Montag, 23. April 2012

Sinnvolle Grenzen?


Es gibt eine Vielzahl von gesellschaftlichen Konzepten, die einfach hingenommen werden, ohne dass man sie ernsthaft hinterfragt. Beispiele für solche Konzepte sind Höflichkeitsregeln, Regeln, die das Zusammenleben eines Paares betreffen oder Grenzen. Grundstücksgrenzen, unausgesprochene Grenzen und, als etwas, das so gut wie nie hinterfragt wird, Ländergrenzen. Es gibt eine Vielzahl von gesellschaftlichen Regeln, die einem auch bei genauerem Hinschauen als Sinnvoll erscheinen. Dazu gehören meist Regeln, die das Eigentum und den Umgang untereinander betreffen. Ohne einen Schutz des Eigentums, sei er auch noch so klein, würde kein Zusammenleben von Menschen möglich sein. Wenn man sich nicht sicher sein kann, dass das, was man sich selber erarbeitet hat, auch im eigenen Besitz bleibt, wird über kurz oder lang nichts produziert, beziehungsweise besessen, da man sich nicht sicher sein kann, dass man es auch benutzen kann. Dass dieser Schutz auch Grundstücke betreffen mag, erscheint in gewissem Maße auch noch Sinnvoll. Schließlich ist in unserem Kulturkreis eine gewisse Privatsphäre durchaus erwünscht. Außerdem schützen festgelegte Grundstücksgrenzen vor einer Vielzahl von Konflikten, die entstehen, weil mehrere Personen beispielsweise das gleiche Grundstück genutzt haben und es deshalb jeder für sich beansprucht. Aber auch dies gilt wiederum nur in unserem Kulturkreis!
  Aber wie sieht es mit Ländergrenzen aus? Ländergrenzen sind etwas, über das man sich wahrscheinlich so gut wie nie den Kopf zerbricht und die gerne einfach so hingenommen werden. Aber sind sie wirklich so festgesetzt, wie sie heute vielleicht wirken? Allein Deutschland hat in den letzten 100 Jahren drei wirklich einschneidend  und einige kleinere Änderungen seiner Außengrenzen erlebt! Die erste  Änderung fand 1918 mit dem „Friedensvertrag von Versailles“ statt. Dort verlor Deutschland Gebiete im Osten, also im Bereich des heutigen Polen und einigen anderen Ländern und Elsass-Lothringen an Frankreich. Im zweiten Weltkrieg fand dann erst eine enorme Erweiterung der Außengrenzen statt, bis das Nazi-Regime von den Allliierten besiegt wurde und Deutschland als wichtigste Gebiete Ostpreußen und Oberschlesien, also ungefähr das Gebiet des heutigen Polens, abtreten musste. Nach 1945 kam es zu einer Aufteilung von Deutschland in vier Besatzungszonen und nachdem sich Russland und die Westmächte zerstritten hatten, wurde die russische Besatzungszone von den restlichen Getrennt und Deutschland war geteilt. Seine endgültige Form hat Deutschland erst durch den Fall der Mauer und die anschließende Wiedervereinigung im Jahr 1990 bekommen. Man sieht also sehr deutlich, dass Ländergrenzen keineswegs seit Jahrhunderten festgezurrt sind, auch wenn es einem manchmal so erscheinen mag. Die Grenzverschiebungen in der jüngeren Geschichte von Deutschland haben alle eine Gemeinsamkeit gehabt: Sie entstanden durch militärischen Druck; weil das das Land nicht mehr in der Lage war, seine Grenzen zu verteidigen. Aber ist dies wirklich der Charakter einer Ländergrenze: Die größte Ausdehnung eines Landes, die sich noch verteidigen lässt? Die Geschichte bestätigt und wiederlegt diese These zugleich. Bestätigt, weil viele, wenn nicht sogar sämtliche Großreiche dadurch zusammenbrachen, dass sie ihre Grenzen nicht mehr gegen Eindringlinge verteidigen konnten. Am besten sieht man dies an dem römischen Reich, aber auch das osmanische Reich ist ein gutes Beispiel dafür. Wiederlegt, vor am Beispiel der deutschen Rheingebiete, die sich einfach Napoleon, also Frankreich, anschlossen ohne ernsthaft bedroht worden zu sein. Am besten sieht man dies jedoch an Staaten wie Luxemburg, Vatikan oder Monaco. Diese Staaten können ihre Außengrenzen gar nicht verteidigen, da ihre Nachbarn viel zu groß sind und sie innerhalb weniger Stunden einfach einnehmen könnten. Oder am Beispiel Kanadas, das Problemlos von den Amerikanern okkupiert werden könnte. Es muss also bei den Staatsgrenzen noch andere Faktoren als die Fähigkeit, sie zu verteidigen, geben. Viele Staaten im nahen und fernen haben das Problem, dass es innerhalb der eigentlichen Grenzen eine große Anzahl an Stammesgebieten gibt, die allesamt ihre eigenen „Grenzen“ haben. Dies zeigt sich auch in Afghanistan, wo die Bundeswehr mit den einzelnen Stammesführern extra Durchfahrtsverträge aushandeln muss, obwohl sie eigentlich durch ganz Afghanistan fahren