Das schärfste Mittel, das jede Diktatur gegen Oppositionelle hat ist die Zensur. Man kann Menschen erschießen, bedrohen, verschwinden lassen und öffentliche Versammlungen verbieten. Solange diese Menschen aber die Möglichkeit haben, sich durch irgendein Medium zu organisieren und darüber ihre Meinung zu äußern, müssen die Diktatoren ständig eine Revolution fürchten. Wenn dieser Gedankenaustausch verhindert wird, geht es der Vision, dem Traum, für den gekämpft wird, häufig wie einem Bakterium in einem für ihn ungünstigem Medium: Es kapselt sich ein und verfällt in einen langen Zustand der Stasis. Die Vision ist damit aber nicht gestorben, sie befindet sich nur in einem „Winterschlaf“ in den Köpfen von einigen Menschen und wird wieder lebendig, wenn die Möglichkeiten dafür wieder vorhanden sind. Ein gutes Beispiel hierfür ist die „Deutsche Revolution“ 1848. Zwar bleiben die alten Mächte weiterhin an der Macht, aber das Volk hatte gemerkt, wie viel Macht es hat. 1918 hat es dann von dieser Macht sehr nachdrücklich Gebrauch gemacht und damit die erste Phase der Demokratie seit der Gründung des „Heiligen römischen Reiches deutscher Nationen“ eingeleitet. Die Macht der Visionen ist auch der Grund für die Bücherverbrennungen, die gerne von Diktatoren veranstaltet werden. Diese Verbrennungen sind allerdings nicht mehr als ein Zeichen der Hilflosigkeit, weil die Idee, die hinter diesen Büchern steckte, die Visionen, die in ihnen beschrieben wurden, schon lange in den Köpfen von Menschen angekommen sind. Und die einzige Möglichkeit, diesen Gedanken dort wieder zu entfernen, ist in den meisten Fällen den Menschen zu töten. Das Schöne an Träumen ist jedoch, dass sie nicht an einen bestimmten Menschen gebunden sind, sondern von mehreren Menschen gleichzeitig erlebt werden. Wenn diese Träume auf fruchtbaren Grund fallen, entwickeln sie sich zu Visionen, die mit vielen anderen Menschen geteilt werden. Und diese Visionen können sich zu Idealen weiterentwickeln, für die ohne Rücksicht auf das eigene Leben eingestanden wird, weil man ihnen einen höheren Wert als dem eigene Leben zuspricht. Wenn ein Traum einmal eine Vision geworden ist, ist er in der Regel nicht mehr zu bremsen. Der sogenannte „Arabische Frühling“ ist wahrscheinlich das perfekte Beispiel dafür. Die Menschen demonstrierten gegen die Machthaber, in dem Wissen, das sie jederzeit getötet werden können. Sie hatten keine Angst mehr vor ihrem eigenen Tod, weil sie wussten, dass jeder Tote ihre Vision nur noch stärken wird. Rhetorische Fähigkeiten sind aus genau diesem Grund etwas sehr wichtiges. Wenn man es als Redner schafft, seinen Traum als eine Vision darzustellen, für die es sich lohnt zu sterben, dann hat man eine unglaubliche Macht gewonnen. Hitler mag militärisch ein absoluter Versager gewesen sein, doch er war ein brillanter Rhetoriker, der es schnell schaffte, Menschen für seine Sache zu begeistern. An diesem Beispiel wird auch die Janusköpfigkeit der Macht der Gedanken deutlich. Man kann die Vision einer Demokratie in den Köpfen der Menschen verbreiten und damit die Lebensbedingungen dieser Menschen bedeutend verbessern. Man kann allerdings auch rassistisches Gedankengut in die Köpfe der Menschen einpflanzen, und damit erheblichen Schaden anrichten. Ein brillanter Rhetoriker allein keine Würdigung verdient, er ist nur das Medium. Ein brillanter Rhetoriker mit einem genialen Traum hingegen sollte geachtet werden, weil er in der Lage ist, diesen Traum in die Köpfe seiner Mitmenschen einzupflanzen. Es gibt keine größere Waffe auf diesem Planeten als die richtige Idee im Kopf der richtigen Person. Die Französische Revolution zeigt dies besonders deutlich. Das gesamte Volk wurde von verschiedenen Ideen infiziert, die alle eine halbwegs demokratische Grundrichtung hatten. Die Konflikte, die aufgrund dieser Visionen ausgetragen wurden, wurden natürlich mit aller Unerbittlichkeit und Härte ausgetragen, weil die Vision schließlich mehr als das eigene Leben wert ist.
Es ist beruhigend zu sehen, dass es noch Menschen gibt, die auch in der heutigen Zeit noch zu ihren Idealen stehen und diese Verteidigen. Beunruhigend ist es allerdings, wenn man sieht, dass diese Menschen in der Regel für Demokratie kämpfen und dabei grundsätzlich ihr eigene Leben riskieren und die Länder, in denen diese Vision schon lange Realität ist, sich nicht großartig dafür interessieren. In Deutschland scheint es auf politischer Ebene schon lange nicht mehr wichtig zu sein, für ein Ideal oder eine Vision zu stehen. Auch die rhetorischen Fähigkeiten scheinen leider keine große Rolle mehr zu spielen. Aber auch in Deutschland reicht manchmal schon ein Wort der Presse um große Persönlichkeiten fallen zu lassen. Die Macht des Gedanken und seinem weiteren Produkt, des Wortes, ist in der Menschheitsgeschichte eher größer als kleiner geworden. Man sollte sich dieser Macht immer bewusst sein, denn sie kann einem das Leben sowohl retten als auch kosten.
Am Anfang war der Gedanke...
erst danach kam das Wort
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