Mittwoch, 21. März 2012

Freiheit = Freiheit ? Zwei konträre Positionen


Die Definition von Freiheit nach Kant

Um Kants Freiheitsbegriff verstehen zu können, ist es hilfreich ein wenig über seinen sozialen Hintergrund und die vorherrschenden Ideale seiner Zeit zu wissen.
Immanuel Kant wurde1724 in Königsberg als Sohn eines einfachen Riemermeisters geboren. Dank dem Ehrgeiz seiner bildungsbewussten Mutter konnte er das Collegium Fridericianum, eine Königsberger Gelehrtenschule, besuchen. Nachdem er das Collegium erfolgreich durchlaufen hatte, besuchte er ab 1740 die Königsberger Universität. Eigentlich hatten seine Eltern eine Laufbahn als Pfarrer für Kant vorgesehen. Dieser interessierte sich jedoch deutlich mehr für die naturwissenschaftlichen Vorlesungen und besuchte die Theologische Fakultät  nur sporadisch. Während seiner der gesamten „vorkritischen Periode“, also der Zeit bis zu dem Erscheinen seines Werkes „ Der Kritik der reinen Vernunft“ im Jahre 1781 setzte sich Kant intensiv mit den Naturwissenschaften auseinander. Seine Schriften aus dieser Zeit sind vor allem von dem Bestreben getragen gewesen, einen rationalen und freien Zugang zu den Naturwissenschaften und damit der Erkenntnis des Weltaufbaus zu finden. Dies war keineswegs so selbstverständlich wie es uns heute erscheint, da auch in den Naturwissenschaften noch religiöse Dogmen zu finden waren. Gegen 1780,  also um das Erscheinen der „Kritik der reinen Vernunft“ setzte sich Kant immer stärker mit eher abstrakten Themen wie Ethik  und Religion auseinander. Mit seiner Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ die 1793 erschien, forderte Kant den preußischen Staat heraus, der in diesem Essay eine „Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der Heiligen Schrift und des Christentums“ sah. Immanuel Kant sah sich diesem Konflikt nicht gewachsen und verzichtete 1794 deshalb auf weitere öffentliche Äußerungen zum Thema Religion. Dieses Verhalten ist im Zeitalter der Aufklärung, in dem erstmals auch vor heftiger Kirchenkritik nicht zurückgeschreckt wurde, vielleicht etwas unverständlich, wird aber nachvollziehbar, wenn man Kants Einstellung zur Französischen Revolution betrachtet. Er hatte sich vollkommen aus der Revolution herausgehalten und erst im Nachhinein das Ziel gelobt, auch wenn er die Mittel und Wege, die zu diesem Ziel geführt haben, verurteilte. Kant war also keineswegs ein erfahrener Politiker, wie es viele seiner Zeitgenossen aus guten Gründen waren. Er starb 1804 in Königsberg und war schon zu Lebzeiten eine sehr bekannte und einflussreiche Persönlichkeit.
Die Losung der Französischen Revolution lautete „Freiheit , Gleichheit, Brüderlichkeit“  und genau an diesem Punkt kommt ausgerechnet Kant, der nicht an der Revolution mitgewirkt hatte, wieder ins Spiel. Da die Französische Revolution von den Ideen der Aufklärer getragen wurde und Kant einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Aufklärer war, dürfte das „Freiheit“ in dieser Losung seiner Definition von Freiheit entsprochen haben. Immanuel Kant definierte die Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ und schuf damit die Basis für einen neuen, besonderen Freiheitsbegriff. Dieser Freiheitsbegriff war deshalb neu, da er als Grundlage die Logik hatte und, damit die Universalisierung dieses Begriffes überhaupt sinnvoll war, davon ausgegangen werden musste, dass alle vernünftigen Wesen auf einer bestimmten Basis gleich sind. Damit war der erste Schritt in Richtung Bürgerrechte für alle und gegen eine Klassengesellschaft getan.
Solange der Mensch unmündig war, also durch beispielsweise Gefühle, Gesetzte oder Erziehung fremdbestimmt wurde, war er unfrei. Dieses unreflektierte Verhalten eines Menschen entspricht dem Verhalten eines Wesen, dass den Naturgesetzten unterworfen ist, also nur seinen eigenen, egozentrischen Interessen folgt. Sobald der Mensch allerdings anfängt zu reflektieren und sich seiner Vernunft zu bedienen, wird er frei. „Sapere aude“ ist für dieses reflektierende Verhalten natürlich Voraussetzung. Für Kant ist ein Mensch nur frei, wenn das „Wollen“ das von seinem autonomen Willen aus kommt, durch den Kategorischen Imperativ gefiltert wird. Erst wenn das „Wollen“ diesen Filter durchlaufen hat, darf es zu einer Handlung kommen, die im Einklang mit dem Kategorischen Imperativ ist. Der Kategorische Imperativ ist die „Goldene Regel“ aller Gemeinschaften, und lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetzt werde!“ Nach Kant ist dieser Kategorische Imperativ das wichtigste Moralgesetzt. Da der Imperativ universal gilt, muss jede Handlung aufgrund von „gutem Willen“ also aufgrund einer vernünftigen und rationalen Überlegung stattfinden. Nur wenn dies bei einer Handlung berücksichtigt wird, kann man nach Kant von einer „freien“ Handlung sprechen. Jede Handlung, die durch Emotionen oder Gesetzte beeinflusst wird, und dadurch nicht mit dem kategorischen Imperativ entspricht, ist unfrei.
Kant sagt also, dass ein Mensch unfrei ist, wenn er bei seinen Handlungen nur seinem autonomen Willen, also seinen „Urtrieben“ folgt und nur dann frei ist, wenn er den diesen Willen durch das Moralgesetzt, also den Kategorischen Imperativ einschränkt. Dies bedeutet, dass der Mensch nur „frei“ ist, wenn er sich durch ein Moralgesetzt, dass auf Grundlage der Logik aufgebaut ist, einschränkt. Ist dies etwas ein Wiederspruch?
Wie kann ein Mensch gleichzeitig „frei“ und „unfrei“, also in seinem Handeln eingeschränkt sein? Die Konsequenzen dieser Idee von Kant werde ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal aufgreifen und an dem Beispiel der Freiheitsdefinitionen meiner Mitschüler erklären.

