Freitag, 16. März 2012

Der Umgang der Gesellschaft mit Tod und Suizid


Der Tod und das Vergehen von Leben ist ein Thema, über dass in unserer Gesellschaft meist sehr zurückhaltend und flüsternd gesprochen wird. Häufig werden dann auch Euphemismen verwendet um die Thematik etwas zu entschärfen. Oft genug wird das Thema Tod aber auch einfach verschwiegen und nur dann angesprochen, wenn es sich überhaupt nicht mehr vermeiden lässt, beispielsweise beim drohenden Tod von kranken oder alten Menschen oder bei plötzlichen Todesfällen. In gewisser Weise ist es auch verständlich, dass ein Wesen wie der Mensch, der Pläne für seine Zukunft hat, sich dem Prozess des Alterns und dem daran folgenden verschwinden sehr bewusst ist, dieses Thema sehr ungern anschneidet. Man möchte das Leben wahrscheinlich so lange es geht genießen und sich erst ganz am Ende Gedanken darüber machen, wie und ob es danach weitergeht. Es stellt sich mir jedoch die Frage, ob der Tod wirklich etwas so schreckliches, grausames oder böses ist? Natürlich ist der Tod das Ende unseres Lebens, unserer Wirkungszeit, unserer Gedanken und Träume. Er löscht unsere aktive Existenz aus und verhindert, dass wir noch mehr erleben, noch mehr schaffen und verändern können. Aber andrerseits ist der Tod doch auch das einzige, dass, neben der Geburt, jeder Mensch, unabhängig von Ethnie, finanzieller Lage oder sozialer Situation, erleben muss. Der Tod macht alle Menschen zu Brüdern und zeigt eindeutig, dass wir unsere Lebenszeit halbwegs effektiv nutzen müssen, wenn wir etwas erreichen  wollen. Ohne den Tod würden Tyrannen endlos lange herrschen und es gäbe überhaupt keine Notwendigkeit für die Weitergabe von Wissen und Erfahrungen. Wenn die Menschen ewig leben würden, müssten sie ihre Erfahrungen nicht aufschreiben, um sie an die nächste Generation weitergeben zu können, sondern sie könnten sich darauf verlassen, dass sie dieses Wissen mündlich weitergeben könnten. Die Vergänglichkeit des Menschen erzeugt einen recht mächtigen Druck, Wissen so zu konservieren, dass es auch noch die Generation nach einem verstehen kann. Dieser Druck kann auch als Fortschritt bezeichnet werden! Es stimmt allerdings auch, dass der Tod auch all die Gerechten trifft und somit unter Umständen ein stabiles Land oder eine stabile Familie in eine Krisenregion verwandelt. Aber er ist gerecht und trifft irgendwann jeden Menschen, egal wie er gelebt hat und was er gemacht hat.

Neben dem Tod ist auch das Sterben ein Thema, dass nur sehr ungern behandelt wird. Während das allgemeine, natürliche Sterben eines Menschen von vielen Personen aus meinem Umkreis als zwar schlimm, aber akzeptabel eingestuft wird, wird über den unnatürliche Tod meist etwas anders geredet. Ich meine mit diesem Begriff nicht den Tod durch eine Gewalttat oder einen Unfall, sondern Selbstmord. Selbstmord scheinen vielen Personen nicht als „angemessenen“ Tod einer anderen Person akzeptieren zu wollen oder können. Während sich beim natürlichen Tod eines Menschen die Anzahl der Selbstvorwürfe der Angehörigen meist in Grenzen hält und auch die Trauerzeit verhältnismäßig schnell vorbeigeht, dauert es bei einem Selbstmord häufig sehr lange, bis der Schmerz über den Tod der Person halbwegs verkraftet ist. Aber abgesehen von dem Schmerz, den ein Selbstmord bei den Angehörigen verursacht, zieht er meist noch Anschuldigungen auf sich. Und dies ist etwas, das bei einem „normalen“ Tod im Regelfall nicht passiert. „Über die Toten nichts außer Gutes“ ist ein Sprichwort, das für Selbstmörder anscheinend häufig nicht gilt. Man kann sich natürlich über den Sinn dieser Sonderbehandlung von Toten streiten, aber ich möchte mein Augenmerk lieber auf den Grund dieser Sonderbehandlung lenken. Zumindest in meinem Umkreis herrscht der Gedanke vor, dass eine Person kein Recht darauf hat, sich selber aktiv umzubringen. Eine Patientenverfügung zu unterschreiben ist zwar akzeptabel, aber selber Hand an sich zu legen um sich aktiv selber zu töten ist es nicht. Wenn man vorsichtig nach dem Grund für diese Sonderbehandlung stochert, laufen die Antworten alle in die Richtung „ Der hat doch gar nicht an sein Umfeld gedacht“ „ Der hat doch gar nicht das Recht sich zu töten“ oder auch „ Es hätte doch sicherlich auch andere Lösungen gegeben mit denen er seine Familie/ seine Freunde nicht so verletzt hätte“ . Am interessantesten erscheint mir die Aussage, dass ein Mensch doch gar kein Recht darauf hat sich selber zu töten. Vielleicht ist diese Meinung unserer christlich-abendländischen Tradition geschuldet, die Selbstmorde verbietet und ächtet. Noch zu Beginn der Neuzeit haben Selbstmörder kein geweihtes Grab bekommen, weil man ihre Tat für Gotteslästerung hielt. Vielleicht rührt die Ansicht, dass man nicht über das eigene Lebensende entscheiden kann, noch aus dieser Zeit heraus. Kann man diesen Standpunkt aber noch aufrecht erhalten, wenn man einmal von religiösen Gesetzten und Gebräuchen absieht?

