als ob man ihm vor zwanzig Jahren vergessen hatte zu sagen, dass er in Rente gehen kann. Die Falten unter seinen Augen verliehen ihm ein Aussehen, dass Jochanan ein wenig an einen Kobold erinnert. Die weißen, buschigen Augenbrauen wackelten beim Sprechen mit, als wollten sie jedes Wort noch besonders unterstreichen. Das schlohweiße Haar reichte gerade so aus um seinen Kopf zu bedecken und es war abzusehen, wann er seine Haare auch mit geschicktestem Kämmen nicht mehr über den gesamten Kopf verteilen konnte. Seine Augen standen jedoch im krassen Gegensatz zu seinen restlichen Gesichtszügen. Sie sprangen, wie kleine Kobolde, die ums Feuer tanzen, in ihren Höhlen umher und strahlten eine unheimliche, jugendliche Energie aus. Doch irgendwie meinte der Junge einen ganz kleinen Schatten in ihnen feststellen zu können, der ausschließlich ihm galt. Vielleicht war er heute aber auch einfach übersensibilisiert. „Gleiche Zimmer?“ frage Jochanan. Der alte Man nickte fast unmerklich, wies mit seiner Hand auf die entsprechende Tür und ging noch schweigend mit dem Jungen mit. Als dieser die Hand auf die Türklinge legte, spürte er auf einmal die Hand des alten Mannes auf seiner Schulter. Er drehte seinen Kopf seinen Kopf ein wenig und schaute dem Mann direkt in die Augen. „Du kennst die Regeln. Halt dich an sie….“ er drehte sein Gesicht weg und ließ seine Stimme fast mit den sonstigen Geräuschen auf der Station verschmelzen , „vielleicht zum letzten Mal.“ Der Schatten in seinen Augen schien für einen kurzen Augenblick den gesamten Glanz der Augen zu überdecken, dann wand sich der alte Mann ab und ging pfeifend zu einem anderen Zimmer. Jochanan fühlte eine wie ein Teil seiner Selbst vor den letzten Worten des Mannes erzitterte; sein rationales Ich ließ sich von diesen Worten jedoch nicht beeindrucken, es wusste es schon lange. Trotzdem zitterte seine Hand, als er an die Tür klopfte. Wieder musste er sich zwingen, nicht auf den Boden zu schauen. Das kurze Gespräch mit dem alten Krankenpfleger hatte ihn stärker getroffen, als er sich eingestehen wollte. Er wartete noch einen kurzen Augenblick, hörte keine Reaktion auf sein Klopfen, und trat einfach ein.
  