Freiheitsdefinition von Jean-Paul Sartre

Auch bei Sartre ist es wichtig seine Lebensbedingungen und sein soziales Umfeld zu kennen um seine Freiheitsdefinition verstehen zu können.
Jean-Paul Sartre wurde 1905 als Sohn eines Marineoffiziers in Paris geboren. Sein Vater verstarb allerdings gut 15 Monate nach Sartres Geburt, sodass Sartre von seiner Mutter und seinem Großvater erzogen wurde. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr wurde Sartre von seinem Großvater, der Gymnasialprofessor für Deutsch war und verschiedenen Privatlehrern unterrichtet. Nach dem er sein Baccalauréat bestanden hatte, schrieb er sich in der Eliteuniversität Ecole Normale Supérieur ein. Dort begann er zu schreiben und belegte Kurse wie Psychologie, Logik und Moralphilosophie. In dieser Zeit wurde sein Interesse an  Bellestrik und  Philosophie immer deutlicher und Sartre unterrichtete schließlich auch von 1931 – 1939 Philosophie an höheren Schulen. Ein Stipendium in Berlin ermöglichte ihm 1933/34 sich mit den Gedanken von Heidegger, Hegel und Hussler vertraut zu machen. Nachdem Frankreich Deutschland am dritten September 1939 den Krieg erklärt hatte, wurde Sartre eingezogen. Jean-Paul Sartre benutzte die Zeit des sogenannten „Sitzkrieges“ dafür, ein Buch fertig zu stellen. Kurz vor dem Waffenstillstand 1941 geriet Sartre mit seiner Einheit in Gefangenschaft, wurde jedoch im März 1941 schon wieder entlassen, da er auf dem rechten Auge teilweise erblindet war. Der Krieg hatte den bis dahin politisch ziemlich inaktiven Sartre politisiert und er gründete ziemlich schnell nach seiner Freilassung eine Wiederstandsgruppe. Zu dieser Zeit entwickelte er auch seine Philosophie des Existenzialismus, die auch durch die Erfahrung geprägt wurde, wie schwer es war, Menschen für den Wiederstand zu gewinnen.
Der Grundgedanke seiner Philosophie lautet: „ Der Mensch ist verurteilt, frei zu sein!“ Sartre geht davon aus, dass es kein Gebote, keine Werte gibt, die über dem Menschen stehen und es somit nichts gibt, an dass sich der Mensch halten kann. Dies führt zu einer völligen Freiheit des Menschen, oder wie er es ausdrückte „[…] es gibt keine Vorausbestimmung mehr, der Mensch ist frei, der Mensch ist Freiheit. “ Um innerhalb dieser vollkommen Freiheit, dieses moralfreien Raumes überhaupt Handeln zu können, müsste man sich an seine Emotionen halten. Es genüge nicht, einfach zu sagen, dass man lieber für sein Land Kämpfen würde, als dass man bei seiner Familie bleibt. Solange man nicht wirklich für sein Land kämpft und bei seiner Familie bleibt, ist einem nach Sartre die Familie wichtiger. Er betont, dass jede Entscheidung eines Menschen moralisch ist, solange er auch die Folgen dieser Entscheidung tragen kann. Wenn man also lieber bei seiner Familie bleibt anstatt gegen die Invasoren zu kämpfen, dann kann man dies problemlos machen, solange man die Folgen für diese Handlung tragen kann. 
Die Betonung der Subjektivität der Moral ist ein bedeutendes Merkmal von Sartres Philosophie. Solange man seine Handlung nachher vertreten kann, ist jede Handlung gerechtfertigt und moralisch. Diese Sichtweise führt natürlich dazu, dass im Prinzip jede Handlung moralisch erlaubt ist, solange der Handelnde nachher die Konsequenzen seiner Handlung tragen kann.

Sartres Freiheitsdefinition unterscheidet sich diametral von Kants. Während Sartre vollständige subjektive Freiheit postuliert, beschreibt Kant eine Freiheit, die nur durch die Einschränkung des autonomen Willen durch den Verstand zustande kommt, also eher objektiv ist. Trotz ihrer vollständigen Gegensätzlichkeit sind beide Freiheitsdefinitionen nebeneinander im Alltag im Gebrauch und dies kann ein Grund für zwischenmenschliche Konflikte darstellen. 
 
Hauptsache frei? - Freiheit als Hauptsache?

