Den Trubel, den das Urteil des Kölner Landgerichtes über die Legalität von
religiösen Beschneidungen verursacht hat, konnte wahrscheinlich niemand
vorhersehen. Dabei haben die Richter damit ein sehr sensibles Thema
angesprochen, bei dem die Emotionen leicht überkochen und die sachliche Ebene
deshalb kurzerhand verlassen wird. Bevor man sich nun dieser emotional
geladenen Debatte anschließt, sollte man sich einmal die Grundlage der
richterlichen Entscheidung vor Augen führen. Die Richter argumentierten streng
über das Grundgesetzt, dessen Beachtung für ein friedliches und produktives
Zusammenleben unentbehrlich ist. Sie beriefen sich auf den Artikel zwei: „Jeder
hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ . Dieser Artikel ist
schlicht und ausnahmslos; er gilt für jeden, diskriminiert keinen Menschen
aufgrund seines Glaubens oder seiner Überzeugungen…
Diese „Anti - Diskriminierung“ ist die Stelle, an der das Problem beginnt.
„Diskriminieren“ wird im alltäglichen Sprachgebrauch meist mit negativer
Konnotation verwendet, bedeutet aber
nicht mehr als „Unterscheiden“ oder „Abgrenzen“. Dieses Faktes sollte man sich
bewusst sein, um den folgenden Satz nicht falsch zu verstehen. Religionen wollen und müssen diskriminiert
werden! Eine Religion kann erst
durch eine Abgrenzung zu andersgläubigen überhaupt zustande kommen. Für sie ist
es also überlebenswichtig, dass sie Unterscheidungsmerkmale zu dem restlichen,
andersgläubigen sozialen Umfeld aufweist. Im Judentum und Islam ist eines
dieser vielen Unterscheidungsmerkmale die Beschneidung von jungen Knaben. Diese
Beschneidung ist ein sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe,
eine uralte Tradition … und ein Eingriff
in die körperliche Unversehrtheit. Natürlich kann man nun argumentieren, dass die
Beschneidung keinen negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Jungen hat.
Das die Jungen ohne die Beschneidung vom sozialen Umfeld nicht akzeptiert
werden. Dass es sich bei Beschneidung um keine „Verstümmelung“ handelt. Man
kann dann anfangen, sich mit all diesen Argumenten auseinanderzusetzten und
wird schlussendlich zu der Einsicht kommen müssen, dass man diesem Problem nur
mit Einzelfalllösungen Herr werden kann. Wenn man aber so an dieses Problem
herangeht, dann tut man etwas, was sich keine Person ohne sehr gute Gründe
erlauben sollte: Man ignoriert das
Grundgesetz!
Um diesen Einwand schon im Vornherein zu entkräften: Rechtspositivismus ist
schwachsinnig, verantwortungslos und gefährlich. Den Grundsatz, dass jeder
Mensch ein Recht auf seine körperliche Unversehrtheit hat, gutzuheißen, ist
jedoch kein Rechtspositivismus, sondern rational! Der Artikel zwei des
Grundgesetztes gilt, wie oben schon festgestellt, universal und kann deshalb
nicht für einzelne Gruppen einfach aufgehoben werden,… oder etwa doch? Im
Moment sieht es so aus, als ob die meisten Politiker nicht allzu viel vom
Grundgesetz halten und der Meinung sind, das Ausnahmen eben doch die Regel
bestimmten. Und in der Logik dieser Politiker dürfen diese Ausnahmen vom Grundgesetz, der Grundlage für ein
friedliches gesellschaftliches Zusammenleben,
nicht nur für religiöse Gruppierungen zustanden kommen; nein, sie müssen es sogar, damit die freie
Religionsausübung nicht gestört wird. Dass man mit dieser Form der Toleranz
nicht nur über das Ziel hinausschießt, sondern auch einem enormen Missbrauch
Tür und Tor öffnet, sollte an der folgenden Frage deutlich werden: „ Bis zu welchem Einfluss auf das Leben
eines Menschen darf man eine Ausnahme der im Grundgesetz festgelegten Rechte einfordern?“
Diese Frage ist im Prinzip nicht zu beantworten, ohne das Grundgesetz, und
damit grundlegende Menschenrechte, grundlegend zu verraten! Vom jetzigen Fall
ausgegangen, muss man argumentieren, dass
alle Eingriffe, die einen Menschen nicht töten oder keine bleibenden Schäden
hinterlassen, erlaubt sein müssten. Wenn man von diesem Grundgedanken
ausgeht und seine Konsequenzen für die Lebensrealität prüft, wird man schnell
einsehen, dass dies nicht funktionieren kann. Nach diesem Gedanken wäre es
strenggläubigen Muslimen erlaubt ihre Frauen zu züchtigen, da sie die Frauen
weder töten noch ihr weiteres Leben negativ beeinflussen, da Hämatome keine
bleibenden Schäden hinterlassen. Anhänger von Religionen, in denen der Konsum
von Drogen wie Cannabis zur Tradition gehört, könnten auch auf diesen
Leitgedanken berufen. Es lässt sich auch darüber streiten, ob eine
