Sonntag, 4. November 2012

Die Privatisierung staatlicher Kompetenzen



Das Konstrukt eines Staates ist ein Gebilde, das sehr gerne kritisiert wird. Häufig zerbricht man sich den Kopf darüber, was alles schlecht vom Staat gemacht wird, ab und an kommen auch konstruktive Kritikvorschläge. Was jedoch so gut wie nie gemacht wird, ist zu hinterfragen, wofür der Staat überhaupt gut ist. Wofür benötigen wir überhaupt einen Staat, warum regelt die Wirtschaft sich nicht weitestgehend von alleine, wie es beispielsweise die Republikaner und ihr Präsidentschaftskandidat  fordert? Aber auch die Republikaner sind der Meinung, dass es einen Minimalstaat braucht, der als richtende Instanz das Leben des Volkes regelt, Straßen und Häfen unterhält und die Ausbildung kommender Generationen sichert. Man kann den Staat in seiner minimalistischsten Ausführung darauf beschränken, dass er die unverzichtbaren öffentlichen Güter wie innere und äußere Sicherheit, Infrastruktur und Bildung, bereitstellt. Ein Sozialsystem, wie es in Deutschland praktiziert wird, ist zwar wünschenswert, aber nicht zwangsläufig Aufgabe des Staates. Man sollte also denken, dass, gerade in Deutschland, da der Staat hier deutlich präsenter ist als in vielen anderen Ländern, die unverzichtbaren öffentlichen Güter grundsätzlich vom Staat getragen werden. Aber dies ist immer häufiger nicht der Fall!

Das der Staat an sich, seine Bundesländer, Kreise und Kommunen notorisch pleite sind, ist seit Jahrzenten traurige Realität. Trotzdem haben sie bis zum heutigen Tage ihre Grundaufgaben, wenn auch teilweise recht mühsam, erfüllen können. Im Dezember 2002 hatte sich anscheinend geändert. Zu diesem Datum wurde nämlich eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit dem Modell Öffentlicher-Privater-Partnerschaften (ÖPP) auseinandersetzen sollte. Im Jahr 2004 sollten sie dann eine Arbeitsgruppe ins Leben rufen, die einen Gesetzesentwurf erarbeiten sollte, die eine Vereinfachung diese Partnerschaften ermöglicht. ÖPP bedeutet, dass der Staat einen Auftrag, den er eigentlich selber ausführen müsste, wie die Sanierung von einer Schule, komplett an einen privaten Unternehmer abgibt und dafür über einen sehr langen Zeitraum Nutzungsgebühren zahlt. Die Arbeitsgruppe, deren Gesetzesvorschlag im Juli 2005 angenommen wurde, setzte sich aus 40 Vertreten aus der Politik und 60 Vertretern aus verschiedenen Wirtschaftsorganisationen zusammen. 2007 gab Peer Steinbrück, damals Finanzminister unter der „Großen Koalition“, das Ziel aus, dass 15% aller öffentlichen Investitionen in Form von ÖPPs getätigt werden, was rund sechs Milliarden Euro jährlich entspricht. Bis heute sind insgesamt 180 verschiedene Projekte als ÖPP ausgeschrieben oder durchgeführt worden, die von Schulen bis Gefängnisse und dem Bildungsminsterium, alle aus dem Bereich der „unverzichtbaren öffentlichen Güter“ stammen. Warum ist es denn überhaupt interessant, wie der Staat jetzt seinen Aufgaben nachkommt, solange er ihnen überhaupt nachkommt? Ist es denn nicht egal, wie und vom wem die Schule, die Straße oder das Gefängnis überhaupt gebaut wurde, solange es gebaut wurde?

Kurzfristig betrachtet könnte man diese Frage bejahen, langfristig betrachtet stößt man jedoch auf einige große Probleme. ÖPPs werden von vielen Kommunen deshalb genutzt, weil sie vor einem großen Investitionsvolumen stehen und gleichzeitig nur über sehr begrenzte Finanzmittel verfügen, da sie kaum Spielraum für kurzfristige Ausgaben haben. Muss nun Beispielsweise eine neue Rettungswache gebaut werden, wird dieser Auftrag im Rahmen einer ÖPP an ein privates Unternehmen ausgeschrieben, dass sich, angefangen von der Finanzierung, über den Bau bis hin zur späteren Wartung um jeden Aspekt dieses Auftrages kümmert. Dafür unterschreibt die Kommune einen Vertrag, der meist über mehrere Jahrzehnte läuft und in dem sie zusichert, dass sie alle anfallenden Risiken, wie Brände etc. finanziell absichert. In vielen Fällen unterzeichnen die Kommunen außerdem einen sogenannten „Einredeverzicht“, das heißt, sie sichern den Banken zu, die Kosten für das Projekt in jedem Fall zu tragen, auch wenn der private Anbieter seine Leistung nur unzureichend oder sogar gar nicht erbringt. In diesen Fällen ist die Kommune auf Gedeih und Verderben daran gebunden, dass das Unternehmen bis zum Ablauf des Vertrages bestand hat und nicht vorher Insolvenz anmeldet und unter Umständen keinen Nachfolger findet. Der Vorteil dieser ÖPP in diesem Beispiel wäre nun, dass Bauten aus privater Hand häufig billiger sind als die Bauten, die der Staat in Auftrag gibt, da Privatunternehmen wirtschaftlich handeln müssen. Außerdem müsste die Kommune jedes Jahr nur eine relativ geringe Summe in ihren Haushalt einbringen, da die jährliche Unterhaltszahlung deutlich unter der Summe liegt, die die Kommune – einmalig oder über einen eng begrenzten Zeitraum- für den Bau der Rettungswache aufnehmen müsste. Dieser Fakt wird natürlich von findige Kämmerern ausgenutzt um die staatlich verordnete Schuldenbremse auszuhebeln. Dank der langjährigen Finanzierung belaufen sich die Ausgaben für das Projekt immer nur auf eine relativ kleine Summe, die man meist problemlos im Etat unterbringen kann, ohne dabei die Schuldengrenze zu überschreiten. Dies mag zwar für den Moment vorteilhaft sein, aber es schränkt den finanziellen Spielraum der Kommune auf Jahrzehnte empfindlich ein und belastet den Haushalt kommender Generationen, die dann über kaum noch freie Finanzmittel verfügen. Über diese unnötig langfristige Finanzierung macht man sich außerdem sehr anfällig für Veränderungen auf dem Kreditmarkt. Aber dies ist bei weitem nicht der längste Nachteil.

