Donnerstag, 15. Dezember 2011

Darf man foltern?


Bevor man theoretische Überlegungen darüber anstellt, ob Folter nun ethisch zu rechtfertigen ist oder nicht, sollte man sich der Tatsache bewusst werden, das Folter eine Maßnahme ist, die in Extremsituationen angewendet wird. Die Überlegungen werden sich also über die Grenzen der „Alltagsethik“ erstrecken müssen. Um das Problem der Folter zu verdeutlichen, stelle man sich einmal folgende Situation vor: Ein Mann hat ein Kind entführt und hält es an einer unbekannten Stelle versteckt. Er wird von der Polizei gefunden und verhaftet, aber von dem Kind fehlt jede Spur. Die Polizei geht davon aus, dass das Kind an einem Ort versteckt wurde, in dem es unter Umständen nur noch wenig Zeit zu leben hat, doch der Entführer weigert sich zu sagen, wo er das Kind versteckt hat. Der Polizei läuft die Zeit davon, doch sie hat keinerlei legale Druckmittel, die den Entführer dazu bringen könnten, das Versteck des Kindes sofort zu verraten. Für einige Menschen wäre diese Situation Grund genug um ihre eigentlich Folter-ablehnende Meinung zu ändern und zu sagen, das in dieser speziellen Situation die Anwendung der Folter erlaubt wäre. Sie würde wahrscheinlich damit argumentieren, dass ein Kind nicht einfach sterben  darf, nur weil der Entführer nicht verrät, wo es versteckt ist und das der mögliche Schaden am Entführer sehr stark begrenzt sein würde. Womöglich würde einige dieser Menschen ihre Argumentation noch auf die psychischen Folgen der Folter und der Entführung ausdehnen und sagen, dass das Kind wahrscheinlich einen fast irreparablen Schaden davongetragen hat, während der Entführer es eigentlich gar nicht anders verdient hat, als wenigstens anteilmäßig zu leiden. Bis hierhin mag diese Argumentation einigen Menschen vielleicht noch als schlüssig erscheinen, aber diese Menschen übersehen gerne die weiteren Folgen ihrer Denkweise. Nehmen wir für einen Augenblick mal an, dass die Folter in sämtlichen Fällen erlaubt wäre, in denen der intendierte Schaden wahrscheinlich durch den geretteten Wert wenigstens ausgeglichen wird. Damit hätte die Polizei/ der Staat ein Instrument in der Hand, dass es ihm erlauben würde jeden Menschen zu foltern, wenn er annimmt, dass er dadurch beispielsweise einen weiteren Mord, einen weiteren Banküberfall oder ähnliches verhindert. Das Problem an dieser Schlussfolgerung ist das Wort „annimmt“! Durch so ein Gesetz könnte es denkbar einfach passieren, das unschuldige Menschen gefoltert werden, weil man dachte, dass sie zu einer Terrorgruppe oder einer gefährlichen Bande gehören, die in Zukunft weitere Morde begehen könnten. Ein Mensch darf, rein logisch betrachtet, aber nur für ein Vergehen bestraft werden, dass er tatsächlich begangen hat, weil ansonsten der Willkür keine Grenzen mehr gesetzt wären. Wenn nun aber gefoltert werden darf, ohne dass man über jeden Zweifel erhaben weiß, dass die Folter einen großen Wert bringt, dann steht dies in eindeutigem Wiederspruch zu dieser Logik. Als logische Konsequenz könnte dann folgen, dass Menschen nicht mehr durch ziemlich eindeutige Beweislagen, sondern nur anhand von einigen, wenigen Indizien verhaftet und verurteilt werden können. Dies wäre ein ziemlich großer Schritt in Richtung einer Willkürgesellschaft. Oder man führt für die Folter die gleichen Richtlinien ein, die auch für eine gerechte und faire Rechtsprechung sorgen würden. Dann wäre die Folter einer Person in all den Fällen erlaubt, in denen sie garantiert einen höheren Nutzen als Schaden