Jochanan machte zwei leise Schritte in das Zimmer und zog die Tür leise hinter sich zu. Noch bevor er den Raum überhaupt richtig wahrgenommen hatte, senke er seinen Blick schon wieder und starrte auf das gelbe Linoleum des Bodens. „Hallo.“ Seine Stimmbänder schienen auf einmal verrostet und seine Lungen alt und verbraucht zu sein. Trotzdem wurde seine mehr geflüsterte als gesprochene Begrüßung gehört. „Hallo!“ Die Stimme war sehr leise, aber dennoch schwang eine besondere Energie in ihr mit. Eine Art von Energie, die ihn schon immer fasziniert hatte. „Was siehst du?“ Er schwieg und probierte die Augen vom Boden zu lösen, doch das Gelb schien eine ganz besonders anziehende Wirkung auf seine Augen zu haben. Jochanan seufzte, schloss die Augen und richtete den Blick hinter seinen geschlossenen Liedern geradeaus; ungefähr dahin, wo er das Bett vermutete. „ Ich sehe ein Mädchen mit einem etwas blassen Gesicht und leicht rötlichen Wangen. Das rot ihrer Wangen harmoniert perfekt mit dem ihrer Lippen. Ihr Mund wird von einem feinen Lächeln umspielt, für das nur sie den Grund kennt, doch wirkt ihr Gesicht insgesamt ein wenig traurig und nachdenklich. Die kastanienbraunen Augen wirken verträumt, aber sie saugen jedes kleine Detail einer Person oder eines Gegenstandes auf und analysieren es. Als Betrachter dieser Augen hat man das Gefühl in sie hinein zu fallen…“, er machte eine kurze Pause und musste sich räuspern, „ …von ihnen verschluckt zu werden. Der Kopf des Mädchens liegt auf einem weißen Kissen und ihre dunkelblonden Haare liegen wie eine Korona um ihren Kopf herum. Der Rest ihres Körpers ist unter einen weißen Decke verborgen nur ihr rechter Arm, der auf ihrem Bauch liegt, schaut hervor.“ Er schaffte es nicht die Augen zu öffnen und senkte nach seinen letzten Worten den Kopf wieder. Eine silbrige Stille entstand in dem Zimmer; nur durchbrochen von einem leisen Piepen irgend eines Gerätes. „Lügner, du hattest deine Augen doch gar nicht offen!“ Die Stimme klang schwach  und kraftlos, als ob sie schon einen weiten Weg zurückgelegt hätte, bevor sie seine Ohren erreichte. Trotzdem schwang in ihr ein weit entferntes Echo ihres Lachens mit, dass dennoch lebendig und fröhlich klang. Jochanan zögerte kurz bevor er antwortete. Wenn er jetzt anfing zu reden, würde er ihr etwas sagen, was er ihr noch nie gesagt hatte. Aber spielte das überhaupt noch eine Rolle? Vielleicht für eine Woche, vielleicht aber nur noch für einen Tag. Er musste jetzt wirklich nicht mehr  jede seiner Taten kontrollieren. „ Du hast mich gefragt, was ich sehe, also nach meinem inneren Bild von dir. Dieses Bild ist vollkommen unabhängig davon ob du da bist oder nicht…“, sein Mund war auf einmal trockener als die Sahara, er hatte kurz die irrige Vorstellung, dass er bei jedem seiner Worte aus dem Mund staubte. Doch er schaffte es, seinen Satz fortzusetzen „… oder ob du gesund bist oder nicht. Diese Bild wird niemals von der Realität beeinträchtig!“ Wieder benötigte er eine kurze Pause. „ Von daher habe ich dir wahrheitsgemäß beantwortet.“ Er probierte irgendwie seine Augen zu öffnen, aber seine Augenlieder schienen mit dem Rest des Gesichtes verwachsen zu sein.

„ Du bist und bleibst komisch.“ Die Betonung der Worte verriet, dass sie mit den Augen rollte . „Dann sag mir mal, was wie die Realität aussieht.“ Jochanan schaute auf, die Augen immer noch geschlossen, und atmete tief ein. Dann konzentrierte er sich auf das Ausatmen und riss in einem Kraftakt seine Augen auf. Im ersten Augenblick schien er an der plötzlichen visuellen Flut zu ertrinken, dann nahm er endlich wieder klar wahr. „Na los, erzähl es mir“, forderte Fenja ihn auf. Jochanan setzte an und seine Stimme schien in einem Augenblick um 70 Jahre gealtert zu sein „ Ich sehe eine junge Frau mit einem sehr blassen, eigentlich eher elfenbleichen Gesicht. Das rötliche  ihrer Wangen war fast vollständig verschwunden und die restliche Farbe lässt ihr Gesicht fiebrig und krank aussehen. Ihr Lippen sind schmal und spröde. Der Kopf ist von einem Kopftuch bedeckt, dass in den Farben des Regenbogens leuchtet; von ihrer einstmals stolzen Haarpracht ist ihr offensichtlich nichts mehr geblieben. Auch ihre Augenbrauen fehlen, die dem Gesicht sonst einen sehr verträumten Ton gegeben haben. Die beiden Arme, die sie über ihrem Bauch gefaltet hat, sind sehr dünn; die Haut an ihnen wirkt wie Pergament. Ihre Hände scheinen nur noch aus Knochen zu bestehen; sie erinnern eher an die eines Skelettes als an die eines Menschen.“ Jochanans Stimme verlor sich in dem einsamen Piepsen irgend einer Apparatur. Er musste mehrmals kräftig blinzeln um wieder klar sehen zu können. Fenja hatte sich inzwischen in ihrem Bett aufgerichtet und schaute ihn ein wenig verwirrt an. Jochanan sah in ihre Augen, musste nochmals kräftig blinzeln und räusperte sich. „ Aber ihre Augen tragen immer noch das selbe Leuchten, die selbe Energie, das selbe Strahlen in sich wie die des Mädchens in meinem inneren Bild.“ Fenja lächelte; es war ein ehrliches und lebendiges Lächeln, dass im krassen Gegensatz zu ihrem verbrauchten Körper stand. „Und auch ihr Lächeln hat sich nicht verändert. Sie ist eben doch ein Geistwesen, dass sich nicht von ein wenig körperlichen Verfall aufhalten lässt.“ Das Lächeln auf Fenjas Gesicht verbreiterte sich noch ein wenig, es füllte ihr gesamtes Gesicht aus und für einen kurzen Augenblick überstrahlte die Krankheit. Für einen kurzen Augenblick sah sie wieder aus wie vor einem Jahr; vor zwei Jahren; vor einer Ewigkeit; in einer Ewigkeit.

