Ein Thema, dass nicht aus den Medien verschwinden will, egal wie sehr ich es auch hoffe, ist die Situation in Syrien. Schon seit Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht in irgendeiner Onlineausgabe einer Zeitung etwas neues über die Kämpfe dort hört. Und schon seit Wochen werden diese Artikel immer wieder gleich kommentiert. Bei den meisten Artikeln lassen sich die Kommentare grob in zwei Gruppen einteilen. Die eine Gruppe besteht aus Menschen, die unbedingt wollen, dass der Westen, also die Nato/Amerika, dort entweder direkt interveniert oder wenigstens die Rebellen mit Waffen ausstattet. Im Notfall sind diese Menschen meist auch bereit, eine Intervention der arabischen Liga hinzunehmen, auch wenn sie meist Angst vor einem muslimischen Syrien haben. Die andere Gruppe an Kommentaren nimmt eine ziemlich konträre Position ein. Diese Kommentare sind der Meinung, dass man die Rebellen in Syrien Rebellen sein lassen müsse und nicht mehr machen kann, als zusehen, ob sie erfolgreich sind oder nicht. Teilweise tauchen bei diesen Kommentare auch interessante Vergleiche auf. Dort werden die Rebellen dann auf einmal als bewaffnetes Äquivalent der Stuttgart 21 Gegner dargestellt und der syrische Staat als legitim reagierende Staatsmacht. Im großen und ganzen sind diese Kommentare jedoch relativ ernst zu nehmen und die Grundforderung ist ganz klar ein Verzicht auf eine Einmischung des Westens in diesen Konflikt.
Diese Kommentare spiegeln in meinen Augen auch ziemlich gut das Wesen des Menschen wieder: Er kann nur in Extremen denken! Entweder Angriff oder Ignoranz! Man sollte einmal die Folgen von beiden Positionen beleuchten, bevor man sich über ihre Sinnhaftigkeit streitet. Fangen wir mit der einfachen Variante, dem Nichtstun, an.
Was passiert, wenn man den Konflikt einfach so weiterlaufen lässt, kann natürlich kein Mensch genau vorhersagen, aber aufgrund der langen Zeit, die dieser Konflikt schon läuft, lässt sich doch einiges mit recht großer Wahrscheinlichkeit abschätzen. Die Demonstrationen werden wahrscheinlich erst einmal weiterlaufen, was bedeutet, dass bei jeder weiteren Demonstration weitere Menschen sterben werden. Die Rebellen werden sich aus Homs vollständig zurückziehen müssen und sich andere Städte suchen, in denen sie ungestört planen und ausbilden können. Bis die Armee diese Städte gefunden und erobert hat, wir einiges an Zeit vergehen, sodass die Rebellen sich wieder von dem Schlag, den sie durch die Kämpfe in Homs erhielten, erholt haben. Und je nachdem, wie die Bevölkerung die Rebellen unterstütz, wird Syrien entweder in einem jahrelang schwelenden Bürgerkrieg ersticken oder in einen kurzen, aber heftigen Konflikt verwickelt, den wahrscheinlich die Regierung gewinnen wird. So weit, so gut. Lässt man also alles so laufen wie bisher, ist man mitschuldig an dem Tod von hunderten oder tausenden von Menschen, die sich gegen Assad aufgelehnt haben. Mitschuldig am Tod von Menschen, die für Rechte gekämpft haben, die wir für selbstverständlich halten.
