Ethik und Wissenschaft scheinen
in einem Zusammenhang zu stehen, der ständig Reibung verursacht. Viele
Forschungsarbeiten müssen von Ethikkommissionen bewillig werden,
Stammzellenforscher müssen damit leben, dass sie als teilweise als
„Kindermörder“ angesehen werden und über Tierversuche muss gar nicht geredet
werden. Vor diesem Hintergrund hat es mich nicht sonderlich überrascht, dass
ich jetzt in mehreren Zeitschriften kleine Kommentare über die „Ethik der
Wissenschaft“ gefunden habe. Auch wenn die Autoren teilweise sehr
unterschiedliche Ansichten hatten, einige waren sich alle in dem Punkt, dass
schon die Forschung ethischen Kriterien unterliegen muss und die
Wissenschaftler deshalb in Ethik geschult werden müssen. Auf den ersten Blick
scheint das keine schlechte Idee zu sein, gerade wenn man bedenkt, was alles an
ethisch zumindest fragwürdigem aus den Laboren dieser Welt kommt. Auf den
zweiten Blick hingegen sieht das schon wieder ganz anders aus.
Um zu verstehen, ob Ethik einen
Einfluss auf die Wissenschaft an sich haben sollte, ist es wichtig erst einmal
zu wissen, was „Ethik“ und „Wissenschaft“ eigentlich bedeuten und was diese
Worte für Implikationen haben.
Ethik ist, vollkommen wertfrei
gesagt, eine Zensur. Ethisch richtiges Handeln zeichnet sich dadurch aus, dass
man aus einer Vielzahl an möglichen Handlungen alle die Zensiert, die man als
„falsch“ oder „böse“ erachtet und nur die Handlung ausführt, die man für
„richtig“ oder „gut“ hält. Wenn man diesen Begriff allgemein hält, ohne dabei
auf bestimmte ethische Konzepte einzugehen, bedeutet Ethik eigentlich einen
Rahmen, innerhalb diesem gehandelt werden darf. Handlungen, die außerhalb
dieses Rahmens stattfinden, werden als falsch angesehen und verurteilt. Ethisch
richtige Handlungen tragen im Regelfall zu einem guten gesellschaftlichen
Zusammenleben bei und sorgen für ein harmonisches Klima. Ethik ist also etwas,
was Handlungen beurteilt – weiter gefasst sogar vor allem Handlungen, die einen
Einfluss auf die Gesellschaft, also auf mehr als die eigene Person, haben.
Schon das deutsche Wort
„Wissenschaft“ sagt eigentlich ganz gut aus, worum in der Wissenschaft
eigentlich geht: Dem „schaffen von Wissen“. Wobei Wissen mehr bedeutet als das
bloße Entdecken von neuen Informationen, sondern auch schon das Einordnen von
neuen Informationen in den Gesamtzusammenhang beinhaltet. Aus dem Wort
„Wissenschaft“ lässt sich keine wie auch immer geartete Aussage über die Art
des Wissens, das man „erschaffen“ hat, ableiten. Wissenschaft ist also erst
einmal von der einfachsten Wortbedeutung her neutral. Das gleiche gilt für das
lateinische „sciencia“, welches sowohl im englischen als auch im französischen
nur den jeweiligen Sprachgewohnheiten angepasst wurde. „Scientia“ hat viele
Bedeutungen, darunter jedoch solche „Entdecken“ oder „Erfahren“. Auch dies sind
Begriffe, die rein deskriptiv und vollkommen wertungsfrei sind.
Wissenschaft sollte, im
Idealfall, vollkommen wertungsfrei und rein deskriptiv sein. Diese
Herausforderung steckt schon in dem Wort „Wissenschaft“ und dies offensichtlich
in den meisten „europäischen“ Sprachen. Da Ethik sich eigentlich nicht mit
Gedanken und Beschreibungen beschäftigt, sondern vor allem mit Handlungen,
sollte Ethik eigentlich keinen Einfluss auf die Wissenschaft haben. Ob jetzt an
einem Krebsmedikament oder einer neuen Massenvernichtungswaffe geforscht wird
hat solange keine ethische Bewandtnis, solange niemand auf die Idee kommt, es
auszuprobieren. Die Entwicklung der Atombombe beispielsweise war, solange sie
nur als Machbarkeitsstudie betrieben wurde, keinesfalls ethisch falsch. Erst
als dann die Idee aufkam, sie für militärische Zwecke zu nutzen, wurde sie zu
einer ethischen Katastrophe. Bezeichnenderweise waren es gerade die
Wissenschaftler, die diese Bombe entwickelt hatten, die sich sehr deutlich
gegen den Einsatz ausgesprochen haben.
Ich vermute, dass das Verhalten
der Wissenschaftler im „Manhatten Project“, also dem Bau der Atombombe, typisch
für sehr viele Forschungsbereiche ist. Neugierde und Interesse sind nun einmal
unglaublich starke Triebfedern und kaum jemand würde seine Arbeiten abbrechen,
weil sie eventuell zum Schaden für die Menschheit sein könnten. Solange eine
Arbeit nur im Labor und auf dem Papier stattfindet, ohne, dass Tiere oder
Menschen dadurch beeinträchtig werden, gibt es also keinen Grund dafür, dass
sie ethisch bewertet werden sollte. Denn das Problem ist nicht die Forschung
selber, sondern die Anwendung. Die allermeisten ethischen Katastrophen wurden
nicht etwas von Wissenschaftlern angerichtet, sondern von den Menschen, die mit
dem Material der Wissenschaftler etwas gemacht haben. Der Spruch aus der
IT-Branche „Das Problem sitzt meist hinter dem Computer“ gilt genauso gut auch
in der angewandten Wissenschaft. Was wir also brauchen sind verantwortungsvolle
„Anwender“ und keine sich selbst zensierenden Wissenschaftler. Denn nur wenn
etwas potentiell gefährliches wirklich verstanden ist, ist es kontrollierbar.
Und, solange es nur in den Händen der Wissenschaftler bleibt, auch vollkommen
ungefährlich!
Der Wissenschaftler schafft wissen -
Der Anwender schafft Tod und Zerstörung