Freitag, 16. März 2012

Der Umgang der Gesellschaft mit Tod und Suizid


Der Tod und das Vergehen von Leben ist ein Thema, über dass in unserer Gesellschaft meist sehr zurückhaltend und flüsternd gesprochen wird. Häufig werden dann auch Euphemismen verwendet um die Thematik etwas zu entschärfen. Oft genug wird das Thema Tod aber auch einfach verschwiegen und nur dann angesprochen, wenn es sich überhaupt nicht mehr vermeiden lässt, beispielsweise beim drohenden Tod von kranken oder alten Menschen oder bei plötzlichen Todesfällen. In gewisser Weise ist es auch verständlich, dass ein Wesen wie der Mensch, der Pläne für seine Zukunft hat, sich dem Prozess des Alterns und dem daran folgenden verschwinden sehr bewusst ist, dieses Thema sehr ungern anschneidet. Man möchte das Leben wahrscheinlich so lange es geht genießen und sich erst ganz am Ende Gedanken darüber machen, wie und ob es danach weitergeht. Es stellt sich mir jedoch die Frage, ob der Tod wirklich etwas so schreckliches, grausames oder böses ist? Natürlich ist der Tod das Ende unseres Lebens, unserer Wirkungszeit, unserer Gedanken und Träume. Er löscht unsere aktive Existenz aus und verhindert, dass wir noch mehr erleben, noch mehr schaffen und verändern können. Aber andrerseits ist der Tod doch auch das einzige, dass, neben der Geburt, jeder Mensch, unabhängig von Ethnie, finanzieller Lage oder sozialer Situation, erleben muss. Der Tod macht alle Menschen zu Brüdern und zeigt eindeutig, dass wir unsere Lebenszeit halbwegs effektiv nutzen müssen, wenn wir etwas erreichen  wollen. Ohne den Tod würden Tyrannen endlos lange herrschen und es gäbe überhaupt keine Notwendigkeit für die Weitergabe von Wissen und Erfahrungen. Wenn die Menschen ewig leben würden, müssten sie ihre Erfahrungen nicht aufschreiben, um sie an die nächste Generation weitergeben zu können, sondern sie könnten sich darauf verlassen, dass sie dieses Wissen mündlich weitergeben könnten. Die Vergänglichkeit des Menschen erzeugt einen recht mächtigen Druck, Wissen so zu konservieren, dass es auch noch die Generation nach einem verstehen kann. Dieser Druck kann auch als Fortschritt bezeichnet werden! Es stimmt allerdings auch, dass der Tod auch all die Gerechten trifft und somit unter Umständen ein stabiles Land oder eine stabile Familie in eine Krisenregion verwandelt. Aber er ist gerecht und trifft irgendwann jeden Menschen, egal wie er gelebt hat und was er gemacht hat.

Neben dem Tod ist auch das Sterben ein Thema, dass nur sehr ungern behandelt wird. Während das allgemeine, natürliche Sterben eines Menschen von vielen Personen aus meinem Umkreis als zwar schlimm, aber akzeptabel eingestuft wird, wird über den unnatürliche Tod meist etwas anders geredet. Ich meine mit diesem Begriff nicht den Tod durch eine Gewalttat oder einen Unfall, sondern Selbstmord. Selbstmord scheinen vielen Personen nicht als „angemessenen“ Tod einer anderen Person akzeptieren zu wollen oder können. Während sich beim natürlichen Tod eines Menschen die Anzahl der Selbstvorwürfe der Angehörigen meist in Grenzen hält und auch die Trauerzeit verhältnismäßig schnell vorbeigeht, dauert es bei einem Selbstmord häufig sehr lange, bis der Schmerz über den Tod der Person halbwegs verkraftet ist. Aber abgesehen von dem Schmerz, den ein Selbstmord bei den Angehörigen verursacht, zieht er meist noch Anschuldigungen auf sich. Und dies ist etwas, das bei einem „normalen“ Tod im Regelfall nicht passiert. „Über die Toten nichts außer Gutes“ ist ein Sprichwort, das für Selbstmörder anscheinend häufig nicht gilt. Man kann sich natürlich über den Sinn dieser Sonderbehandlung von Toten streiten, aber ich möchte mein Augenmerk lieber auf den Grund dieser Sonderbehandlung lenken. Zumindest in meinem Umkreis herrscht der Gedanke vor, dass eine Person kein Recht darauf hat, sich selber aktiv umzubringen. Eine Patientenverfügung zu unterschreiben ist zwar akzeptabel, aber selber Hand an sich zu legen um sich aktiv selber zu töten ist es nicht. Wenn man vorsichtig nach dem Grund für diese Sonderbehandlung stochert, laufen die Antworten alle in die Richtung „ Der hat doch gar nicht an sein Umfeld gedacht“ „ Der hat doch gar nicht das Recht sich zu töten“ oder auch „ Es hätte doch sicherlich auch andere Lösungen gegeben mit denen er seine Familie/ seine Freunde nicht so verletzt hätte“ . Am interessantesten erscheint mir die Aussage, dass ein Mensch doch gar kein Recht darauf hat sich selber zu töten. Vielleicht ist diese Meinung unserer christlich-abendländischen Tradition geschuldet, die Selbstmorde verbietet und ächtet. Noch zu Beginn der Neuzeit haben Selbstmörder kein geweihtes Grab bekommen, weil man ihre Tat für Gotteslästerung hielt. Vielleicht rührt die Ansicht, dass man nicht über das eigene Lebensende entscheiden kann, noch aus dieser Zeit heraus. Kann man diesen Standpunkt aber noch aufrecht erhalten, wenn man einmal von religiösen Gesetzten und Gebräuchen absieht?

