Dienstag, 16. Oktober 2012

Doktorarbeit ohne Niveau?



Etwas mehr als anderthalb Jahre nach der großen Plagiatsaffäre um Guttenberg steht nun eine neue, interessante Affäre im Haus. Pikanterweise diesmal mit der Bildungsministerinn als Hauptperson und einer Arbeit die „Gewissen“ im Titel trägt in der Nebenrolle. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man bei dieser Ausgangssituation fast schon wieder darüber lachen. Grob betrachtet läuft das gesamte Verfahren im jetzigen Fall genauso ab wie damals bei Guttenberg, nur dass Frau Schavan anscheinend deutlich weniger dreist Stellen in ihrer Arbeit übernommen hat und größtenteils angeblich „schlampig“ gearbeitet hat. Und genau diese „leicht schlampige“ Arbeitsmethode wird nun anscheinend als Verteidigung genutzt. Dabei ist Arbeitsweise das eigentlich skandalöse an der Arbeit.

In einigen Bundesländern werden in der zehnten oder elften Klasse Facharbeiten, Kursarbeiten oder ähnliches geschrieben. Dies sind Arbeiten, die in den meisten Fällen einen Umfang von zehn bis fünfzehn Seiten haben sollen und in denen der Schüler ein bestimmtes Thema aufarbeitet. In diesen Arbeiten kann natürlich nicht viel neues herausgefunden werden, aber sie sollen trotzdem einen erkennbaren Eigenanteil aufweisen und nach den Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens entstanden sein. Diese Arbeiten sollen die Schüler an die Hausarbeiten für die Uni, aber auch an Doktor-, oder Bachalore-Arbeiten heranführen und je nachdem wie streng der Lehrer abschließend bewertet, kann es sein, dass ein sehr großer Teil der investierten Zeit allein in die Form der Arbeit geht. Ist der Lehrer wirklich penibel, dann muss man zu jedem Zitat nicht nur die Quelle, sondern auch die Zeile und Seitenanzahl angeben. Ist dieses Zitat auch nur in einem Sekundärtext angegeben, dann muss dies natürlich auch angegeben werden, sodass nicht der Eindruck entsteht, man hätte das Original gelesen. Man muss das Inhaltsverzeichnis nach ziemlich strengen Regeln anlegen und aufpassen, dass man im Anhang, im Literaturverzeichnis und in den Anmerkungen jeweils das richtige stehen hat. Hat man versehentlich etwas in die Anmerkungen geschrieben, das eigentlich in den Anhang gehört, kann das problemlos dazu führen, dass man um eine oder sogar zwei Notenstufen abgestuft wird. Natürlich hängt dies alles von der Strenge des bewertenden Lehrers ab. Wenn ihm dies alles egal ist und er festgestellt hat, dass man wenigstens nicht offensichtlich plagiiert hat, dann kann man auch mit einer formal schlechten Facharbeit dreizehn oder mehr Punkte bekommen. Solche Lehrer stellen zumindest in meinem Bekanntenkreis die Ausnahme dar, während die strengen Lehrer eher der Regelfall sind. Man sieht also, dass schon für Schüler sehr hohe Standards bei der Erstellung einer Facharbeit gelten. Ist man Student an einer Universität oder an einer Fachhochschule und möchte eine Doktorarbeit schreiben, ist es nicht zu viel verlangt, noch höhere Standards einzufordern. Und genau in diesem Punkt scheint Frau Schavan versagt zu haben.

