„Wissenschaft“ ist ein Begriff, der gerne Verwendet wird, ohne, dass man
wirklich weiß, was sich hinter ihm verbirgt. Fragt man nämlich jemanden, wie
der Arbeitsalltag eines „Forschers“ aussieht, was „wissenschaftliches Arbeiten“
eigentlich ist, oder wie wissenschaftliche Texte publiziert und überprüft
werden, wird man maximal eine ausweichende oder ungefähre Antwort erhalten. Und
trotzdem verlassen sich viele Personen auf eine Information, die von einem
„Wissenschaftler“ kommt. „Wissenschaft“ scheint also gleichbedeutend mit „Wahr“
zu sein.
Was genau ist Wissenschaft nun? Man kann diese Frage nicht bis ins Detail
genau beantworten, weil die Anzahl der Fachrichtungen ähnlich unzählbar ist,
wie die Anzahl der Arten der einzelligen Eukaryoten-Arten, aber man kann eine
generelle Aussage darüber Treffen, was Wissenschaft ausmacht: „Wissenschaft“
ist eine besondere Geisteshaltung! Die allermeisten Wissenschaftler verfügen
über eine ausgeprägte Neugierde, den Drang, diese Neugierde zu stillen und den
Willen, sich von Nichts und Niemanden von ihrem Ziel abhalten zu lassen. Wenn
diese Geisteshaltung noch auf eine gute Ausbildung, eine ordentliche technische
Ausstattung und genügende finanzielle Mittel
trifft, dann wird aus Neugierde Information und aus Interesse die
Grundlage für, möglicherweise bedeutende, Entdeckungen. Das Idealbild eines Wissenschaftlers ist
allerdings ein Bild, das in der Realität leider so gut wie anzutreffen ist.
Nicht, dass die meisten Wissenschaftler unmotiviert sind, sondern eher, dass
sie lange nicht die Geräte und Methoden haben, die sie eigentlich benötigen
würden, um ihre Fragestellung richtig zu beantworten. Auch in anderen Bereichen
ist nicht alles so rosig, wie man es sich als Außenstehender vielleicht denken
könnte.
Es gibt ein Ideal, das von vielen
Wissenschaftlern immer wieder gelobt und gefordert wird: Den vollkommen freien
Informationsaustausch Intra-, wie Interdisziplinär. Theoretisch sollten alle
Daten zu allen Experimenten so publiziert werden, dass man sie problemlos
wiederholen und reproduzieren kann. Außerdem sollten keine wichtigen oder
interessanten Daten zurückgehalten werden. Natürlich findet dieser
Informationsaustausch auch statt, aber es ist häufig so, dass gerade die
stärksten Verfechter dieser Informationsfreiheit auf einmal einen Rückzieher
machen, wenn es um die eigenen Arbeit geht. Für dieses Verhalten gibt es einen
einfachen Grund, der vor allem Biologen, aber auch Physiker, Chemiker und
eigentlich alle anderen Fachrichtungen betrifft. Solange ein Wissenschaftler an
einem Thema arbeitet, darf er all die Informationen, die er schon gesammelt
hat, für sich behalten. Sobald er aber über seine Forschung publiziert, muss er
zu sämtliche Experimenten eine detaillierte Versuchsbeschreibung liefern und
die verwendeten Gerätschaften mit ihren Funktionsweise angeben. Falls er
Zellkulturen verwendet hat, muss er auch diese öffentlich machen und anderen
interessierten Wissenschaftlern Proben überlassen, damit sie die kultivieren
können. Dies wäre alles nicht wirklich schlimm, wenn nicht zwei Dinge
dazukommen würde, die es unangenehm machen, diese Informationen herauszugeben.
Das eine ist ein Problem der menschlichen Natur und ist gerade deswegen
gleichzeitig eigentlich vollkommen nichtig und doch extrem wichtig. Das Problem
heißt „Neid“. Im Prinzip ist es bei vielen Wissenschaftlern wie bei
Kleinkindern; sie wollen immer mit den größten, besten oder schönsten Sachen
spielen und diese nicht abgeben. Es ist auch fast schon nachvollziehbar, wenn
jemand über Jahre eine große Sammlung an Zellkulturen axenisch, also steril,
gemacht hat und sie quasi als Freunde betrachtet, diese auf einmal mit anderen
Personen teilen muss, die nichts dafür getan haben. Das ist ungefähr so, als ob
man sein Haustier auf einmal mit wildfremden Menschen teilen muss. Oder andere
Wissenschaftler, die in monatelanger oder sogar jahrelanger Arbeit endlich ein
Experiment zum funktionieren bekommen haben, und andere dann dieses Experiment
nach lesen des Protokolls im Laufe eines Tages einfach durchführen können. Es
ist nachvollziehbar, dass man diese Informationen erst sehr spät mit anderen
Personen teilen möchte und deshalb die Publikation so weit wie möglich heraus
zögert. Das trotzdem sehr fleißig und viel Publiziert wird, liegt
ironischerweise an dem anderen Faktor, der den Informationsaustausch eigentlich
hemmt. Die „Währung“ der Wissenschaft sind Publikationen in Fachzeitschriften.
