Das „Wissenschaft“ etwas aus
einer anderen Welt ist und „Wissenschaftler“ Freaks sind, die alleine nicht
überlebensfähig sind, sind zwei Vorurteile, die mir ab und an mal begegnen und
die ich tolerieren kann. Etwas häufiger begegnet mir jedoch ein Vorurteil, das ich
nicht nur für unnötig, sondern schon für beinahe gefährlich halte: Als Wissenschaftler
würde man ja die Wunder der Natur gar nicht mehr wahrnehmen können, weil man
alles „kaputtanalysieren“ müsse.
Es mag vielleicht den einen oder
anderen Wissenschaftler geben, der sich nicht mehr an den „Wundern“ erfreuen
kann, die er jeden Tag um sich herum sieht. Aber der allergrößte Teil aller
Forscher dürfte dazu eine etwas andere Meinung haben. Denn gerade die (Natur-)Wissenschaft
ermöglicht es einem sich jeden Tag aufs Neue über die Natur zu freuen! Natürlich
kann man sich ohne jedes Vorwissen morgens in seinen Garten stellen und sich
über den noch rötlichen Himmel des Morgengrauens freuen. Die ersten Vögel
zwitschern und man kann ganz in diesem wunderbaren Himmel versinken und
abschalten. Hat man ein wenig physikalisches Hintergrundwissen, dann kann man
sich nicht nur an dem rötlichen Himmel erfreuen, sondern weiß eventuell auch
noch, warum er denn gerade jetzt so rot ist. Weiß, dass das an der
Filterwirkung der Atmosphäre und dem Winkel zwischen Sonne und Betrachter liegt
und kann sich darüber freuen, dass seine Augen sogar noch diesen „langen“ Wellenlängenbereich
wahrnehmen. Warum sollte dieses Wissen das Erlebnis stören? Zugegeben, die physikalische
Erklärung des Phänomens „Morgengrauen“ mag die wenigsten Personen vom Hocker zu
reißen. Bei biologischen Ereignissen sieht das aber schon ganz anders aus.
Jetzt im Frühling beginnt wieder
alles zu blühen und zu sprossen. Überall gucken die Krokusse aus dem Boden,
Vergissmeinnicht und Stiefmütterchen sind schon länger zu sehen und teilweise
knospen sogar schon die ersten Rosen. Auch für unwissende Kinderaugen grenzt
dies alles nahezu an ein Wunder. Mit ein wenig biologischen Hintergrundwissen
kommt man aber aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Steuerung der
Knospenbildung durch eine „innere Uhr“, die Länge der Tageszeit, die Wärme –
Kälte Schwankungen und wahrscheinlich noch einige andere Faktoren ist schon
nahezu unglaublich. Damit eine kurze Warmperiode im Winter nicht direkt zur
Knospenbildung führt, müssen die Pflanzen das ganze System natürlich noch über einen
komplizierten Phytohormon-Regelkreis steuern. Mit diesem Wissen im Hinterkopf
wirkt selbst ein kleines Gänseblümchen, was gerade austreibt, ehrfurchtserregend.
Denn hinter dieser kleinen, nahezu unscheinbaren Pflanze verbirgt sich eine unglaubliche
Komplexität, die man ihr ohne biologisches Hintergrundwissen nicht zugetraut
hätte.
Wissen ist also kein Grund dafür,
die „Wunder der Natur“ nicht zu schätzen, sondern sollte eigentlich das
Gegenteil davon bewirken. Deshalb halte ich es auch für unglaublich wichtig,
jedem Kind zumindest ein gesundes naturwissenschaftliches Grundwissen mit auf
dem Weg zu geben. Nicht, damit sie alle Naturwissenschaftler werden. Sondern,
damit sie sich nicht ärgern, wenn sie schon wieder neben die nervige Fliege am
Essenstisch geschlagen haben. Denn dann sollten sie wissen, dass die Fliege
ihre Fluchtroute schon vor der Landung ausgewählt hat und sie deshalb nur eine
minimale Reaktionszeit benötigt!
Wissen und Wundern!