Sonntag, 26. August 2012

Tod oder gleich Tod, das ist hier die Frage


Nachdem der „Organspende - Skandal“ nun aus den Medien verschwunden ist, ist eine trügerische Ruhe eingetreten, in der das Thema kaum angesprochen wird. Zumindest in den großen Zeitungen wird es wieder eine Zeit lang dauern, bis über das Thema wieder, positiv oder negativ, berichtet wird. In vielen kleinen Zeitungen, kirchlichen Blättern und auch bei vielen Erwachsenen in meinem sozialen Umfeld wird über das Thema aber wieder sehr kontrovers diskutiert. Neben der Diskussion darüber, ob und wie Organspenden überhaupt gerecht verteilt werden können, ist aber auch die Feststellung des Todeszeitpunktes ein sehr empfindliches Thema.

Im Moment gilt ein Mensch bei Feststellung des Hirntodes als tot. Die folgende Definition des Hirntodes kommt von der Bundesärztekammer vom 9. Mai 1997 und ist bis heute gültig. Nach dieser Definition wird auch entschieden, ob ein potentieller Organspender tot ist.  Der Hirntod wird definiert als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten.“  Damit der Hirntod festgestellt werden kann, wird der Patient einer Reihe von Untersuchungen unterzogen und es müssen wenigstens zwei Ärzte unabhängig voneinander die Diagnose „Hirntod“ stellen. Während dieser Untersuchungen wird beispielsweise überprüft, ob noch ein Pupillenreflex vorliegt oder ob das EEG noch Signale aus dem Gehirn empfängt. Wenn der Patient ein potentieller Organspender ist, dürfen diese Ärzte auch nicht zu den Ärzten gehören, die später die Organtransplantation durchführen. So weit, so sicher, könnte man meinen. Allerdings wird von einigen Ärzten und Institutionen ernsthaft daran gezweifelt, ob der Hirntod wirklich den Tod des Menschen darstellt. Aufgrund dieser Zweifel fordern immer wieder verschiedene Persönlichkeiten, meist Politiker oder Ärzte, dass man bei Hirntoten Menschen eigentlich keine Organe entnehmen darf, da man sie sonst unter Umständen tötet. Wenn erst die Organentnahme den Menschen töten würde, wäre dies doch unethisch und dürfte nicht durchgeführt werden, oder? Logisch betrachtet, ist dies nicht unbedingt der Fall!

Auch wenn von einigen Seiten daran gezweifelt wird, ob der Hirntod nun wirklich den Tod des Patienten bedeutet, so wird von niemandem daran gezweifelt, dass Patienten mit der Diagnose „Hirntod“ im Sterben liegen und meistens irreversibel geschädigt sind. Mit anderen Worten: Diese Menschen sterben in der nächsten Zeit! Ein Punkt, den Gegnern der „Hirntod“ –Diagnose gerne unter den Tisch fallen lassen ist, dass diese Patienten zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr bei Bewusstsein sind und auch kein Schmerzempfinden mehr haben. Stattdessen wird gerne berichtet, dass diese Patienten noch Stoffwechsel haben, Antikörper ausbilden, schwitzen, dass das Herz schlägt und das sogar noch Kinder in den Körpern wachsen. Auf den ersten Blick klingt dies nach eine vollkommen funktionsfähigen Körper, den man erst durch die Organentnahme tötet. Auf den zweiten Blick relativiert es sich jedoch wieder. Das stoppen des Herzschlages wird zwar landläufig häufig noch mit „Tod“ in Verbindung gebracht, hat damit aber nur sehr wenig zu tun. Natürlich stirbt man, wenn das Herz länger nicht schlägt, aber das Herz kann, wenn man weiß wie, auch wieder in Schwung gebracht werden. Dies liegt daran, dass es nicht von Gehirn gesteuert wird, sonder mehrere „Signalgeber“ besitzt, von denen der wichtigste der Sinusknoten im rechten Vorhof ist. Auch die anderen Funktionen wie Stoffwechsel oder die Ausbildung von Antikörpern werden nicht direkt vom Gehirn gesteuert, sondern hängen von vielen Regelkreisen im menschlichen Körper ab, die auch dann noch funktionieren, wenn das Gehirn schon lange tot ist. Außerdem sind diese Systeme nicht das, was eine Person ausmacht.