Je mehr Publikationen man hat und je hochwertiger die Fachzeitschrift ist,
desto „reicher“ und höher angesehen ist man als Wissenschaftler. Wer also
seinen Namen regelmäßig in der „Nature“ liest, ist wahrscheinlich sehr hoch
angesehen und geachtet. Es ist also auch im Sinne jedes Wissenschaftlers zu
publizieren. Da aber jedes Thema nur genau ein Mal publiziert wird, sind
Wissenschaftler meist sehr verschlossen, was ihr aktuelles Forschungsprojekt
betrifft. Falls nämlich irgend Jemand anders sich zufällig für genau das
gleiche Thema interessiert, und dies ist durchaus nicht selten, könnte diese
Person davon Wind bekommen und ihre Arbeit einfach eher publizieren. Dies würde
dann für einen selber bedeuten, dass man die gesamte Arbeit im Prinzip umsonst
gemacht hat, da man seine Arbeit nun nicht mehr publizieren kann. Es findet
also immer eine Abwägung zwischen dem Zeitpunkt der Publikation und den
Forschungen, die man noch machen möchte, statt. Wenn andere Wissenschaftler
nämlich diese Publikation lesen und in ihr eine interessante Fragestellung
finden, die man selber eigentlich beantworten möchte, und diese dann selber
beantworten, hat man dieses Thema leider verloren. Doch trotz all dieser
Beschränkungen, die sich die Wissenschaftler deshalb selber auferlegen, ist die
Menge an Informationen, die frei verfügbar ist, noch unüberschaubar groß!
Das diese riesige Menge an Informationen auch immer frei und möglichst
kostenlos oder kostengünstig verfügbar bleibt, ist vor allem der Neugierde, dem
Forschergeist der Wissenschaftler zu verdanken. Wenn sie ein Thema interessant
finden, dann müssen sie erst einmal anfangen, sich darin einzulesen. Schon
allein dafür benötigen sie die Publikationen anderer Wissenschaftler. Haben sie
dann erst einmal Feuer gefangen für ein besonderen Aspekt dieses Themas, dann
muss die Fachliteratur solange bemüht werden, bis wirklich sicher ist, dass
sich noch niemand Gedanken darüber gemacht hat und das Thema somit
„erforschungswürdig“ ist. Ohne Zugriff auf nahezu sämtlichen bekannten
Publikationen wäre Wissenschaft also kaum möglich. Gleichzeitig wollen viele
Wissenschaftler natürlich auch, dass ihre Informationen einem breiten Publikum vorgestellt
werden, weil eine Arbeit schließlich nur dann wertvoll ist, wenn sie möglichst
viele anderen Personen anspricht. Diese freie Verfügbarkeit von Informationen
ist schließlich auch eine der treibenden Kräfte hinter dem Fortschritt unserer
Zivilisation. Viele Erfindungen, die aus unserem leben heute nicht mehr
wegzudenken sind, aber häufig noch nicht einmal großartig auffallen, wurden von
Firmen entwickelt, die sich der Grundlagenforschung von verschiedenen
Wissenschaftlern bedienten. Dieser Typ von Forschung, der sehr häufig von
vielen Menschen als „unnötig“ bezeichnet wird, ist einer der wichtigsten
wissenschaftlichen Forschungstypen. Ohne Grundlagenforschung wäre das
Haber-Bosch-Verfahren niemals für die Industrie interessant geworden, wäre
moderne Radiomedizin nicht denkbar, würden enzymatische Waschmittel in den
Haushalten fehlen, die allermeisten Medikamente nicht vorhanden… . Trotzdem hat
Grundlagenforschung bei vielen Menschen einen eher schlechten Ruf, da es meist
keine direkten Anwendungsmöglichkeiten für sie gibt. Häufig heißt es dann, dass
die Gelder woanders besser aufgehoben wären, oder es wird die Frage gestellt,
ob es denn überhaupt notwendig ist, dieses Thema zu erforschen. Es ist den
Wissenschaftlern sehr zugute zu halten, dass sie sich in den allermeisten
Fällen nicht von so etwas beeindrucken lassen, sondern sich ihrem Interesse
widmen und ihre Ziele verfolgen.
Die Forschung selber ist ein unglaubliches spannendes und freies
Aufgabenfeld. Wenn man als Student und später dann auch als Doktorand an einer
Universität in eine Arbeitsgruppe arbeiten kann, die nicht auf die Einwerbung
von drittmitteln angewiesen ist, dann steht einem die wahrscheinlich
interessanteste Arbeitswelt offen, die man sich vorstellen kann. Wenn man ein
Thema gefunden hat und anfängt, eine bestimmte Fragestellung zu erforschen, ist
man sein eigener Herr und völlig ohne irgendwelche Verpflichtungen, Vorgaben
oder Zwängen. Natürlich muss man in den meisten Fällen Aufgaben als technischer
Angestellter oder ähnliches Wahrnehmen, zumindest solange man noch nicht als
Doktor oder Professor angestellt ist, aber man hat viel Zeit, seiner Frage
nachzugehen. Wenn sich dann zeigt, dass
man gut ist und sein Thema sinnvoll erforscht, kann man häufig auch mit anderen
Universitäten kooperieren und kommt damit auch an Geräte, die man eventuell
benötigt, aber die das eigene Institut nicht hat. Auch ist man in der
Arbeitsgruppe meist von gleichgesinnten umgeben und falls der jeweilige
Professor Wert auf ein gutes Arbeitsklima legt, wird sich im Institut
wahrscheinlich wie zu Hause fühlen. Und dieses Gefühl trägt maßgeblich dazu
bei, dass nicht nur gute Forschung betrieben wird, sondern die Lichter des Institutes
bis spät in die Nacht, an Wochenenden und an Feiertagen brennen. Dies ist das
Kapital unserer Gesellschaft und dieses Kapital kann und darf niemals
vernachlässigt werden!
Und das ist eine Wissenschaft,
die vielfältiges Wissen schafft
Wise Guys