Im deutschen Schulsystem
ist das Abitur der einzige Abschluss, mit dem einem direkt, zumindest, wenn es
gut ausgefallen ist, alle Türen geöffnet werden. Eine riesige Anzahl an
Studienfächern, unglaublich viele duale Angebote und eine reiche Auswahl an Ausbildungen
stehen einem nun zur Verfügung. Vor allem die Welt des Studiums ist für die
Meisten wahrscheinlich das interessanteste und wird deshalb gerne als Ziel für
die Zeit nach dem Abitur angegeben. Was kann es also wichtigeres geben, als ein
gutes Abi? Kann man es überhaupt verantworten, nicht jede Unterrichtsstunde zu
besuchen?
Fragen wie die beiden
Obigen sind etwas, was man sich als Schüler, je nach sozialem Umfeld sicherlich
häufiger anhören darf, vor allem, wenn es darum geht, dass man doch viel zu wenig
für die Schule tun würde. Gleichzeitig
zeigen solche Fragen aber auch immer wieder, dass viele Menschen anscheinend
vergessen haben, wie sie ihre Schullaufbahn verlebt haben. Natürlich ist es vom
Schulgesetz her die Hauptaufgabe eines Schülers, in der Schule anwesend zu sein
und sic h dort im Unterricht einzubringen. Es steht auch ganz außer Frage, dass
die Institution „Schule“ als solche eine sehr sinnvolle Anlage ist. Aber es ist
auch mehr als deutlich, dass sie einem eben nicht den Weg in ein späteres Leben
ebnet. Die Berufswahl wird beispielsweise in den wenigsten Fällen in der Schule
entschieden oder gefestigt. Vielmehr wird sie einem durch das Umfeld oder
Praktika ermöglicht. Man kann in der Schule so viel über einen Beruf
diskutieren wie man will, was wirklich zählt, ist, ob man ihn einmal ausgeführt
oder beobachtet hat. Angebote wie die „Berufsberatung“ sind natürlich eine
sinnvolle Hilfe dabei, sich für eine bestimmte Richtung zu entscheiden, aber
die Entscheidung für einen bestimmten Beruf wird in den allermeisten Fällen
erst durch ein persönliches Erlebnis, also beispielsweise ein Praktikum,
gefällt. Und dieses Praktikum wurde, selbst wenn man gezwungen war, dies in der
11. Klasse durchzuführen, von einem selbst ausgesucht. Es ist also
schlussendlich die Eigeninitiative, die einem in diesem Feld weiterhilft. Noch
viel deutlicher wird dies im Allgemeinen „sozialen Engagement“.
Den Umgang mit Menschen lernt man nicht in der
Schule, sondern in Sportvereinen, Hilfsorganisationen wie dem DRK oder den
Maltesern, AGs, politischen oder kirchlichen Vereinen. Natürlich muss man auch
in der Schule mit einer ganzen Menge an verschiedenen Persönlichkeiten
interagieren, aber dies geschieht meist deutlich oberflächlicher als in den
eben genannten Institutionen. Die Fähigkeit, auf andere Menschen einzugehen,
ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und nicht seine eigenen in sie zu projizieren und
sie nicht nur als Mittel zum Zweck zu betrachten, wird in einem langsamen
Prozess erlernt. Dieser Prozess ist jedoch enorm wichtig dafür, dass aus
Menschen Personen, und aus Personen verantwortungsbewusste Personen werden, die
wir in unserem Staat unbedingt benötigen. Damit dieser Prozess jedoch überhaupt
erst stattfinden kann, müssen die Schüler mehr dürfen, als „nur“ Gruppenstunden
oder Trainings zu leiten. Sie müssen beispielsweise auch Ausflüge oder
Zeltlager mit organisieren und betreuen dürfen, Verantwortung für Gruppen
tragen oder auch mal mit der Stadtverwaltung oder anderen Gremien sprechen
können, damit sie ihre Vereine oder ihre Fahrt bezuschusst bekommen. All dies
kann zwar meist außerhalb der Schulzeit stattfinden, aber eben nicht immer. Und
wenn dann Zeit für solche Aufgaben auch während des normalen Unterrichtes
benötigt wird, hat die Schulleitung in meinen Augen die Pflicht, diese Zeit
auch zu gewähren. Aber in solchen Fällen wird zumindest in meiner Schule kaum
eine Schulbefreiung erteilt. Aber ist es nicht gerade Sinn einer Schule, auf
das Leben vorzubereiten? Müssen Schulen ihren Schülern nicht eigentlich Dinge
beibringen, die einem im späteren Leben weiterhelfen?