dürften. Tradition ist also auch ein wichtiger Faktor bei der Findung von Ländergrenzen. Und um auf Afrika zu sprechen zu kommen; während der Kolonialisierung wurden viele traditionelle Grenzen einfach Missachtet und die neuen Grenzen stattdessen entweder entlang von Flüssen oder einfach mit geraden Linien auf der Landkarte gezogen. Viele Konflikte innerhalb wie zwischen den Ländern, die dort immer noch schwelen, sind auf diese willkürliche Grenzziehung zurückzuführen. Die traditionellen Grenzen scheinen also sehr stark zu sein. Ein letztes Merkmal, das zur Bildung von Grenzen Beiträgt ist die Sprache. Sogar Länder, die eigentlich vollkommen stabil sind, wie die Belgier, bekommen sich über die unterschiedliche Sprache so sehr in die Haare, dass einige Politiker von einer faktischen Teilung sprechen. Es scheint zwar so, dass sich in den meisten Fällen die Sprache langsam an den Verlauf der „offiziellen Grenzen“ anpasst, aber manchmal sind die Traditionen so fest in der Gesellschaft verankert, dass auch nach hunderten Jahren der Einigkeit innerhalb eines Landes noch verschiedene Sprachen gesprochen werden. Es zeigt sich also, dass auch Sprachen keine feste Begründung von Ländergrenzen sein können.
Was sind denn nun Ländergrenzen? Mir erscheinen sie als eher willkürlich und konventionell festgelegte Gebilde, die einen bestimmten Einfluss, eine bestimmte Wirkung haben, aber die ansonsten keine echte Berechtigung besitzen. Nähert man sich beispielweise der französischen Grenze, so wird man feststellen, dass sich die Sprachen, die Gebräuche und die Traditionen langsam vermischen und wenn es keine Schilder gäbe, die einen darauf hinweisen, dass man nun Deutschland verlässt und Frankreich betritt, dann könnte man nur anhand der Umgebung nicht sagen, dass man nun in Frankreich ist. Es gibt vielmehr einen sehr fließenden Übergang der Kultur und der Gepflogenheiten der Menschen. Das gleiche dürfte auch für die allermeisten anderen Grenzübergänge gelten. Wer Großeltern hat, die aus Ostpreußen oder Oberschlesien stammen, wird vielleicht auch erlebt haben, dass sie sich als „Deutsche“ bezeichnen, obwohl sie aus dem heutigen Polen stammen. In meinen Fall bezeichnen sie ihre Heimat weiterhin als „Deutsch“, auch wenn zumindest meine Oma sich als gebürtige Polin betrachtet. Die Nationalität hat für sie weniger etwas mit den Ländergrenzen als mit der Kultur, der Geisteshaltung, vor allem der Mentalität der Menschen in dem jeweiligen Gebiet zu tun. Natürlich ist diese Beurteilung ziemlich subjektiv und kann dazu führen, dass Gebiete in der Pfalz von einigen Menschen als „Französisch“ tituliert werden, während sie gleichzeitig an Bayern angrenzende Teile der Ukraine als „Deutsch“ bezeichnen. Ländergrenzen sind anscheinend also eher eine Orientierungshilfe, als eine gute Definition dafür, wo ein Land aufhört und wo es beginnt, da ein Land aus mehr als seinen Grenzen besteht. Die Mentalität, die Sprache, die Kultur und die Geisteshaltung der Bewohner eines Landes sind für mich ausschlaggebend dafür, ob ich etwas als eher deutsch, französisch, polnisch etc. bezeichnen würde. Diese Bezeichnung ist sicherlich alles andere als Objektiv, aber mir fällt kein objektives Merkmal für Landesgrenzen ein. Es scheint mir, als ob man nicht Stolz auf ein Land, eine Nationalität sein kann, da man nur durch die zufällige Geburt in dieses Land, diese Nationalität kam. Außerdem scheint es keine gute, allgemeingültige Definition davon zu geben, was ein Land eigentlich begrenzt. In gewisser Weise wünsche ich mir eine Außengrenzen-freie Gesellschaft, da diese Grenzen mehr oder minder willkürlich sind und unter Umständen mehr Ressentiments schüren als verhindern.   

Es gibt keine Grenzen. Weder für Gedanken, noch für Gefühle. Es ist die Angst, die immer Grenzen setzt.  
Ingmar Bergman

1 Kommentar:

  1. Ich möchte gar nicht so viel dazu sagen nur:
    "während der Kolonialisierung wurden viele traditionelle Grenzen einfach Missachtet und die neuen Grenzen stattdessen entweder entlang von Flüssen oder einfach mit geraden Linien auf der Landkarte gezogen."

    Genau so etwas habe ich in meiner LK Sowi Klausur geschrieben, das man die heutigen Grenzen aufheben und an die Stämme anpassen müsste damit erst mal so viel Frieden herrscht das dort auch eine Infrastruktur entstehen kann.

    Das ist recht gewagt fürs Abi und ich bin gespannt was da an Punkten bei rumkommt.

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