Ein Mensch kann sich nicht dagegen wehren, geboren zu werden. Nachdem er also ohne eine Wahl in die Welt gesetzt wurde, trägt er ab einem gewissen Alter vollständig die Verantwortung für sein persönliches Leben. Er trägt allerdings als Person auch Verantwortung für das Leben der anderen. Eine Person kann also alles tun was sie will, solange sie damit keine anderen Menschen verletzt. Da eine gesunde Person die vollständige Kontrolle über ihren Körper hat, kann sie jederzeit beschließen ihn so zu beschädigen, dass sie stirbt. Dieses Recht ist in ihrer Eigenverantwortung für ihr eigenes Leben eingeschlossen. Allerdings hat sie kein Recht darauf, die Menschen in ihrem Umfeld zu verletzten und hier beginnen die Probleme! Wenn sich eine Person aus meinem Umfeld, also ein jugendlicher oder junger Erwachsener umbringen würde, dann würde er wahrscheinlich neben seinen direkten Angehörigen auch noch einen sehr großen Anteil all der Menschen verletzten, die mit ihm in einem Jahrgang sind. Ganz zu schweigen von all seinen Freunden, die er auch außerhalb der Schule hatte. So ein Selbstmord kann also ohne zu übertreiben schnell über 100 Personen beeinträchtigen. Und ich glaube, dass es genau dieser Punkt ist, der dazu führt, dass einige Menschen schnell dazu neigen, Selbstmörder zu verurteilen. „ Der hat doch gar nicht an sein Umfeld gedacht“ kann ein berechtigter Einwand gegen einen Selbstmord sein. Aber es kommt hier auch immer auf die speziellen Umstände des Selbstmordes an. Selbstmorde aus „niederen“ also emotionalen Bewegründen sind in meinen Augen fast immer unnötig und damit berechtig zu verurteilen. Nicht in dem Sinne, dass man die Person dafür „anklagen“ und hassen würde, sondern in dem Sinne, dass man den Mut besitzt, die Tat objektiv als „Verschwendung von Leben“ und somit als falsch anzusehen, ohne dass man einen großen emotionalen Groll auf den Selbstmörder hegt. Selbstmorde aus emotionalen Gründen, wie Liebeskummer, Stress, Erfolglosigkeit, gekrängter Ehre oder verletztem Stolz sind meist vollkommen irrational. Die Probleme der Selbstmörder sind objektiv meist zu bewältigen, ohne dass jemand dafür sterben muss. Man muss sich allerdings auch die Frage stellen, ob man der Person nicht vorher hätte helfen können, sodass sie gar nicht erst auf die Idee kommt, vor ihren Problemen durch Selbstmord zu fliehen. Dies stellt sich in den meisten Fällen wahrscheinlich als sehr schwierig heraus, aber man sollte nichts unversucht lassen, um eine suizidale Person davon zu überzeugen, dass ihre Probleme und Sorgen lösbar sind. Es gibt in dieser Gruppe allerdings auch Menschen, die unter einer Prädisposition leiden, die sie psychisch so verändert, dass man sie unter Umständen nicht von einem Selbstmord abhalten kann. In diesem Fällen ist es wahrscheinlich einfach unmöglich etwas gegen ihren suizidalen Drang zu unternehmen, aber auch hier sollte man nichts unversucht lassen. Aber neben dem Selbstmord aus emotionalen Gründen gibt es noch Personen, die sich sehr gut überlegt habe, warum sie Selbstmord begehen wollen.
Meistens leiden diese Menschen an unheilbaren Krankheiten, die sie in absehbarer Zeit so einnehmen werden, dass ihnen ihr Leben nicht mehr Lebenswert erscheint. Es gibt natürlich auch die Sonderfälle von Selbstaufopferungen zugunsten anderer, aber solche Fälle dürften eher die Ausnahme als die Regel sein. Das bekannteste Beispiel hierfür ist sicherlich der Selbstopferung des verletzten Lawrence Oates, der dies Tat um dem Rest der Gruppe um Robert Scott nicht am Weitermarsch zu hindern. Ein Selbstmord aus rationalen Gründen ist akzeptabel und verständlich, wenn die entsprechende Person sein Umfeld vorher darauf vorbereitet. Wenn sie ihre Position logisch und klar vorstellt und darauf hinweist, dass sie unter keinen Umständen mehr weiterleben möchte, dann ist der Selbstmord etwas, das man akzeptieren muss, aber wahrscheinlich auch kann. Es mag einem Feige vorkommen, vor den Tod einer langwierigen oder schmerzhaften Krankheit vorzuziehen, aber ist es das wirklich? Shakespeare bringt diese Frage in Hamlets Monolog „Tob e, or not to be“ sehr gut auf den Punkt: „ But the dread of something after death/ The undiscover’d country from whose bourn/ No travelers returns, puzzles the will,/ And make us rather bear those ills we have/ Than fly to others that we know not of?” Dieser Ausschnitt aus diesem Monolog beschreibt ziemlich eindeutig, dass Shakespeare es für sehr mutig hält den Tod der Krankheit oder dem Misserfolg vorzuziehen, da man nicht weiß, was nach dem Tod kommt. Die Antwort auf diese Frage hängt sicherlich auch von dem persönlichen Glauben und den eigenen Erwartungen an das Leben ab. Aber ich würde so einen Selbstmord nicht als feige, sondern als rational rechtfertigbar und damit als vernünftig bezeichnen. Zwar weiß niemand mit Gewissheit, was nach dem Tod kommt, aber die Wissenschaft ist heute doch schon um einiges weiter als zu Shakespears Zeiten und ist sich ziemlich sicher, dass die Person mit erlöschen ihrer neuronalen Aktivitäten einfach verschwindet, tot ist. 

