Donnerstag, 27. Dezember 2012

Der schmale Pfad



„Nein! Nein! Nein!“ Seine Faust hämmerte auf den Küchentisch. „Nein! Nein! Nicht schon wieder!“ Er stand sehr schwunghaft auf, stieß seinen Stuhl nach hinten weg und trat vor ein Tischbein. „Verdammte Scheiße!“ Eins, zwei, drei, viermal vibrierte das Bild, dass ihn an bessere Zeiten erinnerte, unter seinen Tritten gegen die Wand. Er warf einen kurzen Blick auf die Person auf dem Bild. Ihn lächelte ein Mädchen an, das gerade siebzehn geworden war und lange, rote Haare hatte, die sich fröhlich lockten. Die Haare waren zu einem Zopf gebunden, aber eine Strähne dieser Haare hatte sich aus dem Zopf gelöst und hing ihn ihrem Gesicht, verdeckte einen kleinen Leberfleck auf ihrer Wange. Immer noch stellte sich ihm die Frage, ob sie das damals bewusst gemacht hat, oder ob das dem Wind zu verdanken war. Sein Blick viel auf die Kette, die das Mädchen um ihren Hals trug. Der Anhänger dieser Kette war ein kleiner Smaragdsplitter, der, wie ihre Augen, lustig grün in der Sonne funkelte. Wie sehr sie diese Kombination von dem Rot ihrer Haare und diesem grün liebt. Wie sehr sie diese Kette liebt. Und wie sehr er diese Kette liebt. Für einen kurzen Moment war der Hass aus seinem Herzen der Liebe gewichen. Doch als er die Augen von dem Bild abwandte, gewann der Hass wieder die Oberhand und erneut fühlte er diese kalte Energie durch seinen Körper strömen. Er stolperte über den Stuhl, den er Umgeworfen hatte, als er vom Tisch aufgestanden war, und schlug hart auf den Boden auf. Im nächsten Moment war er schon wieder aufgesprungen und trat wie ein Beserker auf den Stuhl ein. Das knacken der zerbrechenden Holzteile erninnerte ihn an Türen, die zugeschlagen wurden. Türen… Verschlossene Türen. Scheiß Türen! Während sein Körper noch wie mechanisch den Stuhl zertrat, bekam sein Gehirn davon kaum noch etwas mit. „Werter Herr Jonas Mehlhart, leider können wir ihnen keinen Arbeitsvertrag anbieten. Sie passen mit ihrem Lebenslauf einfach nicht in unsere Firma. Wir wünschen ihnen aber viel Glück bei ihren weiteren Bewerbungen“ Herr Mehlhart, ich muss ihnen leider mitteilen, dass sie nicht zu unserem Unternehmen passen. Aber sie werden sicherlich anderswo erfolgreich sein!“  Und dann noch all die Bewerbungen, auf die er nie eine Antwort erhalten hatte. Scheiß Menschen!

Als seine Beine keinen Wiederstand mehr vom Stuhl spürten, stellten sie ihre Zerstörungsarbeit ein und warteten auf einen neuen Impuls vom Gehirn. Dieses gab ihnen nach einiger Zeit den Befehl, ins Schlafzimmer zu laufen. Währenddessen hörte Jonas wieder dieses Summen in seinem Kopf; diesen hohen, schrillen, aber dennoch angenehmen Ton. Gegen diesen Ton hätte er sich normalerweise gewehrte, weil er der Vorbote des „Schwarzen“ war. Normalerweise… Aber heute war eben alles anders als normal. Als Jonas die Treppe zur Hälfte erklommen hatte, war der Ton zu einem lauten, schrillen Sirren angestiegen. Seine Schläfen begannen zu pochen und er hatte das Gefühl, als ob ein ganzes Heavy-Metall Konzert hinter seiner Stirn abgehalten würde. „Was habe ich dir gesagt?“ Die  laute, klare Stimme des „Schwarzen“ hallte in seinem Schädel nach. „Ja, du hast ja recht gehabt!“ „Das habe ich dir aber nicht gesagt, dummer Junge. Was habe ich dir gesagt?“  „Ja, man!“ „Los, spuck es aus. Sag es!“ „Menschen sind scheiße! Scheiße, scheiße, scheiße!“ „So ist gut. Du hast es ja doch behalten.“  Jonas stand oben auf der Treppe und schnaufte. Er fühlte sich so unendlich müde und gleichzeitig voller Energie.