Zeitfremde Schönheit!

Der Gedanke zauberte Jochanan ein Lächeln ins Gesicht. Fenja rückte in ihrem Bett noch ein wenig weiter nach oben und wischte damit dieses Lächeln wieder weg, verbannte diesen Gedanken aus dem Reich der Lebenden in das Reich der Lyrik. Ihr Körper war noch eingefallener als er das auf den ersten Blick bemerkt hatte, ihre Knochen wirkten fast wie Fremdkörper unter ihrer papierartigen Haut. Jede ihrer Bewegungen schien ein Kraftakt zu sein, zu dem sie nicht mehr lange im Stande zu sein schien. Fenja sah ihn wieder an und es schien, als ob sie Jochanans Gedanken gehört hätte. „Nimm dir einen Stuhl und setz dich. Du siehst gerade bleicher aus als ich!“ Jochanan sah sich in dem Zimmer um, sah, dass ein Stuhl direkt neben ihrem Bett stand und setzte sich. „Du hast meinen Zustand ziemlich treffend beschrieben“. Sie seufzte, betrachtete ihre Handflächen, versank für einen kurzen Moment in Trance. „Aber du hast von mir als „junge Frau“, in der dritten Person, gesprochen. Warum?“ Ein kurzer Blick auf Jochanan verriet Fenja, dass er um Worten, um Fassung rang. „Du kannst dieses Bild von mir, diesen toten Körper nicht akzeptieren, oder? Du konntest die Distanz und das ständige Auf und Ab akzeptieren. Aber da wusstest du, dass ich noch physisch vorhanden bin; noch lebe. Du bist ein Kämpfer. Diesen endgültigen Verlust kannst du nicht akzeptieren.“  Die letzen beiden Sätze waren eine Feststellung, und Jochanan litt unter dem Bewusstsein, dass sie recht hatte. Er sah ihr in die Augen; für einen kurzen Moment schien die Luft zu vibrieren, dann senkte er wieder seinen Kopf. „Es hatte nicht sein sollen.“ Sie ließ diese Worte im Raum stehen; gab keine Interpretationshilfe.

 Er wusste genau, auf was sie anspielte; er hatte keinen blassen Schimmer, wovon sie redete. Er wollte nicht darüber nachdenken; musste darüber nachdenken.

