Dienstag, 4. März 2014

Riskantes Schachspiel auf ukrainischem Boden



Der Konflikt in der Ukraine schwelt schon seit geraumer Zeit, aber lange sah es so aus, als ob er ablaufen würde wie die meisten mehr oder minder gewaltfreien Umbrüche in der jüngeren Vergangenheit. Bis zur Vertreibung von Janukowitsch hielten sich auch alle Beteiligen mehr oder weniger an das universelle „Drehbuch der Geschichte“ – so weit, bekannt. Am 28.2. änderte sich die Situation jedoch auf einmal gewaltig. An jenem Freitag tauchten in den verschiedensten Medien plötzlich Berichte über nicht gekennzeichnete Soldaten auf der Halbinsel Krim auf. Es kam zu Straßensperren, der Blockade vom Parlament und eines Flughafens und aufgrund dessen zur Kurzzeitigen Einstellung des Flugverkehrs. Da sich die Ukraine zumindest teilweise schon auf einen Bürgerkrieg zubewegt hat, war es erst einmal nicht verwunderlich, dass die eher russisch gesinnten Krim-Bewohner eine eigene Bürgerwehr bildeten, um ein Gegengewicht zu den eher westlich gesinnten Bürgerwehren auf dem Maidan zu haben. Was jedoch sehr schnell auffiel war, dass diese „Selbstverteidigungskräfte“ nicht nur wie professionelle Soldaten mit schweren Waffen und sogar panzerbrechenden Waffen gesehen wurden, sondern dass ihre Aktionen sehr koordiniert und zielstrebig abliefen. Während die Bürgerwehren in Kiew definitiv als Bürger unter Waffen zu erkennen waren, die offensichtlich kaum Erfahrung mit dem Besetzten von Gebäuden und strategischen Planungen hatten, schienen diese „Selbstverteidigungstruppen“ ziemlich straff organisiert zu sein. Das einen Tag später die ersten russischen Fahrzeuge auf Krim auftauchten, bestätigte dann nur das, was sowieso schon vermutet wurde: Diese Einheiten waren mehrheitlich russische Soldaten, die keine Hoheitszeichen trugen. Das Fehlen von Hoheitszeichen auf der Uniformen ist zwar ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen und die Haager Landkriegsverordnung – beide sind von Russland ratifiziert -, aber in der momentanen Situation dürfte dass das geringste Problem darstellen. Es dauerte noch etwas, bis dann endlich russische Offizielle zugaben, dass sich russische Truppen auf Krim befinden. Ihr Aufenthalt dort sei aber im Rahmen der verschiedenen Verträge, die die Ukraine mit Russland über den Stützpunkt der Schwarzmeerflotte abgeschlossen hat, und somit vollkommen legal. Außerdem müssten diese Einheiten die Sicherheit der Krimbevölkerung gewährleisten, da sie aufgrund der Unruhen in Kiew um ihr Leben fürchten müssten. Im Großen und Ganzen hat sich die Situation bis jetzt nur noch marginal verändert, aber gerade diese marginalen Veränderungen zeigen, wie Weltpolitik heute funktioniert! Denn eigentlich handelt es sich bei der gesamten Aktion „nur“ um ein besonders interessantes Schachspiel mit sehr hohen Einsätzen.

Bei der folgenden Betrachtung lasse ich bewusst jegliche moralischen Aspekte außer Acht, weil das alles nur „unnötig“ verkomplizieren würde. Durch die Destabilisierung der ukrainischen Führung konnte Russland den ersten Zug machen – es besetzte Flughäfen, errichtete Kontrollpunkte und belagerte die ukrainischen Kasernen – was traditionell ein Vorteil ist.
  
