Eine der Fragen, die man im
Studium von seinen eigenen Kommilitonen sehr oft zu hören bekommt ist: „Wofür
muss ich das denn jetzt wissen?“. Besonders oft kommt diese Frage in Fächern
auf, die auf den ersten Blick nur sehr peripher etwas mit dem jeweiligen
Studienfach zu tun haben. Als Beispiel seien die Fächer Anorganische/Organische
Chemie und Physik in der Tiermedizin genannt. Diese Vorlesungen, vor allem die
Physikvorlesungen, sind nur sehr schlecht besucht und ein Großteil der anwesenden
Studenten regt sich über diese Fächerß auf. Diese besonders starke
„Nichtmotivation“ in diesen Fächern macht sich dann auch bei den Prüfungen
bemerkbar. Sowohl in Chemie als auch in Physik fallen im Regelfall ca. 50% der
Studenten durch die Erstprüfung. Dieses enorm schlechte Ergebnis liegt bei
weitem nicht an dem Schweregrad der Prüfung, sondern vor allem daran, dass die
Studenten nicht einsehen, warum sie den Stoff jetzt lernen sollten. In
abgeschwächter Form findet sich diese Einstellung „Das brauche ich doch sowieso nie wieder“ aber in eigentlich jedem
Fach. Aber ist diese Einstellung wirklich berechtigt?
Natürlich erscheinen einem erst
einmal viele Dinge im Studium vollkommen irrelevant für den eigentlichen
angestrebten Beruf. Das Problem ist jedoch, dass man, vor allem am Anfang des
Studiums, noch überhaupt nicht sagen kann, wofür dieses Wissen eigentlich gut
ist. So können sich trockene Physikkenntnisse auf einmal als sehr wertvoll erweisen, wenn es
Neurobiologie geht. Oder dumme chemische Formel lassen einen in der Biochemie
oder in der Stoffwechselphysiologie auf einmal einen ganzen Themenkomplex
verstehen. Und, um bei Tiermedizinern zu bleiben, profunde Kenntnisse in der
Ethologie, also der Verhaltenslehre, erleichtern einem das Lernen der Vorschriften
für die Tierhaltung enorm. Es gibt also eine Vielzahl an
Anwendungsmöglichkeiten für eigentlich „nutzloses“ Wissen! Sämtliche Beispiele
zeigen jedoch auch, dass es unumgänglich ist, Informationen Fachübergreifend zu
verwerten. Natürlich ist „reine Physik“ für einen Tiermediziner fast vollkommen
nutzlos, aber ein gutes Verständnis der physikalischen Prinzipien ist in sehr
vielen Fächern nachher überlebensnotwendig. „Reine Chemie“ macht nur wenigen
Personen spaß, aber wer die Mikrobiologie, Pathologie oder auch Virologie
wirklich verstehen möchte, sollte ein profundes chemisches Hintergrundwissen
mitbringen.
Sämtliche dieser Beispiele haben
jetzt lediglich auf den reinen Nützlichkeitswert des jeweiligen Wissens
abgezielt. Wer einfach nur möglichst schnell nach dem Studium in die Praxis
möchte, dem ist es auch nicht zu verdenken, wenn er sich nicht mit mehr Wissen
als nötig „belasten“ möchte. Ich finde es jedoch schade, dass viele Personen so
einen guten Teil ihrer Fähigkeiten verschenken. Neben dem Nützlichkeitsaspekt
gibt es nämlich noch einen weiteren, in meinen Augen viel bedeutenderen Grund
dafür, dieses Wissen zu behalten.
Jedes Wissen, dass man in irgend einem
Fachbereich hat sorgt dafür, dass sich der persönliche Horizont dort erweitert.
Und mit jeder Erweiterung dieses Horizontes bekommt man Zugriff auf neue
Informationen … neues Wissen, dass man
dazu einsetzen kann, besser zu werden. Außerdem verändert sich das eigene
Weltbild mit jeder neuen Information, die man in das vorhandene Gebilde einfügen
kann. Ständige (Weiter)Bildung ist auch das Ideal der Aufklärung gewesen –
einem Zeitalter, dem wir nahezu alle wichtigen Bürgerrechte verdanken. Nur der
aufgeklärte Geist ist in der Lage auch in Situationen, die ihn persönlich
betreffen rational zu Entscheiden.
Und wenn man es sowieso gewöhnt ist, dass sich
das eigene Abbild dieser Welt aufgrund ständig neuer wissenschaftlicher
Erkenntnisse immer wieder ändert, ist es auch einfacher sich in der sich sehr
schnell verändernden Welt zu bewähren. Denn im Zeitalter von jederzeit und
überall verfügbaren Informationen gewinnt die Fähigkeit, sich schnell an etwas
anzupassen immer mehr an Bedeutung. Es muss nicht mehr alles gewusst werden,
aber es muss unbedingt die Fähigkeit vorhanden sein, alles, was potentiell
wichtig ist als solches zu erkennen und in das vorhandene Wissen einzubauen.
Genau diese Fähigkeit wird den Personen verloren gehen, die sich jetzt in den
Vorlesungen immer darüber beschweren, dass das „ja gar nichts mit dem Beruf“ zu
tun hat. Denn mit dieser Einstellung ist man vor allem in medizinischen, aber
auch in vielen anderen Berufen sehr schnell nicht mehr wettbewerbsfähig!
Wissen war, ist und bleibt Macht!
Wahre Worte.
AntwortenLöschenIch schreibe in einer Woche meine Maturprüfungen (das schweizerische Wort für die Abitur) und kenne dieses "das brauche ich doch ohnehin nie wieder!" nur zu gut. Beim Studium ist es dann wahrscheinlich wiederum etwas anders - da ist schliesslich auch die Anzahl der Fächer mehr auf persönliche Interessen bzw. das Studium ausgerichtet. Wenn es um Allgemeinwissen geht, kann man sich nun mal nicht aussuchen, ob Literatur oder Differenzialrechnung persönlich als wichtiger empfunden werden.
Wissen wiegt nichts. Wissen ist Bildung. Und Bildung ist Freiheit - so einfach ist das. Du hast es mit deinem Satz "ständige Weiterbildung ist auch das Ideal der Aufklärung gewesen" und der Bemerkung über die Bürgerrechte auf den Punkt getroffen. Nur wenn man ständig seinen Horizont erweitert, nicht auf einem längst veralteten Wissensstand verweilt und veruscht den Wald hinter den Bäumen zu erkennen ist man auf einem guten Weg - und das definitiv nicht nur in beruflicher Hinsicht.
Ich mag deine Überlegungen sehr gerne - es ist immer wieder sehr interessant und inspirerend zu lesen, was du zu solchen Themen zu sagen hast. Und du kannst definitiv überzeugend argumentieren. Absolut fantastisch!
Hi Pearl, ich beantworte mal deinen Kommentar(übrigens: Danke) hier, weil du es sonst nicht lesen würdest.wenn man zu sehr in der geschichte steckt, hängt man dann nicht fest?du meinst also, alles baut auf Vergangenheit auf? Dann gibt es ja nicht neues, was ist mit Stunde 0? Und was ist dann das ,,jetzt"? zukunft wird doch nicht direkt vergangenheit oder? Dein Satz über erwachsene erinnert mich sehr an Sophies Welt, denn bringt einen nicht erst das Unbekannte zum Denken?
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