Eine Person zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie sich als Wesen in der Zeit begreift, Handlungen für die Zukunft planen kann, sich ihrer eigenen Vergänglichkeit bewusst ist und auch gegen ihre Instinkte handeln kann. Kann das ein Hirntoter? Nein, und, viel wichtiger, er wird es auch nie mehr können. Handelt es sich dann überhaupt noch um leben? Es mag eine Frage des persönlichen Geschmacks sein, wo man nun die Grenze zwischen „ bewussten Leben“ und „vegetieren“ zieht, aber ich denke, dass die Funktion des Gehirns essentiell ist, um eine Existenz als Leben zu bezeichnen. Vegetieren tut vieles, aber bewusst leben nur sehr wenig. Natürlich ist auch ein bloß vegetierender Mensch schützenswert, aber es stellt sich nun, bei einem potentiellen Organspender, noch eine weitere Frage: Ist er wichtiger als ein bewusst lebender Mensch? Wenn es nicht um Organspende, sondern um Notfälle geht, ist die Antwort auf diese Frage eindeutig.

Bei einem Massenanfall an Verletzten (MANV) , also beispielweise einem schweren Busunfall, werden alle anfallenden Notfallpatienten nach einem bestimmten System klassifiziert um sie effektiv behandeln zu können. In der Theorie werden sie mit Bändern oder ähnlichem gekennzeichnet, die die Schwere der Verletzung angeben. Neben den ganzen bunten Bändern, gibt es aber auch dunkelblaue. Diese werden nicht etwa an Tote verteilt, sondern an Personen, die tödlich verletzt sind und bei denen keine Chance auf Heilung besteht. Das muss nicht unbedingt heißen, dass man diese Personen nicht noch retten könnte, sondern es kann auch heißen, dass unter den gegebenen Umständen diese Person nicht mehr zu retten ist. Jedes Material, dass man an so einem Patienten „verbrauchen“ würde, könnte dann dazu führen, dass es jemanden, dem man noch helfen könnte, fehlt. In solchen Situationen wird also ganz rational so gehandelt, damit man mit den vorhandenen Mitteln das maximale erreicht. Es werden also auch hoffnungslose Patienten „geopfert“ um anderen das Überleben zu ermöglichen. Nun zurück zur Organspende. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Hirntod nicht den endgültige Tod darstellt, so ist doch gesichert, dass dieser Patient in sehr naher Zukunft stirbt. Er hat kein Schmerzempfinden mehr und muss deshalb auch nicht mit Schmerzmitteln behandelt werden. Ihm gegenüber steht eine Person, die auch in absehbarer Zukunft stirbt …  jedoch nur, wenn sie nicht behandelt wird. Diese Person hat sehr wohl Schmerzen und muss sehr aufwendig betreut werden, damit ihr Überleben weiterhin möglich ist. Wendet man hier das gleiche Verfahren wie bei einem MANV an – und es gibt keinen Grund dieses Verfahren nicht anzuwenden, da es streng rational ist – dann müsste man der Organentnahme auch in diesem Fall zustimmen. Aber kann man diese Argumentation, auch wenn sie logisch ist, zum Gesetz machen?