So schrecklich der Tod für einige Menschen sein mag, ich sehe ihn eher als eine Art Gefährten an, der mir immer zur Seite steht. Er erinnert mich an meine eigene Vergänglichkeit und spornt mich dazu an, meinen Lebenszeit nicht allzu unnütz zu vergeuden. Außerdem ist er der Grund dafür, dass ich bestimmte Dinge sofort mache, bestimme Sätze sofort klarstelle oder bestimme Personen recht zügig anspreche um Sachverhalte zu klären, da er mir immer dazwischen kommen könnte. Ich möchte dem Tod auf Augenhöhe begegnen können, also all das erledigt haben, was ich erledigen wollte und nur wenig an Chaos oder Fragen zurücklassen. Seine Allgegenwärtigkeit, auch wenn er im Moment sehr unwahrscheinlich ist, führt dazu, dass ich viele kleine Dinge sehr bewusst wahrnehme, weil ich möglichst viele Minuten meines Lebens mit schönem oder ästhetischen füllen möchte. Trotzdem werde ich meinem Leben ein Ende setzten, wenn meine Fähigkeit, eine Person zu sein, stark beeinträchtigt wird. Bei einer Krankheit wie Alzheimer, die meine Person Stück für Stück zerstört sehe ich den Tod zu einem Zeitpunkt, an dem ich gerade noch Herr meiner Sinne bin, als durchaus angemessen an. Er ist für mich nichts, was man fürchten müsste, auch wenn man ihm mit viel Respekt begegnen sollte. Der Tod ist schließlich mit das natürlichste, was einem passieren kann.

Lebe, weil es sich lohnt!

Montag, 12. März 2012

KONY 2012


Seit dem 5. März geistern Videos mit dem Titel „Kony 2012“ durch diverse Plattformen wie Youtube, Vimeo oder Facebook. Ich bin mehrmals über diese Videos gestolpert und wurde auch darauf aufmerksam gemacht und habe deshalb beschlossen, mir einmal die knapp 30 Minuten dieses Videos anzutun. Ich hatte eine Menge erwartet, aber das, was dieses Video geboten hat, hat mich dann doch überrascht. Die Mengen an echten Fakten, die während der gesamten 30 Minuten angeboten wurde, lässt sich an einer Hand abzählen. Anstatt über Zahlen, Statistiken, Augenzeugenberichte oder militärische Aufklärungsberichte dem Zuschauer einen konkreten Überblick über die Sachlage  zu geben, wurde ich durchgehend mit Bildern, die einen durchaus zu Tränen rühren konnten, abgespeist.
 Der Anfang der Geschichte war wirklich nett gemacht und auch der erste Kontakt mit dem Protagonisten Jacob Acaye wurde sehr gut in Szene gesetzt. Wenn man nach ca. sieben Minuten Film mit einem elf oder zwölf Jahre alten Jungen, der lieber sterben würde als sein Leben weiterzuführen konfrontiert wird, ist man wahrscheinlich erst einmal tief getroffen. Spätestens von diesem Zeitpunkt an wird man die Geschichte aus einer sehr emotionalen Perspektive betrachten. Das Leid der Kinder wird später im Film noch mehrmals thematisiert, immer in Abwechslung mit den Erfolgreichen Aktionen der Gruppe, die gegen Kony kämpft. Nachdem ich den Film vollständig geguckt hatte, wusste ich jedoch nicht recht, ob ich lachen oder weinen sollte.
Weinen, nicht weil die Geschichte so traurig war, sondern weil die Aktion so traurig ist. Ihre Ziele sind mir mehr als unverständlich und scheinen teilweise sehr schlecht durchdacht. Aber dazu später noch mehr.
Lachen, weil sich dieser Film der wahrscheinlich beste Werbefilm ist, der seit Menschheitsgedenken gedreht wurde. Ich würde darauf wetten, dass dieser Film jeden Wettbewerb gewinnen würde, wenn die Fähigkeit, Menschen zu Aktionen anzuregen, bewertet würde. So viele Klischees, Motive und rhetorische Mittel der unbewussten Manipulation sind mir noch nie in so kurzer Zeit untergekommen. Sogar Göbbels hätte nur einen schlechteren Film zustande gebracht. Technisch bin ich zumindest vollständig von dem Film überzeugt und würde dem Regisseur jederzeit die Produktion von Werbefilmen zutrauen. Aber die hervorragende technische Seite des Film und meine Hochachtung vor dem Regisseur können die qualitativen Mängel des Films nicht überdecken.
 Das fast vollständige Fehlen von Fakten ist etwas, dass in einem Film, der zu Aktionen für oder gegen etwas anregen soll, eigentlich schon unverzeihbar ist, da man nur anhand der Fakten wenigstens teilweise Abschätzen kann, ob man die Aktion unterstützen sollte oder nicht. Natürlich machen emotionale Bilder immer deutlich mehr her und viele Organisationen rufen zu Spenden für Afrika einfach mit einem Bild von einem hungernden afrikanischen Kind auf. Es müssen aber immer wenigstens einige Hintergrundinformationen gegeben werden, die etwas über die reale Lage in der Region aussagen! Wenn dies nicht passiert, ist es unter Umständen nicht besonders klug dort sein Geld zu spenden. Der Film berichtet zwar von den Gräueltaten, die Konys LRA begangen hat und von der, in westlichen Medien kaum beachtete Kinderflucht, die jeden Abend in Richtung Städte stattfand. Aber der Film verschweigt, dass der Bürgerkrieg in Uganda seit ungefähr zehn Jahren beendet ist und sich die LRA aus Uganda zurückgezogen hat. Der Film verschweigt auch, dass auch die ugandische Armee und andere lokale Milizen, die mit dieser Armee zusammenarbeiten, über Kindersoldaten verfügt hat und auch sehr grausam vorgegangen ist. Diese Fakten würden nicht in das einfache schwarz-weiß, gut-böse Bild passen, dass der Film so schön und effektiv vermitteln möchte. Abgesehen von diesen nicht genannten Fakten, stört mich an dem Film noch etwas anderes ganz gewaltig. Etwas, das davon zeugt, dass sich der Regisseur Jason Russel nicht mit der Realität in Uganda auseinandergesetzt hat. Etwas, das letztendlich dazu führt, dass seine Aktion sicherlich gut gemeint war, aber nicht sinnvoll ist. Das Ziel der Aktion „Kony 2012“ ist, dass der Führer der LRA Joseph Kony in diesem Jahr gefangen wird. Um dies zu erreichen wird dazu aufgerufen dafür zu kämpfen, dass die amerikanischen Soldaten nicht abgezogen werden und gleichzeitig die Armee von Ruanda gegen Kony in den Krieg zieht. An diesem Punkt finde ich die gesamte Argumentation völlig realitätsfern. Das größte Problem, dass Uganda, Somalia und viele andere afrikanischen Länder haben ist Krieg! Und ausgerechnet ein Land, das gerade mal halbwegs stabil ist, soll wieder in den Krieg ziehen? Selbst wenn nur ein paar hundert man Kony suchen würde, würde dies bedeuteten, dass wieder eine Armee durch das Land marschiert, die unter Umständen nicht wirklich freundlich fragt, ob sie eine Unterkunft für die Nacht bekommen können. Außerdem stellt sich mir die große Frage, was den in Uganda auf einmal verbessert würde, wenn es Kony nicht mehr gibt? Vor dem Hintergedanken, dass Kony nicht mehr in Uganda aktiv ist, fällt mir da recht wenig ein. Gleichzeigt ist aber allgemein bekannt, das Uganda weitreichende Probleme hat, die man bekämpfen könnte. Da wäre beispielsweise ein Präsident, der seit 26 Jahren im Amt ist und öffentlich gegen Schwule hetzt. Da wären die enormen Staatsschulden, die jedes Jahr größer werden und dem Land jegliche Chance auf einen Anschluss an die Industrieländer verwehren. Außerdem gibt es da noch die völlig marode und kaum vorhandene Infrastruktur, das Fehlen jeglicher Kranken-und Rentenversicherung und das Problem der unheilbaren Krankheiten, wie die „Nodding Disease“. Uganda hat also eine ganze Menge an Problemen und auf genau diese Probleme sollte man sich fokussieren, wenn gerade mal Frieden herrscht.
Das Frühwarnsystem, das die Aktion „Invisible children“ aufgebaut hat, ist eine sinnvolle Aktion gewesen, da es den Menschen frühzeitigt ermöglicht, sich in relative Sicherheit zu bringen. Stationiert man Soldaten in der Nähe dieses Frühwarnsystems, könnte jeder Angriff der LRA sofort gekontert werden, ohne dass man Zivilisten und Soldaten durch eine lange Suche nach Kony unnötig gefährden würde. Auch der Bau der Schulen ist eine lobenswerte Aktion gewesen. Aber wenn von den Spendeneinnahmen nur ungefähr ein Drittel in afrikanische Projekte geht, dann Arbeitet die Organisation einfach viel zu ineffizient. Solche Projekte sollten dann lieber Organisationen überlassen werden, die ein deutlich größeren Teil der Spenden in Projekte umsetzten. Kurz gesagt, ist der Film zwar ein wahrscheinlich idealer Propagandafilm, aber das Projekt, das mit dem Film beworben wird, hängt dem Film qualitativ weit hinterher. Afrika benötig alles andere als Krieg und das hat die Aktion „Invisible children“ anscheinend irgendwie übersehen. Und wenn sogar eine große Anzahl von ugandischen Bloggern und Journalisten sich gegen dieses Projekt aussprechen, weil sie meinen, dass ihr Land mittlerweile deutlich ernsthaftere Probleme hat, dann sollte man sich überlegen, ob sie nicht vielleicht recht haben. Es gibt sicherlich kein Patentrezept für Afrika, aber Krieg ist immer die falsche Wahl. Vor allem, wenn der Gegner schon seit längerer Zeit überhaupt nicht mehr in Uganda operiert! Schützt die Kinder, Frauen, Männer und Familien, aber tut dies nur in der Verteidigung und durch die Verbesserung der Lebensumstände! Die Ziele von „Kony 2012“ sind dafür viel zu aggressiv.

