Mittwoch, 18. Juli 2012

Das Grundgesetz und seine Ausnahmen für Religion


Den Trubel, den das Urteil des Kölner Landgerichtes über die Legalität von religiösen Beschneidungen verursacht hat, konnte wahrscheinlich niemand vorhersehen. Dabei haben die Richter damit ein sehr sensibles Thema angesprochen, bei dem die Emotionen leicht überkochen und die sachliche Ebene deshalb kurzerhand verlassen wird. Bevor man sich nun dieser emotional geladenen Debatte anschließt, sollte man sich einmal die Grundlage der richterlichen Entscheidung vor Augen führen. Die Richter argumentierten streng über das Grundgesetzt, dessen Beachtung für ein friedliches und produktives Zusammenleben unentbehrlich ist. Sie beriefen sich auf den Artikel zwei: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ . Dieser Artikel ist schlicht und ausnahmslos; er gilt für jeden, diskriminiert keinen Menschen aufgrund seines Glaubens oder seiner Überzeugungen…

Diese „Anti - Diskriminierung“ ist die Stelle, an der das Problem beginnt. „Diskriminieren“ wird im alltäglichen Sprachgebrauch meist mit negativer Konnotation  verwendet, bedeutet aber nicht mehr als „Unterscheiden“ oder „Abgrenzen“. Dieses Faktes sollte man sich bewusst sein, um den folgenden Satz nicht falsch zu verstehen. Religionen wollen und müssen diskriminiert werden! Eine Religion kann erst durch eine Abgrenzung zu andersgläubigen überhaupt zustande kommen. Für sie ist es also überlebenswichtig, dass sie Unterscheidungsmerkmale zu dem restlichen, andersgläubigen sozialen Umfeld aufweist. Im Judentum und Islam ist eines dieser vielen Unterscheidungsmerkmale die Beschneidung von jungen Knaben. Diese Beschneidung ist ein sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, eine uralte Tradition …  und ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Natürlich kann man nun argumentieren, dass die Beschneidung keinen negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Jungen hat. Das die Jungen ohne die Beschneidung vom sozialen Umfeld nicht akzeptiert werden. Dass es sich bei Beschneidung um keine „Verstümmelung“ handelt. Man kann dann anfangen, sich mit all diesen Argumenten auseinanderzusetzten und wird schlussendlich zu der Einsicht kommen müssen, dass man diesem Problem nur mit Einzelfalllösungen Herr werden kann. Wenn man aber so an dieses Problem herangeht, dann tut man etwas, was sich keine Person ohne sehr gute Gründe erlauben sollte: Man ignoriert das Grundgesetz!

Um diesen Einwand schon im Vornherein zu entkräften: Rechtspositivismus ist schwachsinnig, verantwortungslos und gefährlich. Den Grundsatz, dass jeder Mensch ein Recht auf seine körperliche Unversehrtheit hat, gutzuheißen, ist jedoch kein Rechtspositivismus, sondern rational! Der Artikel zwei des Grundgesetztes gilt, wie oben schon festgestellt, universal und kann deshalb nicht für einzelne Gruppen einfach aufgehoben werden,… oder etwa doch? Im Moment sieht es so aus, als ob die meisten Politiker nicht allzu viel vom Grundgesetz halten und der Meinung sind, das Ausnahmen eben doch die Regel bestimmten. Und in der Logik dieser Politiker dürfen diese Ausnahmen vom Grundgesetz, der Grundlage für ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben,  nicht nur für religiöse Gruppierungen zustanden kommen; nein, sie müssen es sogar, damit die freie Religionsausübung nicht gestört wird. Dass man mit dieser Form der Toleranz nicht nur über das Ziel hinausschießt, sondern auch einem enormen Missbrauch Tür und Tor öffnet, sollte an der folgenden Frage deutlich werden: „ Bis zu welchem Einfluss auf das Leben eines Menschen darf man eine Ausnahme der im Grundgesetz  festgelegten Rechte einfordern?“

