Sonntag, 10. Juni 2012

Schule als Lehrmeister für das Leben?


Im deutschen Schulsystem ist das Abitur der einzige Abschluss, mit dem einem direkt, zumindest, wenn es gut ausgefallen ist, alle Türen geöffnet werden. Eine riesige Anzahl an Studienfächern, unglaublich viele duale Angebote und eine reiche Auswahl an Ausbildungen stehen einem nun zur Verfügung. Vor allem die Welt des Studiums ist für die Meisten wahrscheinlich das interessanteste und wird deshalb gerne als Ziel für die Zeit nach dem Abitur angegeben. Was kann es also wichtigeres geben, als ein gutes Abi? Kann man es überhaupt verantworten, nicht jede Unterrichtsstunde zu besuchen?

Fragen wie die beiden Obigen sind etwas, was man sich als Schüler, je nach sozialem Umfeld sicherlich häufiger anhören darf, vor allem, wenn es darum geht, dass man doch viel zu wenig für die Schule tun würde.  Gleichzeitig zeigen solche Fragen aber auch immer wieder, dass viele Menschen anscheinend vergessen haben, wie sie ihre Schullaufbahn verlebt haben. Natürlich ist es vom Schulgesetz her die Hauptaufgabe eines Schülers, in der Schule anwesend zu sein und sic h dort im Unterricht einzubringen. Es steht auch ganz außer Frage, dass die Institution „Schule“ als solche eine sehr sinnvolle Anlage ist. Aber es ist auch mehr als deutlich, dass sie einem eben nicht den Weg in ein späteres Leben ebnet. Die Berufswahl wird beispielsweise in den wenigsten Fällen in der Schule entschieden oder gefestigt. Vielmehr wird sie einem durch das Umfeld oder Praktika ermöglicht. Man kann in der Schule so viel über einen Beruf diskutieren wie man will, was wirklich zählt, ist, ob man ihn einmal ausgeführt oder beobachtet hat. Angebote wie die „Berufsberatung“ sind natürlich eine sinnvolle Hilfe dabei, sich für eine bestimmte Richtung zu entscheiden, aber die Entscheidung für einen bestimmten Beruf wird in den allermeisten Fällen erst durch ein persönliches Erlebnis, also beispielsweise ein Praktikum, gefällt. Und dieses Praktikum wurde, selbst wenn man gezwungen war, dies in der 11. Klasse durchzuführen, von einem selbst ausgesucht. Es ist also schlussendlich die Eigeninitiative, die einem in diesem Feld weiterhilft. Noch viel deutlicher wird dies im Allgemeinen „sozialen Engagement“.
 Den Umgang mit Menschen lernt man nicht in der Schule, sondern in Sportvereinen, Hilfsorganisationen wie dem DRK oder den Maltesern, AGs, politischen oder kirchlichen Vereinen. Natürlich muss man auch in der Schule mit einer ganzen Menge an verschiedenen Persönlichkeiten interagieren, aber dies geschieht meist deutlich oberflächlicher als in den eben genannten Institutionen. Die Fähigkeit, auf andere Menschen einzugehen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und nicht seine eigenen in sie zu projizieren und sie nicht nur als Mittel zum Zweck zu betrachten, wird in einem langsamen Prozess erlernt. Dieser Prozess ist jedoch enorm wichtig dafür, dass aus Menschen Personen, und aus Personen verantwortungsbewusste Personen werden, die wir in unserem Staat unbedingt benötigen. Damit dieser Prozess jedoch überhaupt erst stattfinden kann, müssen die Schüler mehr dürfen, als „nur“ Gruppenstunden oder Trainings zu leiten. Sie müssen beispielsweise auch Ausflüge oder Zeltlager mit organisieren und betreuen dürfen, Verantwortung für Gruppen tragen oder auch mal mit der Stadtverwaltung oder anderen Gremien sprechen können, damit sie ihre Vereine oder ihre Fahrt bezuschusst bekommen. All dies kann zwar meist außerhalb der Schulzeit stattfinden, aber eben nicht immer. Und wenn dann Zeit für solche Aufgaben auch während des normalen Unterrichtes benötigt wird, hat die Schulleitung in meinen Augen die Pflicht, diese Zeit auch zu gewähren. Aber in solchen Fällen wird zumindest in meiner Schule kaum eine Schulbefreiung erteilt. Aber ist es nicht gerade Sinn einer Schule, auf das Leben vorzubereiten? Müssen Schulen ihren Schülern nicht eigentlich Dinge beibringen, die einem im späteren Leben weiterhelfen?
Bei einem anderen Feld, das häufiger mit dem „normalen“ Unterricht kollidiert, wird dies besonders deutlich. Jede Schule bietet verschiede AGs an und ist normalerweise auch stolz auf das, was in diesen AGs erreicht wird. Es gibt jedoch unterschiedliche Toleranzbereiche von verschiedenen Schulleitungen dafür, wie etwas erreicht wurde. Wenn die SV an einer Schule einen Schulball organisiert, dann bekommt sie in wahrscheinlich allen Fällen von der Schulleitung dafür Beifall. Wenn sie nun aber  ihre Sitzungen in die Unterrichtszeit legen muss, damit sie alle Mitglieder zusammenbekommt, sieht dies an meiner Schule schon wieder ganz anders aus. Dann wird dies gerne auf die eine oder andere Weise abgelehnt, immer mit der Begründung, dass dadurch schließlich „wertvoller Unterricht“ verloren geht. Aber lernen die Schüler bei der Organisation von einem Schulball oder auch andere Feste oder Aktivitäten nicht viel mehr? Im weiteren Verlauf ihres Lebens werden sie noch vieles Organisieren müssen und wenn man diese Erfahrung schon in der Schule sammeln konnte, dann ist dies sicherlich mehr von Vorteil, als irgendwelche geschichtlichen Daten! Oder wenn sich Schüler als Schulsanitäter ausbilden lassen und auch während des Unterrichtes zu einem Notfall gerufen werden können, der sich beispielsweise in der Turnhalle ereignet hat. Ist der Unterrichtsaufall wirklich so schlimm? Die Informationen, die sie dort verpasst haben, kann ihnen ihr Sitznachbar in fünf Minuten erzählen, die Erfahrung, die sie durch das Helfen gemacht haben, nicht! Wenn Schüler lernen, auch in Notfallsituationen ruhig und rational zu reagieren und effizient zu handeln, dann haben sie damit mehr fürs Leben gelernt, als wenn sie wissen, wie man den Schnittpunkt zweier Ebenen ausrechnet! Solch ein Engagement sollte von der Schulleitung auch gefördert und nicht eingeschränkt werden.
In meinen Augen ist die Angst vor Fehlstunden sowieso vollkommen übertrieben. Natürlich muss ein Schüler regelmäßig zur Schule kommen und er sollte auch wenn er sich nicht zu 100 Prozent einsatzbereit fühlt, die Schule besuchen. Aber wenn er statt der Schule eine Uni für ein Experiment, das ihn interessiert, besuchen kann, dann sollte es ihm auch erlaubt werden. Das Gleiche gilt auch für Schüler, die in verschiedenen AGs sind und dort unter Umständen über verschiedene AG-Fahrten auch häufiger fehlen. Das, was sie dort lernen, ist meist deutlich wichtiger, als das, was sie in der Schule verpassen.