Fenja ließ ihren Blick auf Jochanan ruhen. Er hatte sein rechtes Bein über sein linkes geschlagen, die Arme darüber verschränkt und seinen Kopf darauf gelegt. Zwar konnte sie sein Gesicht so nicht mehr erkennen, aber sie kannte ihn schon zu lange, als dass er ihr verheimlichen konnte, was in ihm Vorging. Seelenverwandtschaft. Geschwister im Geiste. So hatte er das genannt, was sie verband; was alles, was sie trennte, überwand und sie trotzdem auf Distanz hielt. „Ich wollte dich sprechen, weil ich Angst habe. Angst vor dieser Straße ins Nichts, auf der ich mich befinde.“ Die Worte flossen einfach aus ihrem Mund, als ob sie in Fenjas Inneren schon lange auf ihren Auftritt gewartet hatte. „ Ich habe Angst vor dem vergessen werden und Angst vor der ewigen Finsternis. Außerdem hätte ich ein schlechtes Gewissen, dich, nachdem du mich eigentlich immer begleitet hast“, Jochanan war sich der ambivalenten Bedeutung von „immer begleitet“ durchaus bewusst; es schmerzte ihn umso mehr, als er diese Ambivalenz auch aus ihrer Stimme hören konnte, „einfach so gehen zu lassen.“ Jochanan hob seinen Kopf und schaute auf ihre Hände. „Ich könnte jetzt anfangen darüber zu reden, dass du keine Angst haben musst. Dass alles wieder gut wird. Das noch nichts verloren ist.“ Er schüttelte einmal kurz seinen Kopf. „Wir wissen beide, dass das nicht stimmen würde.“ Fenja sah ihn interessiert an. „Die Angst kann ich dir nicht nehmen. Aber ich kann dir ein kleines gedankliches Licht geben, das dir deinen Weg hoffentlich etwas erleichtert.“ Jochanan setzte sich wieder gerade hin und sah knapp an Fenjas Gesicht vorbei, schaute aus dem Fenster des Zimmers, in das angenehme Licht der Sonne. Er ließ eine kurze Pause entstehen. „Du bist ein „Geistwesen“, ein Mensch, dessen Ideen und Gedanken die Ausstrahlung des Körpers weit in den Hintergrund drängen. Deine Gedanken haben das Leben von verschiedenen Menschen,“ zumindest von einem, dachte Jochanan bitter, verändert, verschönert. Du kannst also gar nicht vollständig verschwinden, denn du bist zumindest in der Vergangenheit, und sicherlich auch in der Zukunft vieler Personen verankert. Dein geistiger Einfluss wird weiter wirken, denn für den brauchte es deinen Körper nicht.“ Es entstand eine kleine Pause und Jochanan bemerkte, dass es Fenja zunehmend schwerfiel sich zu konzentrieren. Vermutlich Morphium… hoch dosiert, sagte die leise, aber bestimmte Stimme seines rationalen Ichs. Wissend, was diese Vermutung bedeutet; wissend, dass er das nicht wissen wollte. „ Du gehst dahin“, er zeigte aus dem Fenster in den mit Schäfchenwolken getupften Himmel, „du gehst…“ Jochanan musste schlucken, die Worte weigerten sich aus seinem Mund zu kommen. „Du gehst für immer. Aber dein Geist bleibt hier erhalten. Ich gehe dorthin“ er deutete auf die Tür des Zimmers, „ und ich verlieren meinen Weg.“ Er hob hilflos die Arme und suchte den Blick von Fenja. „Ich denke, ich war keine große Hilfe“. Fenja spielte mit einer Franse aus ihre Kopftuch. „Ich weiß jetzt immerhin, dass es nicht an mir liegt, mit meiner Situation überfordert zu sein. Und irgendwie beruhigt mich die Vorstellung, bleibend zu sein. Nicht vollkommen zu verschwinden.“ Es machte ihr sichtbar Mühe zu sprechen und ihre ganze Körperhaltung signalisierte ihr Bedürfnis nach Ruhe. Jochanan wollte sie darauf ansprechen, aber sie wusste, was er sagen wollte und kam ihm zuvor. „ Ich bin müde, viel zu müde. Danke, dass du gekommen bist, aber ich brauche wieder Ruhe.“ Einen kurzen Augenblick sahen sie beide am Gesicht des anderen vorbei, dann brachte Fenja die nötige Energie für den letzten Satz auf. „ Ich hoffe, wir sehen uns wieder…“

Jochanan glaubte, einen kleine Träne zu sehen, die langsam ihre Wange hinunterlief. Er wand seinen Blick schnell ab. Dann stand er von seinem Stuhl auf und kniete sich neben das Bett. Den verwunderten Ausdruck auf Fenjas Gesicht ignorierend, nahm er vorsichtig ihre rechte Hand, senke seinen Kopf und berührte vorsichtig mit seinen Lippen die pergamentartige Haut. Dann legte er ihre Hand wieder auf das Bett, verharrte noch einen kurzen Moment kniend und stand auf. Als er das große Fragezeichen in Fenjas Gesicht sah, musste er unwillkürlich grinsen. „ So hat man sich früher von schönen adligen Damen verabschiedet!“ Für einen kurzen Augenblick verschwand die Krankheit völlig aus Fenjas Gesicht und ihr Grinsen hatte den selben Glanz wie vor einer gefühlten Ewigkeit. „Du bist und bleibst ein Spinner. Bitte bleib so!“ Der Moment verging und das Gesicht verwandelte sich wieder in eine Totenmaske, aber das Lächeln auf ihrem Mund blieb. Jochanan ging zur Tür und schaute noch einmal zurück. Fenjas Kopf lag wieder auf dem Kissen, sie starrte an die Decke des Zimmers. Du wirst immer leben, immer leben, immer leben, riefen die Stimmen in seinem Kopf. Die Türklinke schien auf einmal verrostet zu sein und als sie dann endlich unter seinem Druck nachgab, versagten ihm seine Beine den Dienst. Er stolperte durch die Tür auf den Flur und sackte an der Wand zu Boden. „Frühestens wenn mein EEG eine Nulllinie zeigt, wirst du, wird dein Name, dein Charakter in Vergessenheit geraten.“ Dann raffte sich Jochanan wieder auf und stolperte den Flur entlang, die ganze Zeit etwas vor sich hin flüsternd. Nur wer genau hinhörte, verstand seine Worte. „Ich wollte, ich könnte tauschen.“

Mittwoch, 9. Januar 2013

Die diktatorischen Demokraten



Es sollte eine besondere Kulturreise werden, doch dann geriet euer Flugzeug in einen schweren Sturm. Den Flugzeugabsturz habt ihr knapp überlebt, aber es gibt verletzte unter euch. Ihr seid auf einer Insel gelandet, die alles bietet, was man zum überleben benötigt. Instinktiv wisst ihr, dass ihr nicht mehr von dieser Insel fliehen könnt.
Arbeitsauftrag: Erarbeite ein Gesellschaftsvertrag für eure Gruppe, der ein vernünftige Verfassung darstellt und krisenfest ist.

Die meisten Schüler, die Sozialwissenschaften hatten, werden wenigstens einmal eine Aufgabe in dieser Form bekommen haben. Meist werden die Gesellschaftsverträge dann in Gruppenarbeit erarbeitet und man hat unter Umständen sogar noch ein paar Hilfe, die auf die wichtigsten Probleme einer jeden Gesellschaft hinweisen. Man fängt also an einen Gesellschaftvertrag zu erstellen und stellt meist fest, dass es doch ein wenig schwieriger ist als anfangs erwartet. Doch dank der guten Grundausbildung, die man als Schüler in Sachen Sozialwissenschaften erhält, wird doch sicherlich ein annehmbarer Vertrag am Ende dabei herauskommen. Oder etwa nicht?

