Der Konflikt in der Ukraine
schwelt schon seit geraumer Zeit, aber lange sah es so aus, als ob er ablaufen
würde wie die meisten mehr oder minder gewaltfreien Umbrüche in der jüngeren Vergangenheit.
Bis zur Vertreibung von Janukowitsch hielten sich auch alle Beteiligen mehr
oder weniger an das universelle „Drehbuch der Geschichte“ – so weit, bekannt.
Am 28.2. änderte sich die Situation jedoch auf einmal gewaltig. An jenem
Freitag tauchten in den verschiedensten Medien plötzlich Berichte über nicht
gekennzeichnete Soldaten auf der Halbinsel Krim auf. Es kam zu Straßensperren,
der Blockade vom Parlament und eines Flughafens und aufgrund dessen zur
Kurzzeitigen Einstellung des Flugverkehrs. Da sich die Ukraine zumindest
teilweise schon auf einen Bürgerkrieg zubewegt hat, war es erst einmal nicht
verwunderlich, dass die eher russisch gesinnten Krim-Bewohner eine eigene
Bürgerwehr bildeten, um ein Gegengewicht zu den eher westlich gesinnten
Bürgerwehren auf dem Maidan zu haben. Was jedoch sehr schnell auffiel war, dass
diese „Selbstverteidigungskräfte“ nicht nur wie professionelle Soldaten mit
schweren Waffen und sogar panzerbrechenden Waffen gesehen wurden, sondern dass
ihre Aktionen sehr koordiniert und zielstrebig abliefen. Während die
Bürgerwehren in Kiew definitiv als Bürger unter Waffen zu erkennen waren, die
offensichtlich kaum Erfahrung mit dem Besetzten von Gebäuden und strategischen
Planungen hatten, schienen diese „Selbstverteidigungstruppen“ ziemlich straff
organisiert zu sein. Das einen Tag später die ersten russischen Fahrzeuge auf
Krim auftauchten, bestätigte dann nur das, was sowieso schon vermutet wurde:
Diese Einheiten waren mehrheitlich russische Soldaten, die keine Hoheitszeichen
trugen. Das Fehlen von Hoheitszeichen auf der Uniformen ist zwar ein Verstoß
gegen die Genfer Konventionen und die Haager Landkriegsverordnung – beide sind
von Russland ratifiziert -, aber in der momentanen Situation dürfte dass das
geringste Problem darstellen. Es dauerte noch etwas, bis dann endlich russische
Offizielle zugaben, dass sich russische Truppen auf Krim befinden. Ihr
Aufenthalt dort sei aber im Rahmen der verschiedenen Verträge, die die Ukraine
mit Russland über den Stützpunkt der Schwarzmeerflotte abgeschlossen hat, und
somit vollkommen legal. Außerdem müssten diese Einheiten die Sicherheit der
Krimbevölkerung gewährleisten, da sie aufgrund der Unruhen in Kiew um ihr Leben
fürchten müssten. Im Großen und Ganzen hat sich die Situation bis jetzt nur
noch marginal verändert, aber gerade diese marginalen Veränderungen zeigen, wie
Weltpolitik heute funktioniert! Denn eigentlich handelt es sich bei der
gesamten Aktion „nur“ um ein besonders interessantes Schachspiel mit sehr hohen
Einsätzen.
Bei der folgenden Betrachtung
lasse ich bewusst jegliche moralischen Aspekte außer Acht, weil das alles nur „unnötig“
verkomplizieren würde. Durch die Destabilisierung der ukrainischen Führung
konnte Russland den ersten Zug machen – es besetzte Flughäfen, errichtete
Kontrollpunkte und belagerte die ukrainischen Kasernen – was traditionell ein
Vorteil ist.
