Samstag, 18. August 2012

Das Urteil für "Pussy Riot" und Reaktionen darauf


Es hat mich wirklich geschockt, als ich diese Kommentare gelesen habe und habe angefangen darüber nachzudenken, ob wir es überhaupt noch verdienen in einer Demokratie zu leben. Geht es uns vielleicht schon viel zu gut? Die letzte Diktatur (in Westdeutschland) liegt nun schon über 60 Jahre zurück und sehr viele Menschen, die sie bewusst erlebt haben, sind schon tot. Vielleicht ist es ein natürlicher Prozess in der Geschichte, dass der Mensch so dumm ist, dass er es nicht schafft über längere Zeit in einer Demokratie zu überleben. Vielleicht benötigt jede zweite Generation eine Diktatur, damit sie ihren Kindern wieder die Vorzüge einer Demokratie beibringen können. Kann es wirklich sein, dass Freiheit auf Dauer dazu führt, dass man sich wieder Unfreiheit wünscht? Kann es wirklich sein, dass wir unsere so hoch gelobte Menschlichkeit eigentlich schon lange verloren haben und nur noch dann für sie eintreten, wenn es uns gerade passt? Der folgende Kommentar aus der „Berliner Morgenpost“ scheint dies zu bestätigen: „Was soll das Pseudogeheul??? Jeglicher menschlicher und religiöser Anstand verbietet es, in einem Gotteshaus solch eine Show abzuziehen.“  Selbst wenn es jeglicher Anstand verbieten sollte, so eine Aktion in einem Gotteshaus zu veranstalten, so sollte es auch der Anstand gebieten, dass die Bestrafung verhältnismäßig ausfällt. Zwei Jahre in einem Arbeitslager für ein wenig freie Meinungsäußerung und eine Provokation ist unter keinen Umständen angemessen. Vielleicht würde es dem Autor dieses Kommentar helfen, wenn er selber einmal für eine Woche in einem russischen Arbeitslager sitzen würde. Wenn er dann immer noch der Meinung ist, dass dies eine angemessene Bestrafung ist, sollte er sich vielleicht lieber ein diktatorisch regiertes Land ziehen. Das gleiche sollte auch dieser Kommentator machen. „Das Straflager ist wichtigster Teil der Strategie. Andere Künstler rackern sich Jahrzehnte den Buckel ab. Pussy Riot sitzten zwei Jahre und werden eine Mega Karriere danach machen. Respekt.“ Vielleicht hat er nicht verstanden, dass sich ein Gefängnis in Deutschland erheblich von einem Straflager in Russland unterscheidet. Und schon in deutschen Gefängnissen gehört Gewalt zur Tagesordnung. Es wird diesen Künstlern nur nachrangig um Publicity gegangen sein, da sie selber zugegeben haben, dass sie lediglich mit einer Geldstrafe gerechnet hatten. Wenn man unbedingt Werbung für sich braucht, dann würde man so eine Aktion eher während einer Rede von Putin veranstalten.

