Ich sage das gerade im Hinblick auf Europa, in dem weite Kreise versuchen, nur den Positivismus als gemeinsame Kultur und als gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen, alle übrigen Einsichten und Werte unserer Kultur in den Status einer Subkultur verwiesen und damit Europa gegenüber den anderen Kulturen der Welt in einen Status der Kulturlosigkeit gerückt und zugleich extremistische und radikale Strömungen herausgefordert werden.
Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt - und das ist in unserem öffentlichen Bewusstsein weithin der Fall -, da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt.
Diese zwei Texte sind direkte Zitate aus der Rede des Papstes vor dem Bundestag. Diese Rede hat für viel Aufregung gesorgt und viele Menschen haben sich bereits darüber ausgelassen. Allerdings wurde meistens schon die Tatsache kritisiert, dass der Papst im Bundestag diese Rede überhaupt halten konnte, und weniger auf den Inhalt eingegangen. Dabei war dieser nicht ohne rhetorischen Reiz und auch gut formuliert. Trotzdem gibt es einiges zu bemängeln.
Der erste Kritikpunkt ist die angebliche Kulturlosigkeit Europas aufgrund seiner positivistischen Weltanschauung. Der wissenschaftliche Positivismus lehnt alles ab, was keinen beweisbaren Effekt hat und ist damit zwangsläufig gegen ein „Gotteskonzept“, egal welcher Art. „Ockhams Rasiermesser“ funktioniert zum Beispiel nach diesem Prinzip.
Dieser Ansatz hat die Wissenschaft zum ersten Mal in ihrer Geschichte zu etwas rationalem, für jeden nachvollziehbaren und wiederholbaren gemacht. Der Ausschluss von höheren Mächten hat dazu geführt, dass man sich damit auseinandergesetzt hat, was denn jetzt einen Menschen krank macht und wie man diese Krankheit behandeln kann. Wir verdanken dem Positivismus unseren hohen Lebensstandard, die Demokratie, ein weitestgehend gerechtes Rechtsystem und viele weitere wichtige Errungenschaften! Nachweislich sind die Länder mit dem höchsten Anteil an Atheisten, also dem geringsten Einfluss der Kirche, die Länder, die am höchsten Entwickelt sind und die in vielen Bereichen führende Forscher stellen!
Der Positivismus stellt die Kirchenkultur lediglich in die Ecke, in die sie gehört. Nämlich in die Ecke der historischen Epochen, die wir hinter uns gelassen haben. Sie wird nicht verdrängt, lediglich langsam in Vergessenheit geraten. Zugleich erlaubt die positivistische Ansicht eine Unmenge an verschiedenen Denkformen und bildet eine Kultur der Nachdenklichkeit, der Rationalität! Extremistische oder radikale Strömungen werden von dieser Kultur geächtet und nach Möglichkeiten Aufgelöst. Religion hingegen ist etwas, das sich immer wieder radikalisieren kann und dies auch ständig tut. Und eine radikale Religion ist gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Niedergang, Abgrenzung gegenüber Anderen, Abwertung der Frau, Verlust vieler Freiheiten und vielem mehr!
Die Herrschaft der positivistischen Vernunft setzt angeblich die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft. Natürlich gibt es Gesetze außerhalb der Vernunft! Ich denke da an Gesetzte wie “Ich bin dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ oder an die Steinigung von trinkenden, ungehorsamen Kindern oder die Steinigung von Frauen, die Ehebruch begangen haben. Dies sind alles Gesetze, die von „Gott“, also der klassischen Instanz für Recht und Ethos kamen. Und es gibt einen guten Grund dafür, warum wir sie nicht mehr befolgen: Sie sind Unvernünftig! Die Vernunft ermöglicht es uns, sinnvolle, maßvolle und menschenachtende Bestrafungsmaßnahmen zu erdenken und durchzuführen. Sie ermöglicht es, die Würde des Menschen zu achten und zu wahren. Sie ermöglicht es, moralisch zu Handeln! Die Vernunft ist unsere Lebensversicherung. In Zeiten, in denen die Kirche die wichtigste Institution war, also bis weit über das Ende des Mittelalters hinaus, waren Folter, Todesstrafen, Fehlurteile und Willkür alltäglich. Wenn so etwas heutzutage passiert, ist diese eine Ausnahme und wird bestraft!
Lang lebe die Rationalität!