Ein Mensch kann sich nicht dagegen wehren, geboren zu werden. Nachdem er also ohne eine Wahl in die Welt gesetzt wurde, trägt er ab einem gewissen Alter vollständig die Verantwortung für sein persönliches Leben. Er trägt allerdings als Person auch Verantwortung für das Leben der anderen. Eine Person kann also alles tun was sie will, solange sie damit keine anderen Menschen verletzt. Da eine gesunde Person die vollständige Kontrolle über ihren Körper hat, kann sie jederzeit beschließen ihn so zu beschädigen, dass sie stirbt. Dieses Recht ist in ihrer Eigenverantwortung für ihr eigenes Leben eingeschlossen. Allerdings hat sie kein Recht darauf, die Menschen in ihrem Umfeld zu verletzten und hier beginnen die Probleme! Wenn sich eine Person aus meinem Umfeld, also ein jugendlicher oder junger Erwachsener umbringen würde, dann würde er wahrscheinlich neben seinen direkten Angehörigen auch noch einen sehr großen Anteil all der Menschen verletzten, die mit ihm in einem Jahrgang sind. Ganz zu schweigen von all seinen Freunden, die er auch außerhalb der Schule hatte. So ein Selbstmord kann also ohne zu übertreiben schnell über 100 Personen beeinträchtigen. Und ich glaube, dass es genau dieser Punkt ist, der dazu führt, dass einige Menschen schnell dazu neigen, Selbstmörder zu verurteilen. „ Der hat doch gar nicht an sein Umfeld gedacht“ kann ein berechtigter Einwand gegen einen Selbstmord sein. Aber es kommt hier auch immer auf die speziellen Umstände des Selbstmordes an. Selbstmorde aus „niederen“ also emotionalen Bewegründen sind in meinen Augen fast immer unnötig und damit berechtig zu verurteilen. Nicht in dem Sinne, dass man die Person dafür „anklagen“ und hassen würde, sondern in dem Sinne, dass man den Mut besitzt, die Tat objektiv als „Verschwendung von Leben“ und somit als falsch anzusehen, ohne dass man einen großen emotionalen Groll auf den Selbstmörder hegt. Selbstmorde aus emotionalen Gründen, wie Liebeskummer, Stress, Erfolglosigkeit, gekrängter Ehre oder verletztem Stolz sind meist vollkommen irrational. Die Probleme der Selbstmörder sind objektiv meist zu bewältigen, ohne dass jemand dafür sterben muss. Man muss sich allerdings auch die Frage stellen, ob man der Person nicht vorher hätte helfen können, sodass sie gar nicht erst auf die Idee kommt, vor ihren Problemen durch Selbstmord zu fliehen. Dies stellt sich in den meisten Fällen wahrscheinlich als sehr schwierig heraus, aber man sollte nichts unversucht lassen, um eine suizidale Person davon zu überzeugen, dass ihre Probleme und Sorgen lösbar sind. Es gibt in dieser Gruppe allerdings auch Menschen, die unter einer Prädisposition leiden, die sie psychisch so verändert, dass man sie unter Umständen nicht von einem Selbstmord abhalten kann. In diesem Fällen ist es wahrscheinlich einfach unmöglich etwas gegen ihren suizidalen Drang zu unternehmen, aber auch hier sollte man nichts unversucht lassen. Aber neben dem Selbstmord aus emotionalen Gründen gibt es noch Personen, die sich sehr gut überlegt habe, warum sie Selbstmord begehen wollen.
Meistens leiden diese Menschen an unheilbaren Krankheiten, die sie in absehbarer Zeit so einnehmen werden, dass ihnen ihr Leben nicht mehr Lebenswert erscheint. Es gibt natürlich auch die Sonderfälle von Selbstaufopferungen zugunsten anderer, aber solche Fälle dürften eher die Ausnahme als die Regel sein. Das bekannteste Beispiel hierfür ist sicherlich der Selbstopferung des verletzten Lawrence Oates, der dies Tat um dem Rest der Gruppe um Robert Scott nicht am Weitermarsch zu hindern. Ein Selbstmord aus rationalen Gründen ist akzeptabel und verständlich, wenn die entsprechende Person sein Umfeld vorher darauf vorbereitet. Wenn sie ihre Position logisch und klar vorstellt und darauf hinweist, dass sie unter keinen Umständen mehr weiterleben möchte, dann ist der Selbstmord etwas, das man akzeptieren muss, aber wahrscheinlich auch kann. Es mag einem Feige vorkommen, vor den Tod einer langwierigen oder schmerzhaften Krankheit vorzuziehen, aber ist es das wirklich? Shakespeare bringt diese Frage in Hamlets Monolog „Tob e, or not to be“ sehr gut auf den Punkt: „ But the dread of something after death/ The undiscover’d country from whose bourn/ No travelers returns, puzzles the will,/ And make us rather bear those ills we have/ Than fly to others that we know not of?” Dieser Ausschnitt aus diesem Monolog beschreibt ziemlich eindeutig, dass Shakespeare es für sehr mutig hält den Tod der Krankheit oder dem Misserfolg vorzuziehen, da man nicht weiß, was nach dem Tod kommt. Die Antwort auf diese Frage hängt sicherlich auch von dem persönlichen Glauben und den eigenen Erwartungen an das Leben ab. Aber ich würde so einen Selbstmord nicht als feige, sondern als rational rechtfertigbar und damit als vernünftig bezeichnen. Zwar weiß niemand mit Gewissheit, was nach dem Tod kommt, aber die Wissenschaft ist heute doch schon um einiges weiter als zu Shakespears Zeiten und ist sich ziemlich sicher, dass die Person mit erlöschen ihrer neuronalen Aktivitäten einfach verschwindet, tot ist. 

