Es gibt eine Vielzahl von gesellschaftlichen Konzepten, die einfach
hingenommen werden, ohne dass man sie ernsthaft hinterfragt. Beispiele für
solche Konzepte sind Höflichkeitsregeln, Regeln, die das Zusammenleben eines
Paares betreffen oder Grenzen. Grundstücksgrenzen, unausgesprochene Grenzen
und, als etwas, das so gut wie nie hinterfragt wird, Ländergrenzen. Es gibt
eine Vielzahl von gesellschaftlichen Regeln, die einem auch bei genauerem
Hinschauen als Sinnvoll erscheinen. Dazu gehören meist Regeln, die das Eigentum
und den Umgang untereinander betreffen. Ohne einen Schutz des Eigentums, sei er
auch noch so klein, würde kein Zusammenleben von Menschen möglich sein. Wenn
man sich nicht sicher sein kann, dass das, was man sich selber erarbeitet hat,
auch im eigenen Besitz bleibt, wird über kurz oder lang nichts produziert,
beziehungsweise besessen, da man sich nicht sicher sein kann, dass man es auch
benutzen kann. Dass dieser Schutz auch Grundstücke betreffen mag, erscheint in
gewissem Maße auch noch Sinnvoll. Schließlich ist in unserem Kulturkreis eine
gewisse Privatsphäre durchaus erwünscht. Außerdem schützen festgelegte
Grundstücksgrenzen vor einer Vielzahl von Konflikten, die entstehen, weil
mehrere Personen beispielsweise das gleiche Grundstück genutzt haben und es
deshalb jeder für sich beansprucht. Aber auch dies gilt wiederum nur in unserem
Kulturkreis!
Aber wie sieht es mit Ländergrenzen
aus? Ländergrenzen sind etwas, über das man sich wahrscheinlich so gut wie nie
den Kopf zerbricht und die gerne einfach so hingenommen werden. Aber sind sie
wirklich so festgesetzt, wie sie heute vielleicht wirken? Allein Deutschland
hat in den letzten 100 Jahren drei wirklich einschneidend und einige kleinere Änderungen seiner
Außengrenzen erlebt! Die erste Änderung
fand 1918 mit dem „Friedensvertrag von Versailles“ statt. Dort verlor
Deutschland Gebiete im Osten, also im Bereich des heutigen Polen und einigen
anderen Ländern und Elsass-Lothringen an Frankreich. Im zweiten Weltkrieg fand
dann erst eine enorme Erweiterung der Außengrenzen statt, bis das Nazi-Regime
von den Allliierten besiegt wurde und Deutschland als wichtigste Gebiete Ostpreußen
und Oberschlesien, also ungefähr das Gebiet des heutigen Polens, abtreten
musste. Nach 1945 kam es zu einer Aufteilung von Deutschland in vier
Besatzungszonen und nachdem sich Russland und die Westmächte zerstritten
hatten, wurde die russische Besatzungszone von den restlichen Getrennt und
Deutschland war geteilt. Seine endgültige Form hat Deutschland erst durch den
Fall der Mauer und die anschließende Wiedervereinigung im Jahr 1990 bekommen.
Man sieht also sehr deutlich, dass Ländergrenzen keineswegs seit Jahrhunderten
festgezurrt sind, auch wenn es einem manchmal so erscheinen mag. Die
Grenzverschiebungen in der jüngeren Geschichte von Deutschland haben alle eine
Gemeinsamkeit gehabt: Sie entstanden durch militärischen Druck; weil das das
Land nicht mehr in der Lage war, seine Grenzen zu verteidigen. Aber ist dies
wirklich der Charakter einer Ländergrenze: Die größte Ausdehnung eines Landes,
die sich noch verteidigen lässt? Die Geschichte bestätigt und wiederlegt diese
These zugleich. Bestätigt, weil viele, wenn nicht sogar sämtliche Großreiche
dadurch zusammenbrachen, dass sie ihre Grenzen nicht mehr gegen Eindringlinge
verteidigen konnten. Am besten sieht man dies an dem römischen Reich, aber auch
das osmanische Reich ist ein gutes Beispiel dafür. Wiederlegt, vor am Beispiel
der deutschen Rheingebiete, die sich einfach Napoleon, also Frankreich,
anschlossen ohne ernsthaft bedroht worden zu sein. Am besten sieht man dies
jedoch an Staaten wie Luxemburg, Vatikan oder Monaco. Diese Staaten können ihre
Außengrenzen gar nicht verteidigen, da ihre Nachbarn viel zu groß sind und sie
innerhalb weniger Stunden einfach einnehmen könnten. Oder am Beispiel Kanadas,
das Problemlos von den Amerikanern okkupiert werden könnte. Es muss also bei
den Staatsgrenzen noch andere Faktoren als die Fähigkeit, sie zu verteidigen,
geben. Viele Staaten im nahen und fernen haben das Problem, dass es innerhalb
der eigentlichen Grenzen eine große Anzahl an Stammesgebieten gibt, die
allesamt ihre eigenen „Grenzen“ haben. Dies zeigt sich auch in Afghanistan, wo
die Bundeswehr mit den einzelnen Stammesführern extra Durchfahrtsverträge
aushandeln muss, obwohl sie eigentlich durch ganz Afghanistan fahren dürften.
Tradition ist also auch ein wichtiger Faktor bei der Findung von Ländergrenzen.
Und um auf Afrika zu sprechen zu kommen; während der Kolonialisierung wurden
viele traditionelle Grenzen einfach Missachtet und die neuen Grenzen
stattdessen entweder entlang von Flüssen oder einfach mit geraden Linien auf
der Landkarte gezogen. Viele Konflikte innerhalb wie zwischen den Ländern, die
dort immer noch schwelen, sind auf diese willkürliche Grenzziehung
zurückzuführen. Die traditionellen Grenzen scheinen also sehr stark zu sein.
Ein letztes Merkmal, das zur Bildung von Grenzen Beiträgt ist die Sprache.
Sogar Länder, die eigentlich vollkommen stabil sind, wie die Belgier, bekommen
sich über die unterschiedliche Sprache so sehr in die Haare, dass einige
Politiker von einer faktischen Teilung sprechen. Es scheint zwar so, dass sich
in den meisten Fällen die Sprache langsam an den Verlauf der „offiziellen
Grenzen“ anpasst, aber manchmal sind die Traditionen so fest in der
Gesellschaft verankert, dass auch nach hunderten Jahren der Einigkeit innerhalb
eines Landes noch verschiedene Sprachen gesprochen werden. Es zeigt sich also, dass
auch Sprachen keine feste Begründung von Ländergrenzen sein können.
Was sind denn nun Ländergrenzen? Mir erscheinen sie als eher willkürlich
und konventionell festgelegte Gebilde, die einen bestimmten Einfluss, eine
bestimmte Wirkung haben, aber die ansonsten keine echte Berechtigung besitzen.
Nähert man sich beispielweise der französischen Grenze, so wird man
feststellen, dass sich die Sprachen, die Gebräuche und die Traditionen langsam
vermischen und wenn es keine Schilder gäbe, die einen darauf hinweisen, dass
man nun Deutschland verlässt und Frankreich betritt, dann könnte man nur anhand
der Umgebung nicht sagen, dass man nun in Frankreich ist. Es gibt vielmehr
einen sehr fließenden Übergang der Kultur und der Gepflogenheiten der Menschen.
Das gleiche dürfte auch für die allermeisten anderen Grenzübergänge gelten. Wer
Großeltern hat, die aus Ostpreußen oder Oberschlesien stammen, wird vielleicht
auch erlebt haben, dass sie sich als „Deutsche“ bezeichnen, obwohl sie aus dem heutigen
Polen stammen. In meinen Fall bezeichnen sie ihre Heimat weiterhin als
„Deutsch“, auch wenn zumindest meine Oma sich als gebürtige Polin betrachtet.
Die Nationalität hat für sie weniger etwas mit den Ländergrenzen als mit der
Kultur, der Geisteshaltung, vor allem der Mentalität der Menschen in dem
jeweiligen Gebiet zu tun. Natürlich ist diese Beurteilung ziemlich subjektiv
und kann dazu führen, dass Gebiete in der Pfalz von einigen Menschen als
„Französisch“ tituliert werden, während sie gleichzeitig an Bayern angrenzende
Teile der Ukraine als „Deutsch“ bezeichnen. Ländergrenzen sind anscheinend also
eher eine Orientierungshilfe, als eine gute Definition dafür, wo ein Land
aufhört und wo es beginnt, da ein Land aus mehr als seinen Grenzen besteht. Die
Mentalität, die Sprache, die Kultur und die Geisteshaltung der Bewohner eines
Landes sind für mich ausschlaggebend dafür, ob ich etwas als eher deutsch,
französisch, polnisch etc. bezeichnen würde. Diese Bezeichnung ist sicherlich
alles andere als Objektiv, aber mir fällt kein objektives Merkmal für
Landesgrenzen ein. Es scheint mir, als ob man nicht Stolz auf ein Land, eine
Nationalität sein kann, da man nur durch die zufällige Geburt in dieses Land,
diese Nationalität kam. Außerdem scheint es keine gute, allgemeingültige
Definition davon zu geben, was ein Land eigentlich begrenzt. In gewisser Weise
wünsche ich mir eine Außengrenzen-freie Gesellschaft, da diese Grenzen mehr
oder minder willkürlich sind und unter Umständen mehr Ressentiments schüren als
verhindern.
Es gibt keine Grenzen. Weder für Gedanken, noch für Gefühle. Es ist die Angst, die immer Grenzen setzt.
Ingmar Bergman
Ich möchte gar nicht so viel dazu sagen nur:
AntwortenLöschen"während der Kolonialisierung wurden viele traditionelle Grenzen einfach Missachtet und die neuen Grenzen stattdessen entweder entlang von Flüssen oder einfach mit geraden Linien auf der Landkarte gezogen."
Genau so etwas habe ich in meiner LK Sowi Klausur geschrieben, das man die heutigen Grenzen aufheben und an die Stämme anpassen müsste damit erst mal so viel Frieden herrscht das dort auch eine Infrastruktur entstehen kann.
Das ist recht gewagt fürs Abi und ich bin gespannt was da an Punkten bei rumkommt.