Für mich persönlich ist Schule seit der Qualifikationsphase mehr ein „Hobby“ als eine Pflicht. Da mir sehr klar ist, in welche Richtung ich beruflich später gehen werde, ist es für mich sinnvoller, meine Zeit mit diesem Fachbereich auf wissenschaftlichem Niveau zu verbringen, als diese Zeit in denselben Fachbereich auf Schulniveau zu investieren. Das bedeutet nicht, dass ich nicht mehr zur Schule gehen würde, aber dass ich bewusst Ausschau nach Veranstaltungen halte, die mich interessieren, und mich bemühe das mit der Schule in Einklang zu bringen. Das ist genau das Vorgehen, was man wenigstens nicht an meiner Schule beigebracht bekommt, aber was einem eigentlich von jedem empfohlen werden müsste: „ Probiere das aus, was dich interessiert, solange du noch die Zeit dazu hast!“ Wenn einen Informatik interessiert, dann sollte man nicht zögern und probieren in ein „Jungstudierenden“ Programm einer Uni oder einer Fachhochschule aufgenommen zu werden. Dies läuft dann zwar meist außerhalb der normalen Schulzeit, kann aber auch ab und an normale Schulzeit in Anspruch nehmen. Ist einem aber dieser Fachbereich wichtig, dann sollte man sich unter gar keinen Umständen von der Schulleitung davon abbringen lassen. Möchte man später im Bereich der Biologie etwas unternehmen, dann sollte man unbedingt probieren an Wettbewerben wie „Jugend forscht“ oder der „Biologie -Olympiade“ teilzunehmen und seine Zeit darein investieren. Benötigt man für eventuelle Experimente Zeit, Wissen oder Material sollte man nicht zögern die Schule oder Universitäten in der Umgebung zu fragen. Das, was man während solcher Wettbewerbe lernt, ist tausendmal wertvoller als das Unterrichtsmaterial, das man unter Umständen deshalb verpasst und nachlernen muss. Interessiert man sich für den philosophisch- gesellschaftlichen Bereich, dann sollte man nicht zögern und Veranstaltungen wie „Jugend debattiert“ oder „young leaders Akademien“ besuchen, selbst wenn man dafür eine Schulwoche verpasst. Das Wissen, das man dort erlangt hat, wird einem deutlich mehr helfen, als diese Woche Schule! Was man aber in allem Eifer und in aller Begeisterung für sein Fach niemals vergessen sollte, ist die Wichtigkeit des Abiturs. Egal, wie man sich engagiert, man muss IMMER das Nacharbeiten, was man verpasst hat, damit man später wirklich seinen Fachbereich bekommt und nicht wegen des NC etliche Wartesemester hat. Es lohnt sich jedoch, sich für seine Träume auch einmal länger hinzusetzen und verschiedene Dinge nachzuarbeiten. Am Ende seiner schulischen Laufbahn sollte man sich jedoch zurücklehnen und auf eine große Anzahl an Aktionen zurückblicken können, die einem Spaß gemacht haben und in denen man eine Menge gelernt hat und nicht auf dreizehn/zwölf Jahre, die man für die Schule gelebt hat. Man lebt nicht für die Schule, man lebt für seine eigenen Wünsche! Man lernt nicht in der Schule für sein Leben, sondern im eigenen Engagement! Man bekommt nicht dass, was man benötigt, wenn man zu allem „Ja und Amen“ sagt! Schule sollte gerade in den letzten zwei Jahren Spaß machen und damit sie das tut, sollte man das tun, was einem Spaß macht!