So schrecklich der Tod für einige Menschen sein mag, ich sehe ihn eher als eine Art Gefährten an, der mir immer zur Seite steht. Er erinnert mich an meine eigene Vergänglichkeit und spornt mich dazu an, meinen Lebenszeit nicht allzu unnütz zu vergeuden. Außerdem ist er der Grund dafür, dass ich bestimmte Dinge sofort mache, bestimme Sätze sofort klarstelle oder bestimme Personen recht zügig anspreche um Sachverhalte zu klären, da er mir immer dazwischen kommen könnte. Ich möchte dem Tod auf Augenhöhe begegnen können, also all das erledigt haben, was ich erledigen wollte und nur wenig an Chaos oder Fragen zurücklassen. Seine Allgegenwärtigkeit, auch wenn er im Moment sehr unwahrscheinlich ist, führt dazu, dass ich viele kleine Dinge sehr bewusst wahrnehme, weil ich möglichst viele Minuten meines Lebens mit schönem oder ästhetischen füllen möchte. Trotzdem werde ich meinem Leben ein Ende setzten, wenn meine Fähigkeit, eine Person zu sein, stark beeinträchtigt wird. Bei einer Krankheit wie Alzheimer, die meine Person Stück für Stück zerstört sehe ich den Tod zu einem Zeitpunkt, an dem ich gerade noch Herr meiner Sinne bin, als durchaus angemessen an. Er ist für mich nichts, was man fürchten müsste, auch wenn man ihm mit viel Respekt begegnen sollte. Der Tod ist schließlich mit das natürlichste, was einem passieren kann.

Lebe, weil es sich lohnt!

1 Kommentar:

  1. Der Tod ist eine der wenigen Dinge, die einem in jeder Situation zur Verfügung stehen; ein Ausweg der theoretisch immer offen steht.

    Doch ich würde es nicht wolle, ihn zu wählen: er ist unumkehrbar. Mein Grundgedanke lautet Verschwendung des Lebens.

    Aus den Emotionen einer Situation ensteht nicht selten Verzweiflung, die sogar zu Lebensunlust werden kann. Es wäre in der unmittelbaren Situation vielleicht verlockend, den Tod zu wählen, doch für mich wäre es eine Kurzschlussreaktion mit Endgültigkeit. Man kann für alle Probleme eine Lösung finden - vielleicht keine optimale, doch immerhin eine Lösung, die den Suizid unnötig machen würde.

    Die Entscheidung für den Tod im Falle einer unumkehrbaren Unfallfolge oder einer unheilbaren Krankheit dagegen kann ich nachvollziehen. Sollte die Beeinträchtigung bedeuten, dass ich nicht mehr aktiv mein Leben bestimmen kann, wäre der Freitod nicht der unattraktivster Ausweg

    Ansonsten liegt es nicht fern, Selbstmord als feige Handlung zu betrachten: um sich nicht mehr mit seinen Problemen auseinandersetzen zu müssen, flieht man vor ihnen.

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