Lieber ungemütliche, wahre Fakten als emotionale, halbwahre Propaganda!

Freitag, 9. März 2012

Syrien - findet die Welt die goldene Mitte?


Ein Thema, dass nicht aus den Medien verschwinden will, egal wie sehr ich es auch hoffe, ist die Situation in Syrien. Schon seit Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht in irgendeiner Onlineausgabe einer Zeitung etwas neues über die Kämpfe dort hört. Und schon seit Wochen werden diese Artikel immer wieder gleich kommentiert. Bei den meisten Artikeln lassen sich die Kommentare grob in zwei Gruppen einteilen. Die eine Gruppe besteht aus Menschen, die unbedingt wollen, dass der Westen, also die Nato/Amerika, dort entweder direkt interveniert oder wenigstens die Rebellen mit Waffen ausstattet. Im Notfall sind diese Menschen meist auch bereit, eine Intervention der arabischen Liga hinzunehmen, auch wenn sie meist Angst vor einem muslimischen Syrien haben. Die andere Gruppe an Kommentaren nimmt eine ziemlich konträre Position ein. Diese Kommentare sind der Meinung, dass man die Rebellen in Syrien Rebellen sein lassen müsse und nicht mehr machen kann, als zusehen, ob sie erfolgreich sind oder nicht. Teilweise tauchen bei diesen Kommentare auch interessante Vergleiche auf. Dort werden die Rebellen dann auf einmal als bewaffnetes Äquivalent der Stuttgart 21 Gegner dargestellt und der syrische Staat als legitim reagierende Staatsmacht. Im großen und ganzen sind diese Kommentare jedoch relativ ernst zu nehmen und die Grundforderung ist ganz klar ein Verzicht auf eine Einmischung des Westens in diesen Konflikt.
Diese Kommentare spiegeln in meinen Augen auch ziemlich gut das Wesen des Menschen wieder: Er kann nur in Extremen denken! Entweder Angriff oder Ignoranz! Man sollte einmal die Folgen von beiden Positionen beleuchten, bevor man sich über ihre Sinnhaftigkeit streitet. Fangen wir mit der einfachen Variante, dem Nichtstun, an.