Bei einem anderen Feld,
das häufiger mit dem „normalen“ Unterricht kollidiert, wird dies besonders
deutlich. Jede Schule bietet verschiede AGs an und ist normalerweise auch stolz
auf das, was in diesen AGs erreicht wird. Es gibt jedoch unterschiedliche Toleranzbereiche
von verschiedenen Schulleitungen dafür, wie etwas erreicht wurde. Wenn die SV
an einer Schule einen Schulball organisiert, dann bekommt sie in wahrscheinlich
allen Fällen von der Schulleitung dafür Beifall. Wenn sie nun aber ihre Sitzungen in die Unterrichtszeit legen
muss, damit sie alle Mitglieder zusammenbekommt, sieht dies an meiner Schule
schon wieder ganz anders aus. Dann wird dies gerne auf die eine oder andere
Weise abgelehnt, immer mit der Begründung, dass dadurch schließlich „wertvoller
Unterricht“ verloren geht. Aber lernen die Schüler bei der Organisation von
einem Schulball oder auch andere Feste oder Aktivitäten nicht viel mehr? Im
weiteren Verlauf ihres Lebens werden sie noch vieles Organisieren müssen und
wenn man diese Erfahrung schon in der Schule sammeln konnte, dann ist dies
sicherlich mehr von Vorteil, als irgendwelche geschichtlichen Daten! Oder wenn
sich Schüler als Schulsanitäter ausbilden lassen und auch während des
Unterrichtes zu einem Notfall gerufen werden können, der sich beispielsweise in
der Turnhalle ereignet hat. Ist der Unterrichtsaufall wirklich so schlimm? Die
Informationen, die sie dort verpasst haben, kann ihnen ihr Sitznachbar in fünf
Minuten erzählen, die Erfahrung, die sie durch das Helfen gemacht haben, nicht!
Wenn Schüler lernen, auch in Notfallsituationen ruhig und rational zu reagieren
und effizient zu handeln, dann haben sie damit mehr fürs Leben gelernt, als
wenn sie wissen, wie man den Schnittpunkt zweier Ebenen ausrechnet! Solch ein
Engagement sollte von der Schulleitung auch gefördert und nicht eingeschränkt
werden.
In meinen Augen ist die
Angst vor Fehlstunden sowieso vollkommen übertrieben. Natürlich muss ein
Schüler regelmäßig zur Schule kommen und er sollte auch wenn er sich nicht zu
100 Prozent einsatzbereit fühlt, die Schule besuchen. Aber wenn er statt der
Schule eine Uni für ein Experiment, das ihn interessiert, besuchen kann, dann
sollte es ihm auch erlaubt werden. Das Gleiche gilt auch für Schüler, die in
verschiedenen AGs sind und dort unter Umständen über verschiedene AG-Fahrten
auch häufiger fehlen. Das, was sie dort lernen, ist meist deutlich wichtiger,
als das, was sie in der Schule verpassen.
Für mich persönlich ist
Schule seit der Qualifikationsphase mehr ein „Hobby“ als eine Pflicht. Da mir
sehr klar ist, in welche Richtung ich beruflich später gehen werde, ist es für
mich sinnvoller, meine Zeit mit diesem Fachbereich auf wissenschaftlichem
Niveau zu verbringen, als diese Zeit in denselben Fachbereich auf Schulniveau
zu investieren. Das bedeutet nicht, dass ich nicht mehr zur Schule gehen würde,
aber dass ich bewusst Ausschau nach Veranstaltungen halte, die mich
interessieren, und mich bemühe das mit der Schule in Einklang zu bringen. Das
ist genau das Vorgehen, was man wenigstens nicht an meiner Schule beigebracht
bekommt, aber was einem eigentlich von jedem empfohlen werden müsste: „ Probiere das aus, was dich interessiert,
solange du noch die Zeit dazu hast!“ Wenn einen Informatik interessiert,
dann sollte man nicht zögern und probieren in ein „Jungstudierenden“ Programm
einer Uni oder einer Fachhochschule aufgenommen zu werden. Dies läuft dann zwar
meist außerhalb der normalen Schulzeit, kann aber auch ab und an normale
Schulzeit in Anspruch nehmen. Ist einem aber dieser Fachbereich wichtig, dann
sollte man sich unter gar keinen Umständen von der Schulleitung davon abbringen
lassen. Möchte man später im Bereich der Biologie etwas unternehmen, dann
sollte man unbedingt probieren an Wettbewerben wie „Jugend forscht“ oder der „Biologie
-Olympiade“ teilzunehmen und seine Zeit darein investieren. Benötigt man für
eventuelle Experimente Zeit, Wissen oder Material sollte man nicht zögern die
Schule oder Universitäten in der Umgebung zu fragen. Das, was man während
solcher Wettbewerbe lernt, ist tausendmal wertvoller als das
Unterrichtsmaterial, das man unter Umständen deshalb verpasst und nachlernen
muss. Interessiert man sich für den philosophisch- gesellschaftlichen Bereich,
dann sollte man nicht zögern und Veranstaltungen wie „Jugend debattiert“ oder „young
leaders Akademien“ besuchen, selbst wenn man dafür eine Schulwoche verpasst. Das Wissen, das man dort erlangt hat, wird
einem deutlich mehr helfen, als diese Woche Schule! Was man aber in allem
Eifer und in aller Begeisterung für sein Fach niemals vergessen sollte, ist die
Wichtigkeit des Abiturs. Egal, wie man sich engagiert, man muss IMMER das Nacharbeiten, was man
verpasst hat, damit man später wirklich seinen Fachbereich bekommt und nicht
wegen des NC etliche Wartesemester
hat. Es lohnt sich jedoch, sich für seine Träume auch einmal länger hinzusetzen
und verschiedene Dinge nachzuarbeiten. Am Ende seiner schulischen Laufbahn
sollte man sich jedoch zurücklehnen und auf eine große Anzahl an Aktionen
zurückblicken können, die einem Spaß gemacht haben und in denen man eine Menge
gelernt hat und nicht auf dreizehn/zwölf Jahre, die man für die Schule gelebt
hat. Man lebt nicht für die Schule, man
lebt für seine eigenen Wünsche! Man lernt nicht in der Schule für sein Leben, sondern im
eigenen Engagement! Man bekommt nicht dass, was man benötigt, wenn man zu allem
„Ja und Amen“ sagt! Schule sollte gerade in den letzten zwei Jahren Spaß machen
und damit sie das tut, sollte man das tun, was einem Spaß macht!