Das größte Problem, dass bei sehr vielen dieser Projekte auftritt, ist die „unerwartete“ Kostensteigerung, die die benötigten Mittel für die Finanzierung in die Höhe treibt. Die Gründe für diese Kostensteigerung sind vielschichtig, aber die häufigsten Gründe dürften die Beraterhonorare und – wie immer- Fehlkalkulationen sein. Beraterhonorare sind bei kleineren Projekten häufig ein Grund zum Schmunzeln, wenn man ihre Höhe im Verhältnis zu den Gesamtkosten sieht. Da kann es schon einmal passieren, dass eine Stadt über 100.000€ für Berater ausgibt und das gesamte Projekt nicht mehr als zwei Millionen Euro kosten soll. Richtig interessant wird es dann, wenn das Projekt überhaupt nicht durchgeführt wird, weil der private Investor abgesprungen ist. Dann bleibt die Stadt nämlich auf den Kosten für das Honorar sitzen und hat teilweise echte Probleme dieses Honorar dann zu bezahlen. Die Fehlkalkulationen treten eigentlich immer dann auf, wenn das Angebot des private Unternehmers deutlich günstiger war, als der Preis, den die Stadt berechnet hat. Hat die Stadt einmal den Vertrag unterschrieben, kommt sie da kaum noch heraus und der Unternehmer kann das noch benötigte Geld problemlos einfordern. Dies kann dann dazu führen, dass die Stadt auf einmal pro Jahr fünf oder zehn Prozent mehr ausgeben muss, als sie eigentlich wollte – und damit deutlich mehr, als sie bezahlt hätte, wenn sie das Projekt selber gebaut hätte.

Das ÖPPs nicht vorteilhaft sein können, sollte eigentlich jedem klar sein, der sich für Wirtschaft interessiert. Ein Unternehmen hat die PFLICHT Geld einzunehmen, sonst muss es sich auflösen. Dies bedeutet, dass sie jede Möglichkeit nutzen werden, ihre Kosten zu senken und finanzielle Belastungen dem Auftraggeber zuzuschieben. Dies ist nicht verwerflich, es ist einfach in der Natur eines Unternehmens. Aus diesem Grund können ÖPPs in den allermeisten Fällen nicht billiger werden, als wenn die Stadt, die Kommune oder der Kreis selber das Projekt finanzieren würde. ÖPPs sind nur kurzfristig billiger und gehen auf Kosten der folgenden Generationen. Das größte Problem, das ich mit ÖPPs habe, ist jedoch noch anderer Natur. In einer ÖPP gibt der Staat Kernkompetenzen, Kompetenzen, die nur er erfüllen kann und soll, an private Unternehmen ab. Dadurch verliert er Stück für Stück an Einfluss auf essentielle Bereiche, wie Infrastruktur oder Bildung. Diese Bereiche können nicht gewinnbringend genutzt werden und gehören deshalb grundsätzlich in öffentliche Hand. Unternehmen habe ihre Berechtigung in der Wirtschaft – nicht in Schulen oder der Infrastruktur!

    Gewinne privatisieren - Verluste sozialisieren 
Eine zukunftsfähige Lösung?

2 Kommentare:

  1. In der Tat schlimm. Gibt auch einen schönen Artikel dazu auf www.Zeit.de. Über das Thema sollte mehr gesprochen werden!

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    1. Der Artikel in der Zeit war für mich die Motivation, meine Argumente zu diesem Sachverhalt endlich mal auszuformulieren.
      Mich beschäftigen diese ÖPPs seit geraumer Zeit, da ich immer wieder über solche Projekte gestolpert bin, die teilweise vollkommene Flops waren. Und das darüber mehr geredet werden sollte ist wirklich wahr. Leider weiß kaum einer, wie nutzlos Steuergelder teilweise in solchen ÖPPs verbraten werden.

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