generiert. Das Problem an dieser schönen Formulierung ist die Realität! Selbst wenn man „garantiert“ mit „höchstwahrscheinlich“ austauscht, steht man immer noch vor zwei großen Problemen. Das erste ist die Definition von „höchstwahrscheinlich“. Eine mögliche Lösung wäre eine Anpassung der für diese Sicherheit nötigen Menge an Beweisen an die Definition von Sicherheit , die bei einer Gerichtsverhandlung ausreicht, um ein Urteil zu sprechen. Das zweite Problem gestalte sich allerdings als deutlich komplexer und geht auch direkt aus der Lösungsmöglichkeit für das erste Problem hervor. In den allermeisten Situationen, in denen die Folter nach dem oben beschriebenen Muster angewendet werden könnte, wird schlicht und ergreifend die Zeit fehlen, um die nötige Menge an Beweismaterial zu sichten. Zum anderen kann man sich fast niemals sicher sein, dass die Informationen, die man der gefolterten Person abgepresst hat, auch den verursachten Schaden aufwiegen. Wenn das Kind, um auf das Beispiel vom Anfang zurück zu kommen, schon gestorben ist, wäre die Folter des Entführers wertlos geblieben und hätte mehr Schaden als Nutzen verursacht. Wenn man von einer Terrorgruppe nur einen kleinen Fisch foltert, wird die Ausbeute an Informationen auch nicht ausreichen, um das Quälen von einem Menschen zu rechtfertigen. Die Frage nach der Nutzenberechnung lässt sich unter keinen Umständen zufriedenstellend klären! Dadurch wird automatisch die Folter unmoralisch, weil sie wahrscheinlich deutlich mehr Leid als Nutzen erzeugt! Dieses Argument wird die meisten Menschen wahrscheinlich nicht mehr beeindrucken, wenn man das obigen Beispiel folgendermaßen verändert: Durch abgehörte Telefongespräche ist der Geheimdienst einer Terrorgruppe auf die Spur gekommen, die einen großen Sprengsatz in einem Einkaufszentrum zünden möchte. Die Ermittler haben außerdem eine grobe Beschreibung einer Person die möglicherweise in das Terrornetz verwickelt ist und geben diese Person zur Fahndung aus. Es wird eine Person verhaftet, die gewisse Ähnlichkeiten mit der Beschreibung hat. Alles deutet darauf hin, dass der Anschlag in nächster Zeit stattfinden soll und der Verdächtige leugnet ab, überhaupt etwas mit dieser Terrorgruppe zu tun zu haben. Viele Menschen werden in dieser Situation lediglich den möglichen Schaden sehen und sagen, dass es gerechtfertigt wäre, einen Menschen zu foltern um sehr vielen unschuldigen das Leben zu retten. Als Begründung für diese Sichtweise könnte, neben dem obligatorischen „ er hat es nicht anders verdient“, gesagt werden, dass durch die Folter ein Mensch lediglich Schmerzen erleidet, während bei der Unterlassung der Folter viele Menschen sterben werden. Die Bewertung dieser Situation erfolgt also emotional. Es wird dabei aber leider übersehen, dass die Situation gar nicht so klar ist. Es könnte sein, dass der Verdächtige ein Terrorist ist, es kann aber auch sein, dass er ein unschuldiger Mensch ist, der von all dem gar nichts weiß. Es könnte auch sein, das der Verdächtige, selbst wenn er ein Terrorist ist, gar nichts von der Bombe weiß und auch in diesem Fall würde eine Person unnötigen Schaden davon tragen. Egal wie man die Situation auch betrachtet, es besteht immer eine ziemlich große Gefahr, dass der Schaden deutlich größer als der Nutzen ist. Man kann also festhalten, dass eine generelle Entscheidung über die moralische Vertretbarkeit nicht getroffen werden kann. Wie würde aber in einem klar definiertem Einzelfall, in dem einem alle Parameter bekannt sind, eine Entscheidung