Was passiert, wenn man den Konflikt einfach so weiterlaufen lässt, kann natürlich kein Mensch genau vorhersagen, aber aufgrund der langen Zeit, die dieser Konflikt schon läuft, lässt sich doch einiges mit recht großer Wahrscheinlichkeit abschätzen. Die Demonstrationen werden wahrscheinlich erst einmal weiterlaufen, was bedeutet, dass bei jeder weiteren Demonstration weitere Menschen sterben werden. Die Rebellen werden sich aus Homs vollständig zurückziehen müssen und sich andere Städte suchen, in denen sie ungestört planen und ausbilden können. Bis die Armee diese Städte gefunden und erobert hat, wir einiges an Zeit vergehen, sodass die Rebellen sich wieder von dem Schlag, den sie durch die Kämpfe in Homs erhielten, erholt haben. Und je nachdem, wie die Bevölkerung die Rebellen unterstütz, wird Syrien entweder in einem jahrelang schwelenden Bürgerkrieg ersticken oder in einen kurzen, aber heftigen Konflikt verwickelt, den wahrscheinlich die Regierung gewinnen wird. So weit, so gut. Lässt man also alles so laufen wie bisher, ist man mitschuldig an dem Tod von hunderten oder tausenden von Menschen, die sich gegen Assad aufgelehnt haben. Mitschuldig am Tod von Menschen, die für Rechte gekämpft haben, die wir für selbstverständlich halten.
Um die Folgen eines militärischen Eingriffs in Syrien abzuschätzen, kann man eine ganze Reihe von Beispielen aus der Geschichte zerpflücken. Am ehesten scheinen mir der Irak-Krieg, der Krieg in Afghanistan und die Situation in Libyen hierfür geeignet zu sein. In allen drei Konflikten hat der Westen militärisch eingegriffen und die direkten Folgen für die Bevölkerung des Staates waren immer die Selben. Wenn man die Aufzählung von der sachlichen Seite her beginnt, dann ist das erste, was einem als Folge des militärischen Eingreifens des Westen einfällt, die Zerstörung der ohnehin schon maroden Infrastruktur. Vor allem in Ballungszentren machte sich dies durch den Ausfall des Strom- , Wasser-, Telefon und Gasnetzes bemerkbar. Aber auch die Infrastruktur kleinen Dörfer und Städte, die zufällig ins Visier der Soldaten gerieten, weil sie feindliche Kämpfer beherbergten, wurde empfindlich gestört. Dies bedeutet natürlich einen enormen wirtschaftlichen Schaden für das Land, da es immer schwieriger wird Sachen zu Produzieren und zu verschicken. Neben der Beschädigung der Infrastruktur spielt auch die absichtliche oder versehentliche Zerstörung von Fabriken eine wichtige Rolle. Vor allem, wenn Kraftwerke beschädigt oder zerstört wurden, hatte dies katastrophale Folgen für die umliegenden Betriebe. Auch die Beschädigung von Raffinerien, Ölförderstellen und Gas- oder Ölleitungen ist nicht ausgeschlossen. Werden diese Gebäude beschädigt, droht neben einem fast unlöschbaren Brand auch noch der Ausfall der Energieversorgung für einen großen Teil des Landes. Als letztes sollte noch erwähnt werden, dass im Falle eines Krieges auch die letzten ausländischen Kapitalgeber sich wahrscheinlich umorientieren werden und das Land somit ohne großes Kapital dasteht. Wenn der Krieg dann beendet ist, wird es Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte dauern, um den Schaden, den einige Monate Krieg verursacht haben, wieder zu beheben. Neben den rein sachlichen Aspekten gibt es aber auch noch den humanitären Aspekt, der wahrscheinlich sogar der wichtigere Punkt ist. Die ersten Opfer einer westlichen Intervention werden die Menschen sein, die sich nicht wehren können, also alte, kranke und Kinder. Hinzu kommen häufig noch die Frauen, die mit diesen Menschen zu Hause bleiben. Man wird sich also gewöhnen müssen an Bilder von zerbombten Stadtvierteln, in denen die Leichen von kleinen Kindern, großen Kindern, Frauen, alten Menschen und vereinzelt auch Männern liegen. Natürlich gibt es moderne Bomben, die so genau zu steuern sind, dass sie sogar ein bestimmtes Haus in einer Häuserreihe treffen. Aber diese Bomben unterscheiden genauso wenig zwischen bewaffneten Personen und Kindern wie alle anderen Bomben auch. Durch die Zerstörung der Infrastruktur werden natürlich auch die Lebensbedingungen immer schlechter werden. Hunger und Krankheit werden zum täglich Brot der Bewohner der Städte gehören, die bombardiert wurden. Die Rebellen werden durch die Unterstützung wahrscheinlich noch an Mut und Anhängern gewinnen und sich irgendwann selber in die Offensive wagen. Eine große Anzahl an Kämpfern bedeutet aber auch eine große Anzahl an potentiellen Toten und da die Gewalt der Rebellen mit Gewalt von Seiten der Regierungstruppen beantwortet werden wird, wird auch die Anzahl der toten Soldaten noch stark steigen. Am Ende einer solchen Intervention des Westen wird wahrscheinlich der Sieg der Rebellen stehen, doch dieser Sieg wurde mit dem Tod von Tausenden oder sogar Zehntausenden von Menschen, die nichts mit dem Konflikt zu tun hatten, erkauft. Außerdem wird man dann vor dem Problem stehen, dass man gar nicht weiß wie man einen Staat zu führen hat. Das dies durchaus ein Problem darstellen kann, zeigt die französische Revolution sehr schön auf. Dort mussten erst mehr als zehntausend Menschen sterben, bevor man wieder eine halbwegs stabile Regierung hatte. Diese war dann auch schon wieder keine Demokratie mehr, sondern einen Monarchie, mit einem selbstgekrönten Kaiser an der Spitze. Es müsste nach einem Sieg der Rebellen also Unterstützung bei der Staatenbildung gegeben werden. Alles in allem kann man über dieses Szenario nur sagen, dass eine sehr große Anzahl an Menschen, die sich nicht aktiv in dem Konflikt beteiligten, sterben wird, bevor der Regierungswechsel erreicht wird. Und was danach kommt ist so unsicher, dass man lediglich wilde Spekulationen aufstellen kann.