Um die Folgen eines militärischen Eingriffs in Syrien abzuschätzen, kann man eine ganze Reihe von Beispielen aus der Geschichte zerpflücken. Am ehesten scheinen mir der Irak-Krieg, der Krieg in Afghanistan und die Situation in Libyen hierfür geeignet zu sein. In allen drei Konflikten hat der Westen militärisch eingegriffen und die direkten Folgen für die Bevölkerung des Staates waren immer die Selben. Wenn man die Aufzählung von der sachlichen Seite her beginnt, dann ist das erste, was einem als Folge des militärischen Eingreifens des Westen einfällt, die Zerstörung der ohnehin schon maroden Infrastruktur. Vor allem in Ballungszentren machte sich dies durch den Ausfall des Strom- , Wasser-, Telefon und Gasnetzes bemerkbar. Aber auch die Infrastruktur kleinen Dörfer und Städte, die zufällig ins Visier der Soldaten gerieten, weil sie feindliche Kämpfer beherbergten, wurde empfindlich gestört. Dies bedeutet natürlich einen enormen wirtschaftlichen Schaden für das Land, da es immer schwieriger wird Sachen zu Produzieren und zu verschicken. Neben der Beschädigung der Infrastruktur spielt auch die absichtliche oder versehentliche Zerstörung von Fabriken eine wichtige Rolle. Vor allem, wenn Kraftwerke beschädigt oder zerstört wurden, hatte dies katastrophale Folgen für die umliegenden Betriebe. Auch die Beschädigung von Raffinerien, Ölförderstellen und Gas- oder Ölleitungen ist nicht ausgeschlossen. Werden diese Gebäude beschädigt, droht neben einem fast unlöschbaren Brand auch noch der Ausfall der Energieversorgung für einen großen Teil des Landes. Als letztes sollte noch erwähnt werden, dass im Falle eines Krieges auch die letzten ausländischen Kapitalgeber sich wahrscheinlich umorientieren werden und das Land somit ohne großes Kapital dasteht. Wenn der Krieg dann beendet ist, wird es Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte dauern, um den Schaden, den einige Monate Krieg verursacht haben, wieder zu beheben. Neben den rein sachlichen Aspekten gibt es aber auch noch den humanitären Aspekt, der wahrscheinlich sogar der wichtigere Punkt ist. Die ersten Opfer einer westlichen Intervention werden die Menschen sein, die sich nicht wehren können, also alte, kranke und Kinder. Hinzu kommen häufig noch die Frauen, die mit diesen Menschen zu Hause bleiben. Man wird sich also gewöhnen müssen an Bilder von zerbombten Stadtvierteln, in denen die Leichen von kleinen Kindern, großen Kindern, Frauen, alten Menschen und vereinzelt auch Männern liegen. Natürlich gibt es moderne Bomben, die so genau zu steuern sind, dass sie sogar ein bestimmtes Haus in einer Häuserreihe treffen. Aber diese Bomben unterscheiden genauso wenig zwischen bewaffneten Personen und Kindern wie alle anderen Bomben auch. Durch die Zerstörung der Infrastruktur werden natürlich auch die Lebensbedingungen immer schlechter werden. Hunger und Krankheit werden zum täglich Brot der Bewohner der Städte gehören, die bombardiert wurden. Die Rebellen werden durch die Unterstützung wahrscheinlich noch an Mut und Anhängern gewinnen und sich irgendwann selber in die Offensive wagen. Eine große Anzahl an Kämpfern bedeutet aber auch eine große Anzahl an potentiellen Toten und da die Gewalt der Rebellen mit Gewalt von Seiten der Regierungstruppen beantwortet werden wird, wird auch die Anzahl der toten Soldaten noch stark steigen. Am Ende einer solchen Intervention des Westen wird wahrscheinlich der Sieg der Rebellen stehen, doch dieser Sieg wurde mit dem Tod von Tausenden oder sogar Zehntausenden von Menschen, die nichts mit dem Konflikt zu tun hatten, erkauft. Außerdem wird man dann vor dem Problem stehen, dass man gar nicht weiß wie man einen Staat zu führen hat. Das dies durchaus ein Problem darstellen kann, zeigt die französische Revolution sehr schön auf. Dort mussten erst mehr als zehntausend Menschen sterben, bevor man wieder eine halbwegs stabile Regierung hatte. Diese war dann auch schon wieder keine Demokratie mehr, sondern einen Monarchie, mit einem selbstgekrönten Kaiser an der Spitze. Es müsste nach einem Sieg der Rebellen also Unterstützung bei der Staatenbildung gegeben werden. Alles in allem kann man über dieses Szenario nur sagen, dass eine sehr große Anzahl an Menschen, die sich nicht aktiv in dem Konflikt beteiligten, sterben wird, bevor der Regierungswechsel erreicht wird. Und was danach kommt ist so unsicher, dass man lediglich wilde Spekulationen aufstellen kann.
Mir scheinen beide Möglichkeiten, sowohl sich einfach aus dem Konflikt herauszuhalten, als auch sich militärisch dort einzumischen, nicht wirklich sinnvoll für Bevölkerung des Landes zu sein. In beiden Fällen ist man direkt oder indirekt für den Tod von Tausenden oder Zehntausenden von Menschen verantwortlich und hat kein stabiles Staatssystem errichtet. Ob sich der Tod von so vielen Menschen auch gelohnt hat, wird erst viele Jahre später feststehen und diese Entwicklung können die Interventionsstaaten nicht beschleunigen, sondern nur unterstützen. Wenn am Ende dieser Staatenbildung dann ein muslimisch-theokratischer Staat steht, hätte man sich diesen Militäreinsatz sparen können, da dann auch wieder eine Diktatur etabliert wird. Auf den ersten Blick scheint man also in einem Dilemma zu sitzen, da jede Entscheidung zwangsläufig zu viel Tod und Verderben führt und der Ausgang immer ungewiss ist. Aber wer sagt, dass es nur diese beiden Möglichkeiten gibt.