Im SoWi – Unterricht sind die meisten Schüler normalerweise davon überzeugt, dass die Demokratie das beste Herrschaftssystem ist, dass man sich momentan denken kann. Wenn man über die Herrschaftssysteme in anderen Staaten diskutiert werden die meisten ziemlich schnell darauf aufmerksam machen, wenn dort die Gewaltenteilung oder andere demokratische Strukturen fehlen. Auch das eigene System wird gerne kritisch beleuchtet und das Fehlen einer vollständigen Gewaltenteilung in Deutschland ist ein Thema, dass auch gerne mal zu heftiger Kritik an unserem System führt. Aus diesen Erfahrungen heraus denkt man also, dass die Schüler in dem Kurs echte Demokraten sind und die Gesellschaftsverträge dementsprechend auch demokratischer Natur sein werden. Wenn die Verträge dann aber vorgestellt werden, wird man schnell feststellen, dass man sich getäuscht hat.
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nteressanterweise sind die Mehrzahl der Verträge echte Diktaturen, ohne Gewaltenteilung, mit nur sehr eingeschränktem Mitspracherecht des Volkes und einem nahezu unangreifbaren Diktator als Führer. Als Argument für diese Art der Regierung wird meist genannt, dass doch einer führen muss, es würde schließlich auch in unserem Staat eine Person führen. Bei diesen Antworten kann man nur inständig hoffen, dass lediglich ein vorrübergehender Defekt im Gehirn des Gegenübers für diesen Satz zuständig ist. Es ist natürlich noch nicht allzu lange her, dass bei uns das „Führerprinzip“ galt und es haben vielleicht noch nicht alle mitbekommen, dass dieses Prinzip mittlerweile durch eine Demokratie ersetzt wurde. Dass die Entscheidungen der Bundesregierung nicht alleine von Frau Merkel kommen, sondern dass sie im Rahmen eines ziemlich langatmigen Prozesses entstanden sind, sollte eigentlich allgemein bekannt sein. Wozu gibt es sonst die unzähligen Landeskammern, die Ausschüsse, Kommissionen und Expertengremien? Eigentlich sollte man spätestens in der Oberstufe ungefähr darüber Bescheid wissen, wie politische Entscheidungen gefällt werden. Wenn man die Personen, die ihren Gesellschaftsvertrag diktatorisch gestaltet haben, besser kennt, fällt einem jedoch sehr häufig auf, dass sie sehr wohl wissen, wie man auf demokratische Art und Weise zu einer Lösung für verschiedenen Probleme kommt. Sie wählen meist sehr bewusst einen anderen Weg, da ihnen die schwierige Entscheidungsfindungen innerhalb einer Demokratie häufig einfach viel zu lange dauern. Wer den Film die Welle gesehen hat, erinnert sich vielleicht noch an die Frage, die Reinhard Wenger, ein Gymnasiallehrer und die Hauptperson des Films, zu Beginn des Filmes seinen Schülern stellte: „Ihr seid also der Meinung, dass die Diktatur in Deutschland nicht mehr möglich wäre?“ Die Schüler meinten alle, dass so etwas nicht mehr möglich sei, da sie zu aufgeklärt wären. Das darauffolgende Experiment lehrte sie in nur fünf Tage etwas anderes.

Der Film mag in einigen Bereichen etwas überzeichnet und in anderen ein wenig unlogisch sein, aber seine Kernaussage ist vollkommen richtig. Auch in unserem System könnte jederzeit eine Diktatur entstehen, es bräuchte nur die richtigen Leute zur richtigen Zeit an den richtigen Stellen. Die latente Bereitschaft, in so einem System mitzuwirken, bringt ein großer Teil der heutigen Jugend mit. Würde eine redegewandte Person, die auch noch gut aussieht und über ein wenig Charisma verfügt heute die Bühne der Politik betreten und diktatorische Ideen vermitteln, würde sie nach nicht allzu langer Zeit wahrscheinlich am Ziel ihrer Pläne sein. Diktaturen sind schließlich sehr bequem, solange man selber Nutznießer ist. Sie arbeiten häufig effektiver und schneller als Demokratien und sind oft auch in der Lage, einen gewissen nationalen Stolz zu wecken. Sie bieten also eigentlich alles, was eine attraktive Regierungsform benötigt.

Ich persönlich hoffe einfach, dass nie einer der Personen, die in dem Planspiel eine Diktatur entworfen hat, jemals in die Politik geht und dort Einfluss bekommt. Zwar gibt es viele Bereiche, in denen eine Demokratie einer Diktatur unterlegen ist, aber es gibt einen Bereich, in dem die Demokratie allein aufgrund ihrer Struktur überlegen ist: Das freie Selbstbestimmungsrecht der Bürger! Und dieses Recht ist so wertvoll, dass man es verteidigen sollte und dass man dafür auch die langen Diskussionen in einer Demokratie ertragen kann. Denn ein Leben in Freiheit möchte wahrscheinlich keiner missen. Vielleicht sollte man genau dies nochmal all den Personen ins Gedächtnis rufen, die eine Diktatur bevorzugt haben. Hoffentlich werden sie dann aufwachen und erkennen, dass manchmal der einfachste Weg nicht der beste ist! 

Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - 
abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind 
(Winston Churchill)

Montag, 7. Januar 2013

Die EEG-Umlage und ihre Folgen



In den letzten Tagen geisterte die Meldung, dass die Verbraucher für das Jahr 2012 nun fast 17 Milliarden Euro für Strom aus erneuerbaren Energien bezahlt haben, durch die Presse. Das entspricht zwar ziemlich exakt den 16,61 Milliarden, die die Bundesnetzagentur schon im Oktober 2011 für das Jahr 2012 prognostiziert haben, aber das muss der Leser schließlich nicht wissen. Die Kommentare, die dann unter den Artikel standen waren natürlich weitestgehend gegen die Einspeisung von „Öko-Strom“ in das Stromnetz. Gerne wurde dann noch süffisant auf den Anstieg der EEG-Umlage von 3,5 Cent im Jahr 2012 auf 5,3 Cent für das Jahr 2013 hingewiesen, meist mit der Schlussfolgerung, dass der Strom in Deutschland in spätestens 10 Jahren nicht mehr zu bezahlen ist. Auf den ersten Blick scheint dies der Fall zu sein, da die EEG-Umlage bis jetzt jedes Jahr anstieg und der Ausbau der erneuerbaren Energien noch lange nicht beendet ist. Wenn man sich aber ein wenig mit der Materie vertraut macht, sieht der Sachverhalt auf einmal fundamental anders aus.

Der ziemlich heftige Anstieg der EEG-Umlage um ca. 45 % lässt zu einem sehr großen Teil einfach darauf zurückführen, dass die Bundesregierung 2012 weitere Ausnahmeregeln beschlossen hat, die bestimmte Betriebe weitestgehend von der Zahlung der EEG-Umlage befreien. Die Unternehmen, die diese Umlage kaum noch zahlen müssen, sogenannte „privilegierte Unternehmen“, haben 2012 ca. 18% des Stroms verbraucht, aber nur 0,3% der EEG-Umlage getragen. Dieses krasse Missverhältnis hat Deutschland im Juli 2012 auch ein Beihilfeverfahren der EU-Kommission eingebracht, da diese hier eine eindeutige Wettbewerbsverzerrung sieht. Ein „privilegiertes Unternehmen“ wird man einfach dadurch, dass man sehr viel Energie verbraucht. Anstatt bei diesen Unternehmen einen Anreiz zur Senkung des Energieverbrauches zu setzten, belohnt man sie sogar noch dafür, dass sie viel Energie verbrauchen. Dies geschieht natürlich im Namen der „Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Industrie“ und deshalb ist eine eventuelle Änderung dieser Regelungen auch von vornherein indiskutabel. Das dank diesem Verfahren viele Mittelständler, die auch viel Energie verbrauchen, aber nicht den Status eines „privilegierten Unternehmen“ erreichen, durch die höheren Energiekosten benachteiligt werden, ist anscheinend egal. Es scheint in diesem Fall eine eindeutige Klienten - Politik zugunsten der Großunternehmen stattzufinden. Würden alle Stromabnehmer gleichmäßig belastet, könnte die EEG-Umlage sogar auf ca. 3 ct/kWh abgesenkt werden. Das ist deutlich weniger, als die letzten zwei Jahre bezahlt wurde. Die Mär des teuren „Öko-Stroms“ wird also vor allem durch die vielen „privilegierten Unternehmen“ erzeugt, die zwar von den gesunkenen Strompreisen profitieren, aber dem Rest der Republik höhere Kosten hinterlassen.

Gesunkenen Strompreise? In den ersten drei Quartalen des Jahres 2012 lag der Strompreis an der Leipziger Strombörse bei 4,3 Cent, im Vorjahreszeitraum waren es aber noch 5,1 Cent. Würden die Stromversorger ihre gesunkenen Einkaufskosten an die Stromabnehmer weitergeben, so würde der Strom ca. 2 ct/kWh weniger kosten. Anstatt einer geringen Stromrechnung mussten Privatverbraucher aber seit 2008 ca. 20 % mehr für ihren Strom zahlen. Industriekunden konnten sich in diesem Zeitraum hingegen über eine Senkung des Strompreises um 3 % freuen. Strom wird durch die erneuerbaren Energien also nicht teurer, sondern billiger; es profitieren aber dank vielen verschiedenen Regelungen fast nur große Unternehmen davon. Wenn die Politik endlich vernünftige Anreize für die Stromversorger, Netzbetreiber und Großunternehmen setzten würde, die Energiewende zu unterstützen, wären wir  wahrscheinlich schon um einiges weiter. Aber solange es für die freie Wirtschaft billiger ist, nichts zu ändern, wird sich auch nichts ändern. Und es hat auch den Anschein, als ob viele Privatverbraucher in Deutschland nicht großartig an einer Änderung der aktuellen Situation interessiert sind. Man bekommt im Moment immer wieder den Eindruck, als ob viele Personen gerne sämtliche Atomkraftwerke wieder ans Netz nehmen möchten und dafür alle Windräder, Solaranlagen und das ganze andere „grüne Gewäsch“ wieder demontieren wollen. Meist begründen sie dies mit den riesigen Kosten, die im Zuge der Umstellung noch auf uns zukommen werden. Und in diesem Punkt stimme kann man den Kritikern auch voll und ganz zustimmen.

Die Förderung der Energiewende wird Deutschland noch einige Milliarden kosten, die, direkt oder indirekt, vom Steuerzahler finanziert werden müssen. Lohnt sich das überhaupt? Wer gerne mit Zahlen spielt, kann die Kosten der erneuerbaren Energien einmal mit den Kosten der Atomenergie, der angeblich billigsten Energie, vergleichen. Das Ergebnis wird einen wahrscheinlich zum Nachdenken anregen. Bis heute wurde die Atomenergie mit 204 Milliarden Euro subventioniert. Bis zum Ausstieg werden wahrscheinlich weitere 100 Milliarden dazukommen. Die Kosten der EEG-Umlage mit etwas mehr als 17 Milliarden in diesem Jahr und einer insgesamt sinkenden Tendenz nehmen sich geradezu klein dagegen aus. Eine Kilowattstunde Atomstrom wird vom Staat mit 4,3 ct/kWh subventioniert, das ist deutlich mehr, als die EEG-Umlage bis 2012 und nur ein wenig weniger im Vergleich zur EEG-Umlage 2013. In diesem Kosten sind die Kosten für die Entsorgung des Atommülls, den hunderttausendjährigen Betrieb von Endlagern und die unversicherbaren Risiken noch nicht mit einkalkuliert. Wenn man sich also über teure Energie beschweren möchte, sollte man vielleicht bei der Atomenergie anfangen. Danach kann man sich dann guten Gewissens auf den „Öko-Strom“ stürzen.

Es gibt einen Punkt in dieser gesamten Debatte, der mich persönlich immer wieder sehr betroffen macht. Es wird über Kosten, wirtschaftliche Risiken und die Notwendigkeit von „Öko-Strom“ gestritten, aber es redet niemand über die langfristigen Aussichten. Auf lange Sicht werden Öl und Gas zu knapp sein, um aus ihnen noch Strom produzieren zu können und Atomkraft ist aufgrund des viel zu großen immanenten Sicherheitsrisikos auch nicht tragbar. In Zukunft werden alle Staaten der Welt auf erneuerbare Energien umsteigen müssen, oder sie lernen vollständig ohne Strom zu leben. Solange wir noch problemlos über Strom aus fossilen Energieträgern verfügen, sollten wir die Chance nutzen, unser System vollständig auf regenerative Energien umzustellen. Fangen wir damit erst an, wenn das System zu kippen beginnt, werden wir mit großer Sicherheit diese Herausforderung nicht mehr bestehen. Legen wir jetzt den Grundstein für eine Energieversorgung aus regenerativen Energien, haben die nachfolgenden Generationen immerhin eine Chance auch in Zukunft noch über Strom zu verfügen. Aber da die Zukunft anscheinend keinen interessiert, bleibt es beim Bitten und Bangen ob die Energiewende vollständig ablaufen wird. Solange wir jedoch von fossilen Energieträgern abhängig sind, sind unsere Überlebenschancen in der Zukunft Fall eher gering.  

Erst kommt die Katastrophe, dann die Einsicht - 
Zu spät!