Er blinzelte die kleinen Sterne vor seinen Augen weg und öffnete die Tür zum Schlafzimmer. „Und was bedeutet es, wenn alle Menschen scheiße sind?“ „Was soll es denn schon groß bedeuten? Das ich ein verdammter Versager bin?“ Jonas meinte ein böses Kichern zu vernehmen. „ Nein, genau das nicht! Ich biete dir jetzt mal eine kleine Hilfestellung an.“ Wie aus weiter Ferne hörte Jonas Geräusche, die ihn irgendwie entfernt an etwas erinnerten. Dann wurden sie etwas lauter und Jonas erkannte sie. Die „Geräusche“ waren eigentlich die erstene Takte des Stückes „Alle Menschen tot“ von „Das Pack“, einer Band, die er im Sommer auf einem Festival kennen gelernt hatte. „Soll ich das wirklich machen?“ „Warum sonst rennst du die Treppe hoch und in das Schlafzimmer zu dem großen Schrank? Warum sonst würdest du gerade in der Schublade daneben den Schlüssel für den Schrank suchen? Diese Menschen haben es verdient!“ Jonas war gar nicht aufgefallen, dass schon angefangen hatte, in der Schlüsselschublade vor dem Schrank zu wühlen. Wollte er das wirklich? „Natürlich willst du das! Schau nur in die Welt. Sie ist schlecht bis unters Dach!“ „Stimmt!“ Er versuchte sich verzweifelt daran zu erinnern, wie der Schlüssel für den Schrank eigentlich aussah, da in der Schublade sicherlich zwanzig oder dreißig Schlüssel lagen und er keine Lust darauf hatte, sie alle auszuprobieren. „Und weißt du, warum diese Welt so schlecht ist?“ „ Weil Menschen scheiße sind?“ „Und weil so perfekte Menschen wie du immer überall abgelehnt werden!“ „Wirklich? Ist das wirklich so?“ „Aber natürlich. Wenn Menschen wie du endlich etwas machen könnten, wäre die Welt viel besser. Deshalb musst du ja ein Zeichen setzen!“ Diese Antwort euphorisierte Jonas. Wenn er nur ein Zeichen setzen würde, vielleicht würde es der Welt dann besser gehen. Vielleicht würde man es ihm dann ja auch danken. Vielleicht würde er sogar im Anschluss daran mit dem Verdienstkreuz ausgezeichnet werden! Auf einmal hatte er wieder eine Mission. Wie sah denn nur der verdammte Schlüssel aus? „Glaubst du,dass die Welt durch Mord besser wird?“  Die Stimme, die diese Worte sprach, hatte einen hellen, verträumten Klang. Die Frage war völlig frei von Vorwürfen, stattdessen klang in ihr Naivität mit. Jonas hielt verwirrt inne. „Wäre es wirklich Mord? Ist es nicht vielmehr berechtige Rache?“ „Ich würde es nicht Mord nennen. Sagen wir, es ist eine Vergeltungs-, oder eine Aufweckaktion“  Die Antwort des „Schwarzen“ beruhigte Jonas wieder ein wenig. Endlich hatte er sich auf wieder daran erinnert, wie der Schlüssel aussah. Jetzt musste er ihn nur noch finden. „Außerdem würdest du damit zu einer Verbesserung der Welt beitragen. Das fordert nuneinmal immer Opfer.“ Diese Logik leuchtete Jonas sofort ein und er intensivierte seine Bemühungen, den Schlüssel zu finden. „Aber denkst du auch daran, dass diese Opfer auch nur Menschen sind?“  Denke ich daran? Sind es wirklich bloß nur Menschen? „Nein, sind es nicht.“ Die Stimme klang ein wenig Lehrerhaft. „Es sind alles Menschen, die es verdient haben zu sterben, weil sie dich behinderten.“ „Siehst du? Ich darf diese Menschen also töten!“ Trotzdem fühlte Jonas sich schon ein ganzes Stück unwohler bei dem Gedanken, dass die anderen schließlich auch „nur“ Menschen sind und keine Roboter-Bediensteten. „Denkst du auch daran, dass diese Menschen Familien und Freunde haben, die nichts damit zu tun hatten, dass du abgelehnt wurdest? Du würdest sie mit deiner Tat unglücklich machen!“ „Das sagt jemand, der mich abgelehnt hat, der mich auch weiterhin nur als „Freund“ und nicht als „Partner“ sehen wollte? Der mich in Verzweiflung gestürzt hat?“ Aber irgendwie fühlte sich dieses Argument nutzlos an. Irgendwie wusste Jonas, dass es falsch wäre, andere Leute mit in seine Tat hineinzuziehen. In diesem Moment hielt er bei seiner Suche inne, da er den Schlüssel in der Hand hielt. Zögernd steckte er ihn in das Schlüsselloch. „Los doch, trau dich! Soll die Welt sehen, was sie davon hat, wenn sie jemanden wie dich zurückweist!“ Jonas drehte den Schlüssel einmal um. Noch eine Umdrehung… „Denk daran, dass Jemands Augen nicht mehr funkeln würden, wenn du das jetzt machst. Bedenke, dass Jemand dann deine Kette nicht mehr tragen könnte.“ „Lass dir von der nichts sagen. Die hat doch keine Ahnung von der harten Wirklichkeit des Lebens!“ „Du wirst ein Leben zerstören, das vollkommen unschuldig ist.“ „Unschuldig ist auch dieses Leben nicht. Schließlich hat auch sie dich zurückgewiesen!“ „Ich kann dich von nichts abhalten. Willst du wirklich, dass diese Augen nicht mehr leuchten? Dass diese Kette nie wieder funkelt? Dass dieser Mund nie wieder lächelt?“