Mir scheinen beide Möglichkeiten, sowohl sich einfach aus dem Konflikt herauszuhalten, als auch sich militärisch dort einzumischen, nicht wirklich sinnvoll für Bevölkerung des Landes zu sein. In beiden Fällen ist man direkt oder indirekt für den Tod von Tausenden oder Zehntausenden von Menschen verantwortlich und hat kein stabiles Staatssystem errichtet. Ob sich der Tod von so vielen Menschen auch gelohnt hat, wird erst viele Jahre später feststehen und diese Entwicklung können die Interventionsstaaten nicht beschleunigen, sondern nur unterstützen. Wenn am Ende dieser Staatenbildung dann ein muslimisch-theokratischer Staat steht, hätte man sich diesen Militäreinsatz sparen können, da dann auch wieder eine Diktatur etabliert wird. Auf den ersten Blick scheint man also in einem Dilemma zu sitzen, da jede Entscheidung zwangsläufig zu viel Tod und Verderben führt und der Ausgang immer ungewiss ist. Aber wer sagt, dass es nur diese beiden Möglichkeiten gibt.

Eine Idee, die in den letzten Tagen immer wieder mal zaghaft angeklungen ist und die mir persönlich auch am ehesten Zusagt, ist die Idee der Errichtung einer Schutzzone um die Städte, in denen Momentan Gefechte zwischen Rebellen und Regierungstruppen stattfinden. Auch dieses Verfahren ist geschichtlich erprobt, am bekanntesten ist wahrscheinlich die Schutzzone um Srebrenica. Dort hatte die Schutzzone allerdings versagt und des kam zu einem Genozid innerhalb der Stadt, der ca. 8000 Menschen das Leben kostete. Wenn die Schutzzone jedoch funktioniert, wäre dies ein gewaltiger Schritt in Richtung Waffenstillstand und würde neue Verhandlungsmöglichkeiten aufzeigen. Dass die Zivilbevölkerung vor weiteren Angriffen von beiden Seiten, also sowohl von Rebellen als auch von der Regierung, geschützt werden muss, scheint klar zu sein. Wenn also die Städte, in denen Momentan gekämpft wird von NATO-Einheiten kontrolliert würden, die keine Partei ergreifen, sondern „einfach“ die Rebellen von den Regierungstruppen trennen und die Zivilbevölkerung schützen, könnten Friedensverhandlungen möglich werden. Das Ziel dieser Verhandlungen sollte natürlich ein halbwegs Demokratischer Staat ohne Assad sein, aber da in der Zwischenzeit keine weiteren Kämpfe stattfinden sollten, hätte die NATO eine Menge an Zeit um Syrien die notwendige Unterstützung bei der Regierungsbildung zukommen zu lassen. Außerdem würde die Opferzahl unter der Zivilbevölkerung wahrscheinlich ziemlich gering bleiben. Natürlich weiß ich nicht, ob dies alles so funktionieren könnte, aber es klingt für mich zumindest sinnvoller als entweder dabei zuzugucken, wie die Menschen sterben oder sich aktiv daran zu beteiligen, dass Menschen sterben.

Was mich immer wieder schockiert hat, ist die Selbstgefälligkeit, mit der viele Menschen die Demonstrationen in Syrien bewerten. Sprüche wie „ Wenn die Demonstranten Waffen in der Hand habe, dann müssen sie sich nicht wundern“ oder „ Da es immer nur einige hundert oder tausend Demonstranten sind, scheint die Mehrheit der Syrer doch hinter Assad zu stehen“ stimmen mich traurig. Diese Menschen, die in Syrien auf die Straßen gehen, riskieren bei jeder Demonstration ihr Leben. Sie demonstrieren nicht, weil sie Langeweile haben oder sie Demos hipp finden, sie demonstrieren, weil sie lieber sterben, als weiter so zu leben wie sie es bisher tun! Diese Menschen wissen, dass sie einfach getötet werden können und gehen trotzdem auf die Straße. In Deutschland werden die Menschen schon nervös wenn „nur“ Wasserwerfer aufgefahren werden und beschweren sich über den harten Polizeieinsatz. In Syrien würden sie so ein Vorgehen der Polizei wahrscheinlich als Erholung begrüßen. Wenn man das nächste Mal also so abwertend über die Demonstrationen in Syrien spricht, sollte man sich immer bewusst sein, dass man selber wahrscheinlich nicht den Mut hätte, sein eigenes Leben für seine Rechte aufs Spiel zu setzten. Vielmehr sollte man diesen Menschen für ihren Mut Respekt zollen, auch wenn sie sich bewaffnet haben. Der Kampf den sie Kämpfen, ist ein Kampf für Rechte, die wir für völlig selbstverständlich halten. Dies ist ein Kampf von mutigen und verzweifelten Menschen! 
Müssen wirklich tausende Menschen sterben, bevor die Welt reagiert?