Nicht für die Schule, sondern für das Leben existieren wir!
Ich sehe es wie du: Schule allein reicht nicht. Auch wenn man in jeder Stunde anwesend ist und macht, was der Lehrer erwartet, darüber hinaus aber keine Interessen und Hobbys pflegt, wird man nach dem Schulabschluss in eine Art schwarzes Loch fallen. Der Fehler wäre dann gewesen, sich die Schule zur Lebensaufgabe gemacht zu haben.
AntwortenLöschenIn meinem Fall hat es sehr gut geklappt, eigenen Interessen nachzugehen und gleichzeitig die Schulzeit zu genießen sowie einen ansehnlichen NC zustande zu bringen. Ich habe mein Interessengebiet gefunden, mich darin ausgelebt und für ein Studium in diesem entschieden, für das ich aufgrund des erreichten NCs auch nur sehr unwahrscheinlich Wartesemester haben werde.
Die Schule nimmt sich selbst zu wichtig und vergisst, dass sie wie du erwähntest sehr theoretisch ist und nur bedingt lebensvorbereitend.
Ein Artikel, dem ich sehr zustimme. Nur die Formulierung,man lebe nicht für die Schule, sondern für seinen Traum, ließ mich ein wenig mit den Zähnen knirschen.Schon wieder ;)
Doch natürlich ist es abseits aller unerträglichen Klischeesprüche essentiell, eigene Ziele im Leben zu finden.
Gruß.
Apfelkern
ich muss sagen, dass es mir bis zur 10. klasse nicht so wichtig war, so wenig im unterricht zu verpassen wie möglich. die 11. und 12. allerdings habe ich jeden tag verflucht, den ich krankheitsbedingt oder aus anderen gründen nicht zur schule konnte. lag vielleicht an dem fachbereich, den ich mir ausgesucht hatte... und in dem ich aktuell auch beruflich tätig bin.
AntwortenLöschenmein schulleben lang war ich auf keiner schule, die dermaßen penetrant aktivitäten nicht zu entschuldigen gedenkt, die einem erfahrung lehren, wie du es hier beschreibst. hey, für die klassenfahrt mit dem großen thema "segeln" hats in der berufsschule(!) bei mir gereicht - und das fand ich persönlich auch ein wenig unsinnig. wobei es den sozialen klassenverband ein wenig gestriegelt hat.
mir ist daher gar nicht bewusst, wie heftig das problem auf diversen schulen anscheinend ist.
an was mich dein text allerdings erinnert ist das thema "zu wichtig nehmen" in der schule - besonders in den letzten jahren meiner schulzeit ist mir aufgefallen, dass die lehrer wirklich jedes fachbereichs der meinung waren, dass ihr fach das wichtigste sei. so ist das englischsprechen lt. des englischlehrers ja quasi das EINZIGE kriterium, dass ausschlaggeben ist, ob man einen job bekommt oder nicht. selbst chemie und bio müssten perfekt beherrscht werden, meinen die naturkundelehrer, da die themen ja essentiell zum leben seien. ganz egal was für eine berufsrichtung mein einschlagen möchte. DAS ist mir oft übel aufgestoßen...
ich bin beeindruckt von deinem persönlichen engagement - auch wenn ich die aussage "Was kann es also wichtigeres geben, als ein gutes Abi?" dann doch etwas unschön finde... das klingt extrem abwertend gegenüber allen, die kein gutes abi haben, oder "nur" einen realschulabschluss oder weniger. zu schulzeiten habe ich mir immer nur gedacht: "abi? wozu denn? ich will geld verdienen und mich selbst finanzieren können, dafür brauche ich nicht gezwungenermaßen ein doktortitel." - und bei mir ist es abschließend auch nur ein fachabi geworden. und ich muss sagen ZUM GLÜCK habe ich das allgemeine abitur nicht gemacht. den ganzen mist, der mich nicht interessiert und den ich mir nur in die birne gekloppt hätte um eben einen "guten schnitt" zu bekommen, den ich dann 2 wochen später eh nicht mehr gewusst hätte... das wollte ich mir echt nicht antun.
im allgemeinen: eine gute, öffentliche kritik, die meiner meinung nach sehr berechtigt ist, auch wenn ich die erfahrung so nicht teilen kann.