Der folgende Kommentar steht stellvertretend für eine Vielzahl an weiteren rechtspositivistischen Kommentaren: „Die verteidiger von freiheit und menschenrechten aber finden es gaanz schlimm, dass nun die russische justiz, ein - gemessen am eigentlich siebenjährigen strafmass mildes - urteil auf dem boden der gesetze dieses unabhängigen staates gefällt hat.“ Meist wurde dann noch darauf hingewiesen, dass man auch in Deutschland für so einen Auftritt mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Sämtliche Kommentatoren, die diese Auffassung haben, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, „Rechtspositivisten“ zu sein. Dies beschreibt eine Denkweise in der Philosophie, in der das geltende Recht als „richtig“ oder „gut“ anerkannt wird. Und wenn ein anderer Staat dieses Gesetzt auch noch hat, ist doch alles in Butter, oder etwa nicht? Während des zweiten Weltkrieges gab es in fast ganz Europa Gesetze, die Juden zu „unwertem Leben“ erklärt haben. Waren diese Gesetze etwa gerecht!? Man kann nicht einfach das Rechtsystem eines Staates für „gerecht“ erklären, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob es überhaupt ethisch vertretbar ist. Und das ist es in diesem Fall nicht! Außerdem hinkt der Vergleich mit Deutschland gewaltig. Wenn heute eine Aktionsgruppe eine deutsche Kirche stürmen würde und sich dort gut eine Minute gegen Frau Merkel aussprechen würde, wäre ich mir noch nicht einmal sicher, ob sie dafür überhaupt belangt werden würden.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist sehr wichtig und sollte auch genutzt werden. Natürlich kann man es übertreiben und ich würde es für akzeptabel halten, wenn die drei Frauen zu einer Geldstrafe verurteilt würden, aber alles andere geht weit über das vertretbare Maß hinaus. Außerdem ist der Vorwurf, ihr Auftritt hätte die Gläubigen „in ihren Gefühlen verletzt“ absoluter Schwachsinn. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die einige Gläubige tatsächlich in ihren Gefühlen verletzt gefühlt haben, aber das ist noch lange kein Grund für eine Anklage. Wenn mir ein erwachsener Mensch ernsthaft erklären will, dass die Erde gerade einmal 5000 Jahre alt ist, fühle ich mich auch in meinen Gefühlen verletzt. Aber habe ich deshalb das Recht diese Person anzuklagen? Nein! Erst wenn er sich mir ständig aufdrängt und mir gegen meinen erklärten Willen seine Theorie erläutern will, habe ich einen Grund dafür. Und das ist bei diesem Protestauftritt nicht passiert. Es ist wie im Mittelalter, wenn man „Gotteslästerung“ unter Strafe stellt und deshalb haben solche „Strafbestände“ in unseren Zeiten nichts mehr verloren. Auch sehe ich nicht ein, warum in einer Kirche großartige Sonderrechte gelten sollten. Natürlich ist, vor allem bei Kathedralen oder bei einem Dom, das Gebäude aufgrund seines Alters und seiner Bauart etwas ganz besonderes. Und natürlich gibt es in diesen Gebäuden Menschen, die glauben, dass ihr Gott ihnen dort ganz nahe ist. Aber trotzdem ist es schwachsinnig Aktionen innerhalb einer Kirche mit einem deutlich stärkeren Strafmaß als außerhalb zu belegen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Kommentare unter den Artikeln über die Band „Pussy Riot“ nicht die Meinung des gesamten deutschen Volkes wiederspiegeln. Falls dem so wäre, dann würde ich anfangen, mir ernsthaft Gedanken über unsere Demokratie zu machen. Denn unter diesen Umständen wird sie nicht mehr sehr lange zu leben haben. Vielleicht sind diese Sorgen auch vollkommen unbegründet und die Kommentare kommen von einer Gruppe an Menschen, die dringend Aufmerksamkeit benötigen und diese über solche Kommentare auch bekommen. Ich hoffe wirklich, dass die meisten dieser Kommentare von solchen Personen stammen, den sonst….

1 Kommentar:

  1. Den Einwurf, der Hintergrund ihres Auftretens war allein der Wunsch, schnell berühmt zu werden, halte ich für absolut lächerlich. Das hätten sie auch durch andere Dinge erreichen können, die kein derartiges Strafmaß nach sich gezogen hätten. Viel mehr denke ich, dass Pussy Riot aus Überzeugung diese provokanten Dinge unternimmt, um auf die bestehenden Missstände hinzuweisen. Und damit waren sie erfolgreich - allein schon, weil das Thema der "Demokratie" in Russland so wieder in den Schlagzeilen landete und Menschen weltweit zu Demonstrationen bewegte.
    Wie es nach dem Straflager mit der Gruppe weitergeht und ob ihre Aktionen auch eine tatsächliche Wirkung auf die Regierung haben wird, ist noch nicht klar, doch ich hoffe sehr, dass es nicht vergeblich war. Dafür sollten wohl auch andere aktiv werden, nachdem ein Anfang gemacht wurde.

    Weshalb ich andere schreibe? Weil ich selbst nicht den Mut hätte, derart offen mit einem solchen Risiko Protest zu demonstrieren. Anscheinend ist der Egoismus bei mir wie bei vielen anderen einfach viel zu groß.

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