Nicht für die Schule, sondern für das Leben existieren wir!

2 Kommentare:

  1. Ich sehe es wie du: Schule allein reicht nicht. Auch wenn man in jeder Stunde anwesend ist und macht, was der Lehrer erwartet, darüber hinaus aber keine Interessen und Hobbys pflegt, wird man nach dem Schulabschluss in eine Art schwarzes Loch fallen. Der Fehler wäre dann gewesen, sich die Schule zur Lebensaufgabe gemacht zu haben.

    In meinem Fall hat es sehr gut geklappt, eigenen Interessen nachzugehen und gleichzeitig die Schulzeit zu genießen sowie einen ansehnlichen NC zustande zu bringen. Ich habe mein Interessengebiet gefunden, mich darin ausgelebt und für ein Studium in diesem entschieden, für das ich aufgrund des erreichten NCs auch nur sehr unwahrscheinlich Wartesemester haben werde.

    Die Schule nimmt sich selbst zu wichtig und vergisst, dass sie wie du erwähntest sehr theoretisch ist und nur bedingt lebensvorbereitend.

    Ein Artikel, dem ich sehr zustimme. Nur die Formulierung,man lebe nicht für die Schule, sondern für seinen Traum, ließ mich ein wenig mit den Zähnen knirschen.Schon wieder ;)

    Doch natürlich ist es abseits aller unerträglichen Klischeesprüche essentiell, eigene Ziele im Leben zu finden.

    Gruß.

    Apfelkern

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  2. ich muss sagen, dass es mir bis zur 10. klasse nicht so wichtig war, so wenig im unterricht zu verpassen wie möglich. die 11. und 12. allerdings habe ich jeden tag verflucht, den ich krankheitsbedingt oder aus anderen gründen nicht zur schule konnte. lag vielleicht an dem fachbereich, den ich mir ausgesucht hatte... und in dem ich aktuell auch beruflich tätig bin.

    mein schulleben lang war ich auf keiner schule, die dermaßen penetrant aktivitäten nicht zu entschuldigen gedenkt, die einem erfahrung lehren, wie du es hier beschreibst. hey, für die klassenfahrt mit dem großen thema "segeln" hats in der berufsschule(!) bei mir gereicht - und das fand ich persönlich auch ein wenig unsinnig. wobei es den sozialen klassenverband ein wenig gestriegelt hat.

    mir ist daher gar nicht bewusst, wie heftig das problem auf diversen schulen anscheinend ist.

    an was mich dein text allerdings erinnert ist das thema "zu wichtig nehmen" in der schule - besonders in den letzten jahren meiner schulzeit ist mir aufgefallen, dass die lehrer wirklich jedes fachbereichs der meinung waren, dass ihr fach das wichtigste sei. so ist das englischsprechen lt. des englischlehrers ja quasi das EINZIGE kriterium, dass ausschlaggeben ist, ob man einen job bekommt oder nicht. selbst chemie und bio müssten perfekt beherrscht werden, meinen die naturkundelehrer, da die themen ja essentiell zum leben seien. ganz egal was für eine berufsrichtung mein einschlagen möchte. DAS ist mir oft übel aufgestoßen...

    ich bin beeindruckt von deinem persönlichen engagement - auch wenn ich die aussage "Was kann es also wichtigeres geben, als ein gutes Abi?" dann doch etwas unschön finde... das klingt extrem abwertend gegenüber allen, die kein gutes abi haben, oder "nur" einen realschulabschluss oder weniger. zu schulzeiten habe ich mir immer nur gedacht: "abi? wozu denn? ich will geld verdienen und mich selbst finanzieren können, dafür brauche ich nicht gezwungenermaßen ein doktortitel." - und bei mir ist es abschließend auch nur ein fachabi geworden. und ich muss sagen ZUM GLÜCK habe ich das allgemeine abitur nicht gemacht. den ganzen mist, der mich nicht interessiert und den ich mir nur in die birne gekloppt hätte um eben einen "guten schnitt" zu bekommen, den ich dann 2 wochen später eh nicht mehr gewusst hätte... das wollte ich mir echt nicht antun.

    im allgemeinen: eine gute, öffentliche kritik, die meiner meinung nach sehr berechtigt ist, auch wenn ich die erfahrung so nicht teilen kann.

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