Die Ukraine musste auf diese furiose russische
Eröffnung nun reagieren. Beide Parteien wissen, dass sie im Prinzip eine Art „Schnellschach“
spielen und müssen sehr unterschiedlich darauf reagieren. Russland muss die „Partie“
möglichst schnell für sich entscheiden, um sich nicht finanziell zu überheben
und um kein PR-Desaster zu erleben. Die Ukraine muss möglichst lange
durchhalten, damit die westlichen Verbündeten genügend Druck auf Russland
ausüben können. Außerdem spielt die Ukraine nur mit „Bauern“, darf sich also
nicht wirklich wehren, sondern muss einfach nur verhindern, dass ihre Figuren
geschlagen werden.
Die ukrainische Reaktion auf
Russlands Eröffnung war das Anrufen der internationalen Gemeinschaft und eine Mobilisierung
aller Reservisten. Russland reagierte darauf mit dem Verweis auf die Gefährdung
der Krim-Bewohner und dass sie sich in den Rahmen der Verträge handeln.
Außerdem blockierten sie anscheinend zeitweise die Handykommunikation und
riegelten mit ihrer Flotte den ukrainischen Hafen ab. Die Ukraine erhielt als
Antwort darauf finanzielle und ideologische Rückendeckung der G7 und sperrte
ihren Luftraum für fremde Militärflugzeuge.
Kurz darauf kursierten Gerüchte
über ein angebliches Ultimatum der Russen an das Militär auf der Krim. Zwar
wurde diese Meldung ein wenig halbherzig dementiert, aber Putin, der sonst zu
allen wichtigen Ereignissen etwas zu sagen hatte, schwieg diesmal. Damit war
eine diffuse Drohung ausgestoßen, die der ukrainischen Regierung sicherlich
ziemliches Kopfzerbrechen bereitete. Ging man auf das Ultimatum ein, würde man
die Krim sofort verlieren. Ging man nicht darauf ein, riskierte man es, am
nächsten Morgen die Regierung eines Trümmerhaufens zu sein, falls einen die
russische Artillerie überhaupt am Leben gelassen hätte. Man entschied sich für
das Stillhalten und es wurde belohnt. Die elendige Pattsituation blieb damit
zwar bestehen, aber es war ein kleiner Punktsieg für die ukrainische Führung.
Die nächste Runde und noch
laufende Runde eröffnete Russland mit der Drohung, dass die Ukraine bald 30%
mehr für ihre Gasimporte aus Russland bezahlen muss – wohlwissen, dass dies
aufgrund der sehr angespannten Finanzsituation die Ukraine in den
Staatsbankrott treiben wird. Als Reaktion darauf versprachen die G7, der IWF
und die EU, dass sie der Ukraine Finanzhilfen zur Verfügung stellen werden um
den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Im Verlaufe des 4.3 haben außerdem ukrainische
Soldaten mehrfach versucht unbewaffnet russische Blockaden an Flughäfen und
Kasernen zu durchbrechen. Die (vermutlich, da nicht gekennzeichneten) russischen
Soldaten stoppten sie mit Schüssen in die Luft und drohten, im Zweifelsfall die
„angreifenden“ unbewaffneten ukrainischen Soldaten zu erschießen.
Die nächsten Tage werden zeigen,
wie die Partie weiter gespielt wird, gerade da Russland die Zeit davon läuft.
Verliert ein Spieler die Übersicht und es fällt ein einziger Schuss dürfte das
den vollkommen unnötigen Tod von vielen Personen zur Folge haben und in einer
Besetzung der Ukraine durch Russland enden. Noch ist niemandem daran gelegen,
dass es soweit kommt, aber wer weiß ob das so bleibt.
Ich selber beobachte die
Geschehnisse in der Ukraine mit einer Mischung aus Verachtung und Bewunderung.
Verachtung für die so offensichtliche Grenzverletzung und die Dreistigkeit von
Putin. Bewunderung für die unglaublich geschickte Inszenierung der gesamten
Aktion und die überaus intelligente Taktik, die bis jetzt dahinter zu stecken
scheint. Hoffentlich halten sich alle beteiligten Parteien mit der Anwendung
von Gewalt zurück, damit wir nicht Zeitzeugen einer der größten europäischen
Katastrophen dieses Jahrzehntes werden.
Der kalte Krieg - anscheinend immer noch etwas (zu) warm
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