Diskriminierung von Frauen bleibende Schäden hinterlässt. Wenn die Frauen diese
Diskriminierung von Anfang an gewöhnt sind, sollte dies eigentlich nicht der
Fall sein und getötet werden Frauen davon auch nicht. Also könnte das Recht auf
diese Diskriminierung auch eingeklagt werden, wenn man schon eine Ausnahme für
die Bescheidungen einräumt. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Definition
von „ keine bleibenden Schäden“. Ab wann gilt eine Verletzung als Schaden? Darf
man aus religiösen Gründen als Bestrafung einen Finger abschneiden, oder ist
dies schon ein bleibender Schaden? Darf man, wie es vor allem im asiatischen
Bereich Tradition war, jungen Mädchen die Füße so bandagieren, dass sie zwar
verkrüppeln, dafür aber klein bleiben? Darf man, wie im afrikanischen Raum
üblich, die Hälse von jungen Mädchen mit einer Art Korsett aus Ringen, immer
weiter Strecken? Das solche Bräuche nicht in unserem Raum vorkommen, ist für
die Argumentation weitestgehend egal. Wenn die Beschneidung von Jungen über
eine wie oben beschrieben oder ähnliche Argumentation erlaubt wird, kann sich
die Bundesregierung und ihre Gleichstellungs- und Menschenrechtsbeauftragten
nicht mehr über solche Bräuche beschweren. Sie müssten sie dann, im Rahmen der
Religionsfreiheit, eigentlich sogar unterstützen und fördern. Das gleiche
könnte, im Extremfall, je nach Alter der Partner, für die zwangsheirat gelten. Sie
ist, je nach Gebiet, ein Religiöses oder quasi-Religiöses gut und enorm wichtig
für den Fortbestand der Religion.
Die obigen Beispiele sind bewusst provokant und teilweise etwas überspitzt
gewählt und dargestellt, aber anhand von ihnen sollte klar werden, was für
Konsequenzen die Aufweichung des Grundgesetzes haben kann. Das Urteil des
Kölner Landgerichtes ist deshalb weder rassistisch noch diskriminierend, es ist
das genaue Gegenteil. Und an der Aufregung, die darum entsteht, sieht man, wie
wenig Religion von Gleichbehandlung halten kann. Die Panik, die nun um diese
Urteil gemacht wird, ist jedoch vollkommen fehl am Platz. Das Urteil ist eine
wahrscheinlich einmalige Chance für Deutschland zu zeigen, wie sehr es zu
seinen demokratischen und menschlichen Werten steht, Werte, die die Deutschen
eigentlich aus den Erfahrungen der Vergangenheit hoch zu schätzen wissen
müsste. Und die Religion könnte endlich zeigen, dass sie mehr ist als eine
Ansammlung von alten, antiquierter,
konservativen und unbeweglicher Positionen. Sie könnte beweisen, dass sie für
die Menschen da ist, und nicht die Menschen für die Religion. Sie könnte
Wandlungsfähigkeit zeigen und damit wieder ein Stück näher an die Menschen
unserer Tage herantreten. Aber dazu wird
es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht kommen. Religionen sind starr und
mächtig, und so werden die Forderungen der jüdischen, muslimischen und
christlichen Religionsvertreter anstandslos erfüllt, ohne dabei zu bedenken,
dass dadurch diese Religionen von Gesetzeswegen bevorzugt werden, und andere
Religionen damit per Gesetz benachteiligt werden, da ihnen keine
Sonderbedingungen zugestanden wurden, die sie jedoch unter Umständen für ihre
Religionsausübung bräuchten. Falls ein
Gesetz in Gang gebracht werden sollte, dass für die Beschneidung eine Ausnahme
des im Grundgesetzes verbrieften Rechtes vorsieht, dann ermutige ich hiermit
alle Vertreter anderer Religionen, die auch bestimmte Ausnahmen von Grundgesetz
benötigen, diese Einzuklagen. Nicht, weil ich ein Freund von Religionen bin,
sondern, weil der Bundesregierung damit vor Augen geführt wird, warum das
Grundgesetz, zumindest in den ersten paar Artikeln, ausnahmslos sein muss!
Auch wenn diese für jeden Juden wie Hohn klingen muss, so gibt es doch für
die jüdischen Gemeinden eine sehr einfache Lösung. Wenn man mit der
Beschneidung so lange warten würde, bis das Kind selber über seine Religion
entscheiden darf, in Deutschland dürfte dies ab dem 12. oder 14. Lebensjahr
möglich sein, würde eigentlich nichts mehr dagegen sprechen. Solange diese
Handlung mit Einwilligung des Kindes geschieht, gibt es keine logischen Gründe
mehr, die eine Beschneidung verbieten würden. Aber da die Thora in diesem Fall
sehr eindeutig ist, wird diese einfache Lösung wahrscheinlich auch (leider)
niemals umgesetzt werden.
Dürfen Religionen Narrenfreiheiten in einem demokratischen Land genießen?
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