Seit 1996 ist der 27. Januar ein bundesweiter gesetzlicher verankerter
Gedenktag für die Opfer des Holocausts. Im Jahr 2005 wurde dieser Tag von der
UN sogar zu einem internationalem Gedenktag erklärt. Am 27. Januar 1945
befreite die vorrückende Rote Armee das größte und bekannteste
Konzentrationslager des zweiten Weltkrieges: Ausschwitz. Und obwohl die
Soldaten das ganze Grauen des Krieges schon erlebt hatte, wurden sie von dem ,
was sie in Ausschwitz erwartete, tief getroffen. Die Bilder, die dort und in
anderen Konzentrationslagern gemacht wurden, müssen nicht beschrieben werden;
sie gingen um die ganze Welt und zeigten deutlicher als jede Sprache es könnte,
die Grausamkeiten, die dort geschehen waren. Doch diese Befreiung ist nun 72
Jahre her und die Judenverfolgung ist mittlerweile nicht nur in der Schule,
sondern auch in den alltäglichen Medien,
ein ständig wiederkehrendes Thema. Aus diesem Grund werden immer
häufiger Stimmen laut, die meinen, dass man die Vergangenheit endlich ruhen
lassen sollte. Aber kennt man diese Vergangenheit überhaupt gut genug, um sie
ruhen zu lassen?
Auf nationaler Ebene betrachtet, dürfte die weitere Erforschung des
Holocausts keine überraschenden neuen Erkenntnisse mehr bringen. Die Hauptschuldigen,
die bekanntesten unter ihnen, Himmler, Hitler und Heydrich, sind schon längst
verurteilt worden. Über sie kann man auch nur noch schwer etwas erzählen, ohne
nicht ständig wen anders zu zitieren. Auf nationaler Ebene ist die Aufarbeitung
des Verbrechens Holocausts weit vorangeschritten, aber dies darf kein Argument
dafür sein, dass man dieses Massaker an den Juden einfach vergisst. Wenn man
jedoch anfängt, die nationale Ebene zu verlassen und seinen Blick erst über die
einzelnen Bundesländer, dann über die einzelnen Kreise und schließlich über die
einzelnen Städte und Dörfer innerhalb der Kreise streifen lässt, wird man
feststellen, dass die Aufarbeitung des Holocausts noch lange nicht
abgeschlossen ist. Natürlich wurde im Zuge der „Entnazifizierung“ in allen
Orten ein kurzes Register aller im nationalsozialistischen Apparat tätigen
Personen erstellt, aber Konsequenzen hatten diese Register, vor allem im
ländlichen Raum, nur sehr selten. Der Gedenktag ist eine guter Grund dafür,
dass man anfängt, sich mit der „braunen Geschichte“ der eigenen Stadt, des
eigenen Dorfes vertraut zu machen. Das man seine Großeltern nach ihren
Geschichten aus der Zeit während und kurz nach dem zweiten Weltkrieges fragt.
Das man anfängt in der Stadtchronik zu blättern und dabei vor allem die Zeit
von 1933 - 1950 im Auge hat. Wenn man
damit anfängt, wird man häufig sehr schnell feststellen, dass viele Personen,
die direkt oder indirekt für die Ermordung von Juden verantwortlichen waren,
schon nach kurzer Zeit wieder öffentliche Ämter bekleidet haben. Das viele, die
angeblich „entnazifiziert“ waren, wieder in Schulen oder in der Politik tätig
waren. Das die Stadt gnadenersuche für Gemeindemitglieder geschrieben hat, die
wegen ihrer Tätigkeit in Konzentrationslagern oder in der Waffe-SS inhaftiert
wurden. Und er wird vor allem
feststellen, dass es noch sehr viele „blinde Flecken“ auf der Landkarte dieser
Zeit gibt. Häufig wird er erleben, dass die Frühgeschichte seiner Stadt
oder seines Dorfes besser recherchiert ist, als die Zeit des
Nationalsozialismus. Wenn dies der Fall ist, dürfte das meist daran liegen,
dass man lieber den Opfern gedenkt, als über die Täter und ihre Motivationen
nachdenkt.
Natürlich sollte man am Holocaustgedenktag an die Opfer dieses
schrecklichen Massenmordes denken. Es wäre aber ein großer Fehler, die Täter
dabei völlig zu vergessen. Denn ohne
Täter gibt es keine Opfer! Der Holocaust hat die Menschheit gelehrt, dass
in (fast) jedem Menschen eine Bestie schlummert, die unter bestimmten Umständen
zum Leben erweckt wird und die sämtliche menschlichen Verhaltensweisen abgelegt
hat. Viele der grausamsten Tyrannen in den Konzentrationslagern, aber auch
innerhalb der SA oder SS wurden von Freunden als „liebevolle Familienväter“
beschrieben. Wenn sie nach dem Krieg im Zuge der Entnazifizierung zum Tode
verurteilt und hingerichtet wurden, hieß es auf ihren Grabreden nicht selten,
dass „er keiner Fliege etwas zuleide tun konnte“. Natürlich kann man
Verblendung hinter diesem Gerede vermute, aber vermutlich steck auch ein
kleiner Funke Wahrheit in diesen Sätzen. Kein Mensch ist nur böse, so gerne wir
das auch annehmen. Doch sind die Taten, die die meisten dieser Personen
begangen haben, zu bestialisch gewesen, um sie mit ihren guten Taten
aufzuwiegen.
Ich habe das Gefühl, dass der Holocaust-Gedenktag vor allem von
Jugendlichen kaum wahrgenommen wird. Dies ist sehr schade, da gerade junge Menschen
häufig einen ganz anderen Zugang zu dem Holocaust und der NS-Zeit haben, als
die älteren Generationen. Jugendliche setzen schneller andere Brennpunkte und
trauen sich eher, auch die Täter zu betrachten, als es die meisten Erwachsenen
tun. Und außerdem liegt es an den Jugendlichen zu verhindern, dass erneut ein
Regime entsteht, dass Millionen von Menschen aufgrund ideologischer Verblendung
ermordet. Denn die Personen, die heute noch den Opfern gedenken, werden in
absehbarer Zeit nicht mehr da sein, um so einen Wahnsinn zu verhindern!
Der Mensch ist des menschen Wolf!
(nach Titus Maccius Plautus/Thomas Hobbes)
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