Die Ukraine musste auf diese furiose russische Eröffnung nun reagieren. Beide Parteien wissen, dass sie im Prinzip eine Art „Schnellschach“ spielen und müssen sehr unterschiedlich darauf reagieren. Russland muss die „Partie“ möglichst schnell für sich entscheiden, um sich nicht finanziell zu überheben und um kein PR-Desaster zu erleben. Die Ukraine muss möglichst lange durchhalten, damit die westlichen Verbündeten genügend Druck auf Russland ausüben können. Außerdem spielt die Ukraine nur mit „Bauern“, darf sich also nicht wirklich wehren, sondern muss einfach nur verhindern, dass ihre Figuren geschlagen werden.

Die ukrainische Reaktion auf Russlands Eröffnung war das Anrufen der internationalen Gemeinschaft und eine Mobilisierung aller Reservisten. Russland reagierte darauf mit dem Verweis auf die Gefährdung der Krim-Bewohner und dass sie sich in den Rahmen der Verträge handeln. Außerdem blockierten sie anscheinend zeitweise die Handykommunikation und riegelten mit ihrer Flotte den ukrainischen Hafen ab. Die Ukraine erhielt als Antwort darauf finanzielle und ideologische Rückendeckung der G7 und sperrte ihren Luftraum für fremde Militärflugzeuge. 

Kurz darauf kursierten Gerüchte über ein angebliches Ultimatum der Russen an das Militär auf der Krim. Zwar wurde diese Meldung ein wenig halbherzig dementiert, aber Putin, der sonst zu allen wichtigen Ereignissen etwas zu sagen hatte, schwieg diesmal. Damit war eine diffuse Drohung ausgestoßen, die der ukrainischen Regierung sicherlich ziemliches Kopfzerbrechen bereitete. Ging man auf das Ultimatum ein, würde man die Krim sofort verlieren. Ging man nicht darauf ein, riskierte man es, am nächsten Morgen die Regierung eines Trümmerhaufens zu sein, falls einen die russische Artillerie überhaupt am Leben gelassen hätte. Man entschied sich für das Stillhalten und es wurde belohnt. Die elendige Pattsituation blieb damit zwar bestehen, aber es war ein kleiner Punktsieg für die ukrainische Führung.

Die nächste Runde und noch laufende Runde eröffnete Russland mit der Drohung, dass die Ukraine bald 30% mehr für ihre Gasimporte aus Russland bezahlen muss – wohlwissen, dass dies aufgrund der sehr angespannten Finanzsituation die Ukraine in den Staatsbankrott treiben wird. Als Reaktion darauf versprachen die G7, der IWF und die EU, dass sie der Ukraine Finanzhilfen zur Verfügung stellen werden um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Im Verlaufe des 4.3 haben außerdem ukrainische Soldaten mehrfach versucht unbewaffnet russische Blockaden an Flughäfen und Kasernen zu durchbrechen. Die (vermutlich, da nicht gekennzeichneten) russischen Soldaten stoppten sie mit Schüssen in die Luft und drohten, im Zweifelsfall die „angreifenden“ unbewaffneten ukrainischen Soldaten zu erschießen.

Die nächsten Tage werden zeigen, wie die Partie weiter gespielt wird, gerade da Russland die Zeit davon läuft. Verliert ein Spieler die Übersicht und es fällt ein einziger Schuss dürfte das den vollkommen unnötigen Tod von vielen Personen zur Folge haben und in einer Besetzung der Ukraine durch Russland enden. Noch ist niemandem daran gelegen, dass es soweit kommt, aber wer weiß ob das so bleibt.

Ich selber beobachte die Geschehnisse in der Ukraine mit einer Mischung aus Verachtung und Bewunderung. Verachtung für die so offensichtliche Grenzverletzung und die Dreistigkeit von Putin. Bewunderung für die unglaublich geschickte Inszenierung der gesamten Aktion und die überaus intelligente Taktik, die bis jetzt dahinter zu stecken scheint. Hoffentlich halten sich alle beteiligten Parteien mit der Anwendung von Gewalt zurück, damit wir nicht Zeitzeugen einer der größten europäischen Katastrophen dieses Jahrzehntes werden.

Der kalte Krieg - anscheinend immer noch etwas (zu) warm

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