Beim eigenen Sterben und eigenem Tod sind die meisten Personen, auch wenn sie sonst sehr rational argumentieren, auf einmal sehr emotional. Viele möchten, dass alles getan wird, um ihr weiterleben zu ermöglichen. Ihr Wunsch ist keinesfalls falsch oder schlecht, er ist lediglich irrational und menschlich. Für diese Personen ist es wahrscheinlich eine absolute Horrorvorstellung, noch „lebend“ oder besser „vegetierend“ zum Organspender zu werden. Dabei funktioniert im „besten“ Fall ihr Körper noch ein wenig weiter, ohne Schmerzempfinden, ohne Bewusstsein. Andere Personen betrachten die Fakten rational und sehen kein Problem darin, dass ihr, eventuelles, vegetieren durch die Organspende beendet würde. Es wahrscheinlich noch lange dauern, bevor eine Todesdefinition gefunden wird, die alle Seiten glücklich stellt und solange kann man eigentlich nicht warten. Anstatt nun einen Stopp der Organspende zu fordern oder immer wieder darauf rumzureiten, dass es unter besonderen Umständen sein kann, dass man als Hirntoter nicht „richtig“ tot ist, sollte man vielleicht einfach noch einen weiteren Punkt auf dem Organspende - Ausweis hinzufügen. Man wird sich sicherlich auf eine Formulierung einigen können, die besagt, dass man sich damit einverstanden erklärt, dass einem nach der Diagnose „Hirntod“, Organe entnommen werden. Wenn man damit nicht einverstanden ist, sollte es eine Alternativmöglichkeit geben, die eine von allen anerkannte Todesdefinition verlangt. Damit wäre allen geholfen und man könnten sich diese ewigen Debatten sparen, die zu nichts führen und die Menschen eher vom Organspenden abhalten, also sie dazu anzuregen. Und das ist ein großer Fehler! 

Schützt das Vegetieren, aber rettet das Leben!

3 Kommentare:

  1. ein wirklich interessanter punkt - und eine sehr gute idee, auf dem organspendeausweiß festzulegen mit was man einverstanden wäre.
    ich bin immer wieder erstaunt, wieviel wissen du in deinen texten unterbringst und wie angenehm das zu lesen ist.
    noch mal zum kontext: ich weiß nicht genau wie das ist, aber wenn jemand wirklich "hirntot" ist, so kann der körper selber ja nicht lange "weiterleben", oder? für mich wäre die tatsache, dass der mensch (oder der körper...) ohne externes zutun nicht überleben kann, der punkt wo ich sage: hier fängt der tod an!

    für mich persönlich ist ein "dahin vegetieren" absolut nicht erstrebenswert - wenn man kein bewusstsein mehr hat und nichts mehr wahrnimmt, nichts mehr tun kann... dann ist das doch quasi schon das ende. das erinnert mich gerade an diesen prinzen, der im frühjahr einen skiunfall hatte; war (ist?) der nicht auch hirntod?

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  2. vielen dank für deine ausführlichen worte =)

    ich meine mal gehört zu haben, dass der prinz friso in einem künstlichen koma läge... was jetzt mich an einen punkt in meiner erinnerung führt: eine verwandte hatte einen gehirntumor, der ihr entfernt wurde, nachdem sie in ein künstliches koma versetzt worden ist (leider weiß ich gar nicht wirklich was da eigentlich hinter steckt...). leider zeigte sie nach der op keinerlei anzeichen mehr, selbstständig aufzuwachen - und, soweit ich mich erinnere, war dies der grund, weshalb die lebenserhaltenden maschinen abgestellt worden sind; ob sie nun hirntot war oder nicht... das weiß ich ehrlichgesagt nicht. ich dachte immer, sie sei es nicht gewesen, aber ich will mich nicht zu weit aus dem fenster lehnen. der tumor hat meines wissens nach nur auf das gehirn gedrückt und beim entfernen ist prinzipiell nichts verletzt worden. ehrlich gesagt bin ich gerade ein wenig aufgewühlt... ich sollte nicht so viel über sowas nachdenken :|
    was auch immer ich mit diesem text jetzt sagen wollte...

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  3. Ich bin da deiner Meinung.Und ich bin für Organspenden es hat doch etwas beruhigendes zu wissen, das wenn ich sterben sollte vielleicht ein anderes Leben gerettet werden kann. Wenn man Hirntot ist stirbt man zwangsläufig und was bringt es wenn dann mein Herz einfach zum weiterschlegen gebracht wird ? Ob ich gleich sterbe oder zuerst noch ein bisschen herumvegetiere ist egal. Allerdings trifft diese Entscheidung nie der Hirntote selbst, sondern Angehörige und für diese ist das eine wirklich schwierige Entscheidung.
    liebe Grüße

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