„Nein! Nein! Nein!“ Jonas hielt sich beide Ohren zu. „Nein! Nein! Das nicht!“ Er trat einmal fest vor den Schrank, rannte aus dem Schlafzimme und sprang die Treppe hinunter. Den dumpfen Schlag, den die beiden Heckler und Koch Pistolen verursachten, als sie aus ihrer Halterung in dem Schrank fielen, hörte er schon nicht mehr. So schnell es ging zog er seine Schuhe an und streifte seine Jacke über. Dann riss er die Haustür auf und stand im Regen. Ein kurzer Blick auf das Thermometer neben der Tür sagte ihm, dass es fast 17 Grad warm war. Jonas streckte beide Mittelfinger Richtung Himmel. 17 Grad so kurz nach Heiligabend, Gott musste ihn hassen. Während er die Straße entlang ging, kramte er in seiner Tasche und zog endlich einen zerknitterten Zettel hervor.

Haben sie Suizigedanken? Kommen sie nicht mehr aus ihrem „Schwarzen Loch“? Wir helfen ihnen gerne weiter!

Unten auf dem Zettel standen mehrere Adressen, von denen eine mit Kugelschreiber umkreist war. Diese Adresse steuerte er nun an. Auf einmal fiel ihm ein, dass er völlig vergessen hatte, einen Haustürschlüssel einzustecken. Die Haustür war hinter ihm ins Schloss gefallen, wie sollte er denn jetzt bitteschön ins Haus kommen? Er zuckte mit den Achseln „Egal. Wenn ich den erzähle, was mit mir los ist, lassen die mich sowieso nirgendwo mehr hin….“

2 Kommentare:

  1. Sowas zu hören ist für mich wirklich unfassbar schön. Ich weiß, dass mein Stil in letzter Zeit vielleicht ein wenig ungewöhnlich ist und nicht bei jedem Anklang findet, deshalb bin ich mir noch ein wenig unsicher in allem, aber dein Kommentar hat mich ein wenig bestätigt. Danke, dass du dir die Zeit für meine Texte nimmst, ich werde mich nach Neujahr bemühen, auch deine Texte mal zu lesen. ♥

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  2. So belebend. Dein Text. Wow.
    Ich weiß nicht.
    Ich fühle mich ganz schlecht, so wenig zu sagen.
    Aber... ich hoffe du erahnst mein Gefühl :)

    & ich danke fpr deine Worte.
    Deine Gedankengänge sind gut verfasst. Und du hast Recht!
    Ich danke dir dafür :)

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