Eine Idee, die in den letzten Tagen immer wieder mal zaghaft angeklungen ist und die mir persönlich auch am ehesten Zusagt, ist die Idee der Errichtung einer Schutzzone um die Städte, in denen Momentan Gefechte zwischen Rebellen und Regierungstruppen stattfinden. Auch dieses Verfahren ist geschichtlich erprobt, am bekanntesten ist wahrscheinlich die Schutzzone um Srebrenica. Dort hatte die Schutzzone allerdings versagt und des kam zu einem Genozid innerhalb der Stadt, der ca. 8000 Menschen das Leben kostete. Wenn die Schutzzone jedoch funktioniert, wäre dies ein gewaltiger Schritt in Richtung Waffenstillstand und würde neue Verhandlungsmöglichkeiten aufzeigen. Dass die Zivilbevölkerung vor weiteren Angriffen von beiden Seiten, also sowohl von Rebellen als auch von der Regierung, geschützt werden muss, scheint klar zu sein. Wenn also die Städte, in denen Momentan gekämpft wird von NATO-Einheiten kontrolliert würden, die keine Partei ergreifen, sondern „einfach“ die Rebellen von den Regierungstruppen trennen und die Zivilbevölkerung schützen, könnten Friedensverhandlungen möglich werden. Das Ziel dieser Verhandlungen sollte natürlich ein halbwegs Demokratischer Staat ohne Assad sein, aber da in der Zwischenzeit keine weiteren Kämpfe stattfinden sollten, hätte die NATO eine Menge an Zeit um Syrien die notwendige Unterstützung bei der Regierungsbildung zukommen zu lassen. Außerdem würde die Opferzahl unter der Zivilbevölkerung wahrscheinlich ziemlich gering bleiben. Natürlich weiß ich nicht, ob dies alles so funktionieren könnte, aber es klingt für mich zumindest sinnvoller als entweder dabei zuzugucken, wie die Menschen sterben oder sich aktiv daran zu beteiligen, dass Menschen sterben.
Was mich immer wieder schockiert hat, ist die Selbstgefälligkeit, mit der viele Menschen die Demonstrationen in Syrien bewerten. Sprüche wie „ Wenn die Demonstranten Waffen in der Hand habe, dann müssen sie sich nicht wundern“ oder „ Da es immer nur einige hundert oder tausend Demonstranten sind, scheint die Mehrheit der Syrer doch hinter Assad zu stehen“ stimmen mich traurig. Diese Menschen, die in Syrien auf die Straßen gehen, riskieren bei jeder Demonstration ihr Leben. Sie demonstrieren nicht, weil sie Langeweile haben oder sie Demos hipp finden, sie demonstrieren, weil sie lieber sterben, als weiter so zu leben wie sie es bisher tun! Diese Menschen wissen, dass sie einfach getötet werden können und gehen trotzdem auf die Straße. In Deutschland werden die Menschen schon nervös wenn „nur“ Wasserwerfer aufgefahren werden und beschweren sich über den harten Polizeieinsatz. In Syrien würden sie so ein Vorgehen der Polizei wahrscheinlich als Erholung begrüßen. Wenn man das nächste Mal also so abwertend über die Demonstrationen in Syrien spricht, sollte man sich immer bewusst sein, dass man selber wahrscheinlich nicht den Mut hätte, sein eigenes Leben für seine Rechte aufs Spiel zu setzten. Vielmehr sollte man diesen Menschen für ihren Mut Respekt zollen, auch wenn sie sich bewaffnet haben. Der Kampf den sie Kämpfen, ist ein Kampf für Rechte, die wir für völlig selbstverständlich halten. Dies ist ein Kampf von mutigen und verzweifelten Menschen!
Müssen wirklich tausende Menschen sterben, bevor die Welt reagiert?
Es ist ärgerlich, doch es gibt meiner Meinung nach keine komplett opferlose Lösung solcher Konflikte. Selbst der goldene Mittelweg ist blutbefleckt, denn nicht alle wollen ihn einschlagen.
AntwortenLöschenInteressant ist auch der Aspekt des völlig verschiedenen Grundcharakters einer Demonstration hier und in Krisengebieten. Teilweise habe ich das Gefühl, dass Demonstrationen hierzulande für einige zu einer Art Hobby geworden sind. Sonntagsspaziergänge sind zu langweilig also geht man demonstrieren. Dabei müssen die Demonstrationen selbst gar nicht unsinnig sein: gegen Atomkraft, ACTA oder Gentechnik im Essen zu protestieren erscheint mir sinnvoll, nur ist ein Bruchteil der Demonstranten ein ernsthafter Vertreter der gezeigten Position.
In Syrien wird stärker selektiert; es demonstrieren nur die wirklich überzeugten.