Ob Frau Schavan bewusst plagiiert hat oder nicht wird sich wahrscheinlich in den nächsten Tagen weitestgehend zweifelsfrei herausstellen. Die Entscheidung, ob sie ihren Doktortitel behalten darf oder nicht, ist jedoch nicht allein davon abhängig. Eine Doktorarbeit sollte eigentlich eine Forschungsarbeit sein, also neues Wissen zu Tage bringen. Außerdem ist der Doktortitel einer der höchsten wissenschaftlichen Titel und dementsprechend gut sollte auch die dafür notwendige Arbeit ausfallen. Wenn in einer Doktorarbeit schlampig gearbeitet wird und Fehler gemacht werden, die schon in einer Facharbeit  zu einer schlechten Benotung und unter Umständen sogar zu einem „ungenügend“ führen können, dann sollte die Frage gestellt werden, ob diese Arbeit überhaupt als „Bestanden“ bewertet werden kann. Rein logisch betrachtet kann man diese Arbeit nicht mehr als „Bestanden“ werten, da schon von Schülern ein höheres Maß an Genauigkeit gefordert wird und die Fehler in Frau Schavans Arbeit bei einigen Lehrern schon voll und ganz genügen würden um die Arbeit als Plagiat zu bezeichnen. Ob sie nun absichtlich Textstellen als eigene Gedanken ausgegeben hat, die sie eigentlich von jemand anders abgeschrieben hat oder nicht, sagt lediglich noch etwas über ihre Ehrlichkeit aus. Hat sie es getan, sollte sie sich vielleicht ihre Arbeit selber noch einmal durchlesen und sehen, was sie über die Gewissensbildung schreibt. Vermutlich ist sie nicht zu dem Schluss gekommen, dass man mit einem guten Gewissen eine Arbeit abgeben kann, für die man plagiiert hat. Das ist jedoch etwas, dass sie mit sich selber ausmachen muss. Für die Öffentlichkeit ist jetzt wichtig, dass sie sich erklärt und unter Umständen auch ihr Amt zur Verfügung stellt. Hat sie bewusst getäuscht, sollte sie von allen politischen Ämtern zurücktreten und sich am besten auch nicht mehr in die Öffentlichkeit stellen. Zumindest solange nicht, bis sie ihren Fehler ernsthaft bereut und erklärt, warum sie damals getäuscht hat. Sind die Plagiate in ihrer Arbeit „lediglich“ auf unsauberes Arbeiten zurückzuführen, sollte sie sich trotzdem überlegen, ob sie nicht ihren Posten als Bildungsministerin zur Verfügung stellt. Sie hat einen großen Teil ihrer Glaubwürdigkeit in diesem Amt nun eingebüßt und sollte vielleicht dann eher in ein Amt wechseln, dass nichts mehr mit Bildung, Wissen und genauer Arbeit zu tun hat. Für Umwelt-, oder Wirtschaftsministerium wäre sie dann wahrscheinlich besser geeignet. Das ihr der Doktortitel aberkannt wird, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit und unabhängig von ihrem Verbleib in ihrem Amt sein. Eine Arbeit mit offensichtlichen Fehlern ist niemals „Bestanden“, vor allem, wenn es sich um eine so wichtige Arbeit, wie eine Doktorarbeit handelt.

In der Onlineausgabe der „Zeit“ war ein intelligenter Kommentar zu dem Fall Schavan, der, wenn auch vom Autor wahrscheinlich nicht beabsichtigt, etwas sehr essentielles aufgezeigt hat. Der Kommentar hat den Fall relativiert mit der Begründung, dass viele Arbeiten wahrscheinlich ähnlich schlampig geschrieben werden. Vermutlich stimmt diese Aussage, aber ich sehe in diesen Sachverhalt eher ein gesellschaftliches Problem als ein Wissenschaftliches. In unserer Gesellschaft ist es sehr viele Personen unglaublich wichtig über einen Titel zu verfügen, und wenn es nur der eines Ehrendoktor ist. Man möchte sich wahrscheinlich damit von der breiten Masse der „ungebildeten“ abheben oder sich „intelligenter“ als die Mehrheit fühlen. Diese Mentalität, diese „Titeljagd“ ist aber eine absolute Perversion des Gedankens, der hinter diesen Titel steht. Eigentlich sollten nur außergewöhnliche Leistungen mit einem Titel ausgezeichnet werden; Leistungen, für die man wirklich gearbeitet hat. Wer einen Doktortitel trug, hatte also wirklich umfangreiches Wissen über seinen Fachbereich. Durch die schiere Inflation der Titel kommt es aber immer mehr dazu, dass in den Arbeiten kaum noch neues Wissen entsteht und sie vielmehr eine geschickte Wiedergabe des bekannten sind. Diese Arbeiten haben in meinen Augen keinen Titel mehr verdient, da sie vielleicht Arbeitsaufwändig waren, aber keine große geistige Leistung benötigt haben. Wissenschaftliche Titel müssen mit einer echten geistigen Leistung einhergehen und verdienen auch nur dann Respekt, wenn diese Leistung erbracht wurde. Ein Doktor der Linguistik, der sich aus vielen verschiedenen anderen Arbeiten seine Arbeit zusammengestückelt hat, verdient, auch wenn er alle Grundsätze des Zitierens eingehalten hat und diese Arbeit mehrere Jahre gedauert hat, in meinen Augen keine besondere Anerkennung. Hat er jedoch eine bis dato noch vollkommen unbekannte Seite eines Buches analysiert, ist diese Anerkennung verdient. Wir müssen wieder lernen, Titel nach dem zu beurteilen, wie sie erlangt wurden und nicht einfach nach ihren Kürzeln. Außerdem benötigt man nicht unbedingt einen Titel um in einem Fachbereich gut informiert zu sein. Ein Titel sollte eigentlich nur deshalb angestrebt werden, weil einen etwas ganz besonders interessiert und nicht, weil man sich besser präsentieren möchte!

Titel sind Schall und Rauch - 
Was zählt ist Wissen!

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