Wenn eine Beziehung nach neun Jahren zu Ende geht, ist es der Regelfall,
dass an nicht so einfach darüber hinweg kommt. Man wird sich an die „guten
Zeiten“ zurückerinnern, immer wieder daran denken, wie schön es doch eigentlich
war und vielleicht auch das Ende bereuen. Bei einer Beziehung zwischen zwei
Menschen wird das eigene soziale Umfeld solche Gedanken und Emotionen auch
meist verstehen, da sie zu erwarten sind. Verlustgefühle treten aber ( leider?)
nicht nur bei einem Beziehungsende zwischen zwei Personen auf.
Nach neun Jahren ist nun meinen „Beziehung“ zu meiner Schule zu Ende
gegangen. Es war ein Ende mit Vorankündigung; ein Ende, auf das man sich
eigentlich vorbereiten kann. Aber irgendwie schien es immer so weit fern zu sein.
Als dann aber der Tag kam, an dem wir unsere Zeugnisse überreicht bekamen,
überfiel mich die Gewissheit, dass ich nur noch zu den Abiturprüfungen dieses
Gebäude betreten muss. Und in diesem Moment begann mein „emotionales Ich“ die
Endgültigkeit des Abschiedes zu begreifen. Es mag komisch klingen, dass man
sich nach dem Ausscheiden aus der Schule traurig und leer vorkommt, aber für
mich war meine Schule immer mehr als nur ein hässlicher Betonklotz. Es gibt an
meiner Schule eine Gruppe von Lehrern, die eigentlich fast alle Aktivitäten
initiieren oder unterstützen. Diese Lehrer bezeichne ich als die „Seele“ der
Schule, da sie die Schule zu mehr machen als nur einem Unterrichtsgebäude. Ich
hatte das unglaubliche Glück schon zu Beginn meiner Schullaufbahn über Lehrer
zu stolpern, die die „Seele“ der Schule darstellten. Durch den Zufall bin ich in der 7. Klasse an
einen dieser Lehrer geraten.
Mein schulisches Engagement begann in der Schülerzeitung. Nach einigen
zaghaften Versuchen habe ich angefangen ziemlich kontinuierlich Artikel zu
schreiben und war damit rasch produktiver als die meisten anderen Redakteure.
Der Lehrer, der die Schülerzeitung betreute, fing an mich in meiner Recherche
zu unterstützen und sprach mir Mut zu, wenn ich Lehrer zu Themen befragte, die
für sie nicht unbedingt angenehm waren. Dieser Lehrer wurde für die nächsten
Jahre eine Art „Mentor“ für mich. Durch ihn wurde ich dreister und
zielstrebiger. Ein Jahr darauf wurde ich dann in die SV meiner Schule
eingeladen und ab da wuchst die Anzahl der AGs, die ich besuchte stetig. Mit der
Einladung in die SV begann für mich ein ganz neues Kapitel Schulgeschichte, da
ich endlich die Möglichkeit bekam, die Dinge, die mir nicht passen zu ändern.
In der Schülerzeitung konnte ich nur über sie berichten, jetzt konnte ich
endlich wirklich etwas bewirken. Ich fing an mich in die SV-Arbeit zu vertiefen
und war rasch in verschiedenen Planungsgruppen. Durch diese Arbeit lernte ich
die anderen Lehrer kennen, die die „Seele“ der Schule bildeten. Dadurch, dass
ich aufgrund der AGs meist länger in der Schule blieb, viel mit verschiedenen
Lehrern zu tun hatte und mit vielen Lehrern außerunterrichtlich per „Du“ war,
ist die Schule für mich eine zweite Familie geworden.
Das klingt wahrscheinlich armselig und ich sehe diesen Punkt selber ein
wenig kritisch. Diese Identifikation mit der Schule wurde mir auch von vielen
Lehrern nicht abgenommen, da sie mich auch als Kritiker kannten. Aber probiert
man nicht das, was man gerne hat zu verbessern? Möchte man denn nicht Fehler,
die man erkannt hat, beheben? Trotzdem hatte diese besondere Beziehung zur
Schule einen unschätzbaren Vorteil: Sie motivierte! Es gab kaum Tage, an denen
ich wirklich keine Lust hatte zur Schule zu gehen. Nicht, weil ich den
Unterricht so toll fand oder ich das Gebäude besonders mochte. Sondern, weil
ich das Gefühl hatte, willkommen zu sein. Ein angenehmer Nebeneffekt ist auch,
dass ich deshalb auch motivierter war zu lernen oder für die Schule zu
arbeiten. Ich habe es mit meinem schulischen Engagement wahrscheinlich deutlich
übertrieben, aber ein wenig mehr Identifikation mit der Schule dürfte bei den
meisten Schülern die Motivation doch steigern.
Diese neun Jahre Schule, neun Jahre „Zweitfamilie“, haben deutlich mehr
gebracht, als neun Jahre Unterricht. Organisieren lernt man nicht im
Unterricht, wohl aber in AGs. Und dass eine gute Improvisationsfähigkeit
mindestens genauso wichtig ist wie exzellente Planung war auch eine wichtige
Erfahrung. Ich habe gelernt Gruppen zu leiten, selber zu unterrichten und mich
auf die verschiedenen Lerntypten von Kindern und Jugendlichen einzustellen. Geduld,
Zielstrebigkeit und Ernsthaftigkeit haben eine neue Wichtigkeit für mich
Gewonnen. Und was ich vor allem gelernt habe ist, dass in vielen Personen
riesige Potentiale stecken, die einfach ungenutzt bleiben. Vermutlich würde es
eine AG-Pflicht vereinfachen, die Potentiale zu entdecken und es den Kindern zu
Ermöglichen, dass sie sie nutzen. Neben den ganzen positiven Aspekten hat diese
besondere Beziehung aber auch einen ganz großen Nachteil gehabt: Sie war
mindestens genauso zeitintensiv wie eine Beziehung zu einem anderen Menschen!
Wenn man nicht wirklich gute Freunde hat, dürfte man sehr schnell ohne Freunde
dastehen, da man nur wenig Freizeit hat um etwas mit ihnen zu unternehmen. Und
freie Wochenenden oder freie Wochentage sind auch etwas, von dem ich viel zu häufig
nur geträumt habe.
Als Fazit könnte man festhalten, dass ich zu viel gemacht, zu wenig geschlafen und sehr viel Spaß gehabt habe. Rein rational gesehen war es wahrscheinlich ein Fehler so viel Zeit in etwas so unwichtiges zu investieren … aber ich würde diesen Fehler wahrscheinlich immer wieder machen.
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