Diese Frage ist im Prinzip nicht zu beantworten, ohne das Grundgesetz, und damit grundlegende Menschenrechte, grundlegend zu verraten! Vom jetzigen Fall ausgegangen, muss man argumentieren, dass alle Eingriffe, die einen Menschen nicht töten oder keine bleibenden Schäden hinterlassen, erlaubt sein müssten. Wenn man von diesem Grundgedanken ausgeht und seine Konsequenzen für die Lebensrealität prüft, wird man schnell einsehen, dass dies nicht funktionieren kann. Nach diesem Gedanken wäre es strenggläubigen Muslimen erlaubt ihre Frauen zu züchtigen, da sie die Frauen weder töten noch ihr weiteres Leben negativ beeinflussen, da Hämatome keine bleibenden Schäden hinterlassen. Anhänger von Religionen, in denen der Konsum von Drogen wie Cannabis zur Tradition gehört, könnten auch auf diesen Leitgedanken berufen. Es lässt sich auch darüber streiten, ob eine Diskriminierung von Frauen bleibende Schäden hinterlässt. Wenn die Frauen diese Diskriminierung von Anfang an gewöhnt sind, sollte dies eigentlich nicht der Fall sein und getötet werden Frauen davon auch nicht. Also könnte das Recht auf diese Diskriminierung auch eingeklagt werden, wenn man schon eine Ausnahme für die Bescheidungen einräumt. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Definition von „ keine bleibenden Schäden“. Ab wann gilt eine Verletzung als Schaden? Darf man aus religiösen Gründen als Bestrafung einen Finger abschneiden, oder ist dies schon ein bleibender Schaden? Darf man, wie es vor allem im asiatischen Bereich Tradition war, jungen Mädchen die Füße so bandagieren, dass sie zwar verkrüppeln, dafür aber klein bleiben? Darf man, wie im afrikanischen Raum üblich, die Hälse von jungen Mädchen mit einer Art Korsett aus Ringen, immer weiter Strecken? Das solche Bräuche nicht in unserem Raum vorkommen, ist für die Argumentation weitestgehend egal. Wenn die Beschneidung von Jungen über eine wie oben beschrieben oder ähnliche Argumentation erlaubt wird, kann sich die Bundesregierung und ihre Gleichstellungs- und Menschenrechtsbeauftragten nicht mehr über solche Bräuche beschweren. Sie müssten sie dann, im Rahmen der Religionsfreiheit, eigentlich sogar unterstützen und fördern. Das gleiche könnte, im Extremfall, je nach Alter der Partner, für die zwangsheirat gelten. Sie ist, je nach Gebiet, ein Religiöses oder quasi-Religiöses gut und enorm wichtig für den Fortbestand der Religion.

Die obigen Beispiele sind bewusst provokant und teilweise etwas überspitzt gewählt und dargestellt, aber anhand von ihnen sollte klar werden, was für Konsequenzen die Aufweichung des Grundgesetzes haben kann. Das Urteil des Kölner Landgerichtes ist deshalb weder rassistisch noch diskriminierend, es ist das genaue Gegenteil. Und an der Aufregung, die darum entsteht, sieht man, wie wenig Religion von Gleichbehandlung halten kann. Die Panik, die nun um diese Urteil gemacht wird, ist jedoch vollkommen fehl am Platz. Das Urteil ist eine wahrscheinlich einmalige Chance für Deutschland zu zeigen, wie sehr es zu seinen demokratischen und menschlichen Werten steht, Werte, die die Deutschen eigentlich aus den Erfahrungen der Vergangenheit hoch zu schätzen wissen müsste. Und die Religion könnte endlich zeigen, dass sie mehr ist als eine Ansammlung von  alten, antiquierter, konservativen und unbeweglicher Positionen. Sie könnte beweisen, dass sie für die Menschen da ist, und nicht die Menschen für die Religion. Sie könnte Wandlungsfähigkeit zeigen und damit wieder ein Stück näher an die Menschen unserer Tage herantreten.  Aber dazu wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht kommen. Religionen sind starr und mächtig, und so werden die Forderungen der jüdischen, muslimischen und christlichen Religionsvertreter anstandslos erfüllt, ohne dabei zu bedenken, dass dadurch diese Religionen von Gesetzeswegen bevorzugt werden, und andere Religionen damit per Gesetz benachteiligt werden, da ihnen keine Sonderbedingungen zugestanden wurden, die sie jedoch unter Umständen für ihre Religionsausübung bräuchten. Falls ein Gesetz in Gang gebracht werden sollte, dass für die Beschneidung eine Ausnahme des im Grundgesetzes verbrieften Rechtes vorsieht, dann ermutige ich hiermit alle Vertreter anderer Religionen, die auch bestimmte Ausnahmen von Grundgesetz benötigen, diese Einzuklagen.   Nicht, weil ich ein Freund von Religionen bin, sondern, weil der Bundesregierung damit vor Augen geführt wird, warum das Grundgesetz, zumindest in den ersten paar Artikeln, ausnahmslos sein muss!

Auch wenn diese für jeden Juden wie Hohn klingen muss, so gibt es doch für die jüdischen Gemeinden eine sehr einfache Lösung. Wenn man mit der Beschneidung so lange warten würde, bis das Kind selber über seine Religion entscheiden darf, in Deutschland dürfte dies ab dem 12. oder 14. Lebensjahr möglich sein, würde eigentlich nichts mehr dagegen sprechen. Solange diese Handlung mit Einwilligung des Kindes geschieht, gibt es keine logischen Gründe mehr, die eine Beschneidung verbieten würden. Aber da die Thora in diesem Fall sehr eindeutig ist, wird diese einfache Lösung wahrscheinlich auch (leider) niemals umgesetzt werden. 

Dürfen Religionen Narrenfreiheiten in einem demokratischen Land genießen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen