Evolutionstheoretisch betrachtet ist der Mensch lediglich ein kleiner, nahezu unbedeutender Zweig an dem riesigem Stammbusch der Säugetiere. Trotzdem hat die Menschheit es geschafft, sich die Welt weitestgehend Untertan zu machen. Diese nahezu unglaubliche Leistung hat sie im großen und ganzen lediglich einer kleinen Neuerung zu verdanken: Der Rationalität, dem Verstand, der Logik, wie auch immer man es bezeichnen möchte. Im Gegensatz zu den Tieren, die weitestgehend Instinktiv, also Emotional gesteuert sind, haben die Menschen die Fähigkeit, über ihre Taten zu Reflektieren und bestimmte Konsequenzen daraus zu ziehen. Das der Mensch ein relativ neues Produkt der Evolution ist, wird spätestens dann klar, wenn sich seine Emotionalität gegen seine Rationalität stellt.
Die Menschen haben sozusagen eine zweite Benutzeroberfläche, eine zweite Persönlichkeit bekommen, die sie, meist gekoppelt mit der emotionalen Persönlichkeit, sehr weit gebracht hat. Aber ist dieses System wirklich vorteilhaft? Wenn man sich zum Beispiel über ein gewonnenes Volleyballspiel freut, dann freut sich in der Regel der Verstand wie die Emotionalität über den Sieg. Beide Systeme funktionieren dann im Einklang und unterstützen sich gegenseitig. Die meisten Alltagssituationen sind derartig gestaltet, dass der Verstand und die Emotionalität gleichrangig agieren und so keinerlei Probleme entstehen. Auch im negativen Erfahrungsbereich ist diese Uniformität eher die Regel als die Ausnahme. Im Verlaufe eines Tages prasseln allerdings deutlich mehr emotionale Eindrücke auf einen Menschen ein, als dieser verarbeiten kann. Damit der Mensch damit nicht überfordert wird, filtert sein Verstand automatisch eine ganze Menge an Dingen heraus, die einen dann nicht unnötig belasten. Wie fein dieser Filter ist und was für Ereignisse er filtert ist anscheinend völlig individuell und kann sich extrem von Person zu Person unterscheiden. Interessant ist, was die meisten Menschen mit den Erlebnissen machen, die durch den Filter hindurch kommen und irgend eine Emotion erzeugen. Es scheint so, als ob die meisten Menschen diese Emotion sowohl als Emotion, als auch als Gedanke wahrnehmen und damit zulassen, dass ihre Rationalität zumindest teilweise eingeschränkt wird. Dies ist auch nichts, was man einem Menschen vorwerfen kann, solange er wenigstens sein Handeln teilweise von seinem Verstand kontrollieren lässt.
Was macht man aber, wenn man diese Beeinträchtigung der eigenen Rationalität nicht haben möchte? Sei es , weil man sich nicht mit dem Ärger in der Familie belasten möchte, sei es weil man nicht immer die Stimmen anderen Menschen, die sich über einen lustig machen, im Kopf haben möchte oder was für weitere Gründe es dafür noch geben mag. Man kann anfangen, mit seiner Rationalität eine Mauer zu bauen, die alle Emotionen, die man nicht explizit zulassen möchte, aus dem eigenen Kopf heraus hält. Es ist ein mühseliger Prozess, der viel Zeit und zumindest anfangs viel Konzentration in Anspruch nimmt. Wenn man nach einem oder zwei Jahren dann aber eine stabile Mauer aufgebaut hat, sieht man, dass sich die Mühe gelohnt hat. Das Leben wird einfacher, wenn man es Rational betrachtet und vieles, das einen vorher bedrückt hat, verliert einfach seinen Schrecken. Außerdem besitzt die rationale Persönlichkeit eine unglaubliche Triebkraft, die einen jeden Tag aufs neue motiviert und anspornt. Man nimmt viele Dinge aus einer anderen Perspektive wahr und sieht viel häufiger die unglaubliche Ironie, die im Leben steckt. Und man fängt an, seinen Kopf an bestimmte Dinge zu hängen. Es kann eine AG in der Schule, der Sportverein oder ein anderes Interesse sein, das sich wie ein Virus in den eigenen Kopf f frisst und einen immer wieder aufs Neue für dieses eine Interesse motiviert. Das einzige „Problem“ dabei ist, dass man nur sehr langsam von diesem Interesse wieder loskommt, falls man es überhaupt schafft, weil der Geist sich wirklich in Interessen verlieben kann. Man muss sich dafür nur mal Historiker angucken, die sich quasi ihr gesamtes Leben mit einem kleinen Ausschnitt aus einer bestimmten Epochen beschäftigen können.
Was aber passiert, wenn zu irgend einem geistigen Virus eine emotionale Komponente dazukommt? Und was passiert, wenn diese beiden Komponenten nicht mehr übereinstimmen? Wenn sich ein Gedanke einmal wirklich in die „DNA“ jeder Gehirnzelle geschrieben hat, ist er eigentlich nicht mehr aus dem Kopf zu verbannen. Er kann zu jeder Zeit wieder zuschlagen und einen verwirren, weil er den eigenen Gedankengang einfach unterbricht. Teilweise benötigt dieser Gedanke einen Auslöser, wie Beispielsweise einen bestimmten Ort, eine bestimmte Handlung oder ähnliches. Teilweise reicht aber auch schon ein Verstand, der nicht mehr ganz Aufmerksam ist, damit dieser Gedanke wieder Raum gewinnen kann. Die zu dem Gedanken gehörige emotionale Komponente kann die Mauer, die man so mühsam im Laufe der Zeit errichtet hat, einfach durchbrechen, weil der Gedanke sie durch die Mauer der Rationalität schleusen kann. Solange die emotionale Komponente aber mit der rationalen übereinstimmt, ist diese weiterhin kein großes Problem, weil man die Emotion dann schließlich bewusst erlebt und auch erleben will.
Ein Problem entsteht erst, wenn man wenn man diese Emotion nicht mehr erleben will und/oder auch eigentlich nie erleben wollte. Wenn eine Emotion sich einfach so durch die Mauer gewühlt und sich in Form von Gedanken in die Rationalität des Menschen eingeschlichen hat. In diesem Fall ist es augenscheinlich sehr schwer, die Emotion wieder in ihre Schranken zu weisen. Das ist aber nicht das einzige Problem, denn durch den Durchbruch, den diese eine Emotion geschaffen hat, drängen nun auch all die Emotionen, die man sorgsam abgeblockt hatte. Sie suchen sich einen Weg durch die Mauer, vergrößern das Loch oder schaffen neue Risse, sodass die Rationalität des Menschen alle Hände voll zu tun hat, dies zu verhindern. Wenn noch erschwerend hinzukommt, dass man Emotional ausgebrannt und erschöpft ist, steht die Rationalität vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Zum einen muss sie nun alleine für die notwendige Motivation sorgen, zum anderen muss sie immer mehr Kraft aufwenden, um die Emotionen überhaupt wieder in den Griff zu bekommen.
Wie viel Kraft kann die Rationalität eines Menschen haben? Es scheint, als ob die Energiereserven der Rationalität sehr, sehr groß sind, aber auch sie sind irgend wann erschöpft. Und wenn selbst der Verstand nicht mehr dafür sorgen kann, das die Emotionen da bleiben, wo sie hingehören, nämlich NICHT in den Kopf, dann verschwindet die Fähigkeit zur rationalen Betrachtung der Welt allmählich. Es ist irgendwie Ironie des Schicksals, das ausgerechnet die Gefühle, denen man eigentlich das größte positive Potential zuspricht, dazu führen können, das ein Mensch seine sorgsam errichtete Mauer verliert und damit auch den größten Teil dessen, was sein Leben lebenswert gemacht hat. Denn wenn man die Mauer einmal errichtet hat, kann man sie nur noch einreißen, wenn man bereit ist, vollständig in seinen Emotionen zu ertrinken und die zuletzt nur noch schwache Glut der Rationalität für immer verlöschen zu lassen. Und selbst wenn es noch nicht soweit ist, stellt sich immer die Frage, wie lange die Mauer noch hält, wenn sie einmal durchbrochen wurde. Stellt sich immer die Frage, bis zu welchem Grad der Einschränkung des Verstandes sich das Leben noch lohnt.
Never give up!
'Cause life is worth fighting for
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