Donnerstag, 2. Februar 2012

Massaker an der Meinungsfreiheit ?

Die höchsten Güter in einer Wohlstandsgesellschaft sind immaterieller Art. Normalerweise sind diese Güter als Rechte im Grundgesetzt festgeschrieben und diese Rechte haben häufig das Wort „Freiheit“ im Namen. Freiheiten sind wahrscheinlich eine der wichtigsten Errungenschaften der modernen Geschichte, den noch vor etwas über 200 Jahren konnte man noch nicht einmal seinen Wohnort, geschweige den seinen Beruf frei wählen. Und wer von einer Liebesheirat träumte wurde damals nur müde belächelt. Diese Freiheiten wurden erst durch die Demokratisierung der einzelnen Staaten möglich. Demokratien sind eine extrem junge Erfindung und ihre Wurzeln sind diese Freiheiten, besonders die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und die Versammlungsfreiheit.
Nun möchte Frankreich ein Gesetzt beschließen, dass das Leugnen von „Völkermorden“ unter Strafe stellt und der türkische Premierminister Erdogan hält dies für „ein Massaker an der Meinungsfreiheit“ . Um diese Äußerung richtig zu verstehen, muss man vielleicht ein bisschen über den Hintergrund dieses Gesetzt wissen. Frankreich hat eine Reihe an Massentötungen als Völkermord anerkannt und will nun ein Gesetzt einführen, was das Leugnen von diesen Massentötungen mit bis zu einem Jahr Gefängnis und einer hohen Geldstrafe ahnden kann. Unter diesen Völkermorden, die Frankreich anerkannt hat, ist allerdings auch die Tötung einer sehr großen Anzahl von Armeniern ( ca. 1 Million) durch das osmanische Reich im Zeitraum von 1914-1918. Und da die Türkei der Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches ist, trägt sie auch die Verantwortung für dieses Verbrechen weiter. Vielleicht mag diese Logik dem einen oder anderen unpassend erscheinen, aber auch Deutschland trägt berechtigter Weise die Bürde des 2. Weltkrieges, auch wenn er, rein rechtlich, von einem anderen Staat begangen wurde. Dies ist nicht so zu verstehen, dass die heutigen Generationen die Schuld für diese Handlungen tragen. Sie sind vollkommen schuldfrei! Aber sie sollten sich bewusst sein, was passiert ist und dem angemessen gedenken.  Die Reaktion der Türkei ist in diesem Zusammenhang nun für mich ziemlich unverständlich. Zum einen, weil sich Frankreich gar nicht direkt an die Türkei richtet, sondern nur allgemein die Leugnung von Völkermorde verbietet. Es kommt quasi einem Bekennen gleich, das Erdogan so hart reagiert. Zum anderen, weil er dieses Gesetzt mit einem „Massaker an der Meinungsfreiheit“ vergleicht. Vielleicht liegt dies an Erdogans Definition von Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist eigentlich die Freiheit, jede beliebige Meinung, solange sie nicht bewiesener Maßen falsch ist, äußern zu dürfen. Diese Definition entspricht wahrscheinlich nicht der Offiziellen Definition, aber sie beinhaltet einen sehr wichtigen Aspekt, der nicht vernachlässigt werden darf. Wenn man einem Menschen sagt, das man bei Rot über gehen darf und dieser Mensch diesem Rat folgt und dabei verletzt wird, ist wird man vor Gericht einen großen Teil, wenn nicht sogar die gesamte Schuld tragen. Meinungsfreiheit also bestimmte Grenzen. Diese Grenzen sollten auch für wissenschaftliche Themen gelten. Wer behauptet, dass keine Evolution stattgefunden hat, sollte genauso für ein Idiot gehalten werden, wie jemand, der behauptet, dass Kupfer schlecht den Strom leitet. Und keiner von diesen Menschen sollte diese Aussage ungestraft in einem öffentlichen Amt tun können. Nun mag es bei wissenschaftlichen Diskussionen ohne großartige menschliche Ebene noch keine großartige Relevanz haben, ob die eine oder andere Meinung nun wahr ist. Wenn die Diskussion aber das Leben und Sterben von hundertausenden Menschen betrifft, dann verlangt die Logik eine etwas andere Vorgehensweise. Die Gestattung einer Lüge über ein geschichtliches Ereignis, das den Tod von vielen Menschen zur Folge hat, hat in meinen Augen etwas sehr makaberes. Leben ist zu wertvoll um einfach so verschwendet zu werden! Dies gilt auch für menschliches Leben und der sinnlose Tod von sehr vielen Menschen ist eine Tat, die man allein deshalb schon nicht in Vergessenheit geraten lassen sollte, weil es fast schon einer Missachtung der ermordeten gleichkommen würde. Natürlich könnte man einwenden, dass man nach diese Logik jeder größeren Schlacht, jeder Hungersnot und jeder anderen Katastrophe ein Denkmal setzten müsste. Mir scheint es aber angebracht zu sein, vor allem menschengemachten Katastrophen der jüngeren Vergangenheit zu gedenken, weil man anhand von ihnen noch am plastischsten nachvollziehen kann, was sich dort für ein menschliches Versagen ereignet hat. Wenn nun dieses menschliches Versagen als Völkermord anerkannt wird, ist dies keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern zeugt von Respekt für die Opfer. Und in diesem speziellen Falle wahrscheinlich auch von Wahlkampftaktik. Es ist nach Erdogan dann genauso ein „Massaker an der Meinungsfreiheit“, das man in Deutschland den Holocaust nicht verleugnen darf. Dieser Vergleich ist wahrscheinlich etwas hart, aber er dürfte den Kern der Sache treffen.
Es muss eine Zeit kommen, in der die Spezies Mensch anfängt, sich gegenseitig zu achten. Dies Achtung darf und kann nicht auf Verboten aufbauen, aber diese Verbote können Menschen für bestimmte Ereignisse sensibilisieren. Vielleicht führt der Medienrummel um dieses Gesetzt ja dazu, dass die Menschen anfangen über ihre Geschichte und die menschlichen Versagen der Vergangenheit nachzudenken und feststellen, dass es Grenzen für Lügen gibt.

Wir können nichts ungeschehen machen, aber wir können verhindern, dass soetwas erneut passiert!

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