ausfallen? Dies kann ziemlich gut an dem etwas abgewandeltem Beispiel der Terrorgruppe erläutert werden. Der Zeitpunkt des Anschlages ist nun bekannt und es ist auch sehr wahrscheinlich dass es zu diesem Anschlag kommen wird. Außerdem weiß man, dass der Verdächtige ein Terrorist ist, der über Informationen verfügt, die garantiert dazu führen, den Anschlag zu verhindern. In genau diesem Fall, und nur in dieser speziellen Kombination mit absoluten Sicherheiten bezüglich der Folgen jeder Handlung, kann man sich für die Möglichkeit der Folter aussprechen. Es wäre in dieser Situation sogar gerechtfertigt, das Leben des Verdächtigen zu Opfern, wenn man damit den Anschlag verhindern könnte. ABER: Dies gilt nur, wenn man über jeden Zweifel erhaben weiß, dass die Folter mehr nutzt als schadet! Und diese Sicherheit kann im Alltag nicht erreicht werden! Das erste Beispiel, dass als erstes angeführt wurde, ist eine reale Geschichte gewesen und in der Realität hat ein Polizist dem Entführer Folter angedroht, wenn er nicht das Versteck des entführten Jungen verrät. Wie schon aufgezeigt, handelt der Polizist eigentlich unmoralisch. Wenn durch diese Androhung der Folter das Kind jedoch lebend gefunden worden wäre, hätte man den Polizisten jedoch für den Erfolg seiner Handlung loben müssen. Allerdings verstößt er eindeutig gegen moralische Gebote, weil seine Handlung unter keinen Umständen als Vorbild für andere dienen darf und ist somit zu verurteilen, weil der wahrscheinliche Nutzen weit vom wahrscheinlichen Schaden übertroffen wird. Man muss sich für diese Sicht von dem Gedanken trennen, dass eine Handlung entweder gut oder schlecht war. Eine Handlung kann sowohl gut als auch schlecht sein. Gut war die Absicht des Polizisten, weil er ein Leben, also einen Wert, retten wollte. Sie war aber schlecht, weil der Schaden, den der Polizist erzeugt hätte, also das Leiden eines Menschen, aufgrund der Tatsache, dass kein Leben mehr gerettet werden konnte, keinen Nutzen gebracht hätte. Auf gesellschaftlicher Ebene muss diese Handlung deshalb geächtet und bestraft werden.  Abschließend bleibt festzustellen, dass es zwar theoretische Situationen gibt, in denen man die Folter als moralisch vertretbares Mittel sehen kann, aber dass in der Realität Folter moralisch nicht zu rechtfertigen ist. Es mag einem vielleicht unangenehm vorkommen, dass einem Verbrecher genau das gleiche Recht auf körperliche Unversehrtheit zugesprochen wird, wie einem Menschen, der die Regeln der Moral befolgt. Aber bestimmte Rechte, inklusive dem auf körperliche Unversehrtheit,  folgen zwangsläufig aus dem hohen Wert des Lebens und sind somit logische Gesetzte, die nicht variiert werden können, ohne dass man unmoralisch handelt! Mir persönlich scheint es jedoch so, dass viele Menschen anscheinend denken, dass es in Ordnung ist, wenn man in vielen Fällen das Leben von Menschen zerstört, nur in der Hoffnung, also in der Ungewissheit, dass man damit anderes Leben rettet. Man kann dies auch höflicher beschreiben, aber der passendste Ausdruck für dieses Verhalten ist in meinen Augen: Barbarisch! In Grenzsituationen scheinen viele Menschen einfach zu vergessen, dass sie immer mit anderen Menschen, anderen Leben arbeiten und das dort auch die Gesetzte der Logik und nicht der Emotionen gelten!
Wenn jemand Menschen verletzt, sollte er sich immer im klaren darüber sein, dass er auch in diesem Moment die Menschheit verkörpert- Soll sie wirklich so schlecht darstehen?

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