Mittwoch, 9. Januar 2013

Die diktatorischen Demokraten



Es sollte eine besondere Kulturreise werden, doch dann geriet euer Flugzeug in einen schweren Sturm. Den Flugzeugabsturz habt ihr knapp überlebt, aber es gibt verletzte unter euch. Ihr seid auf einer Insel gelandet, die alles bietet, was man zum überleben benötigt. Instinktiv wisst ihr, dass ihr nicht mehr von dieser Insel fliehen könnt.
Arbeitsauftrag: Erarbeite ein Gesellschaftsvertrag für eure Gruppe, der ein vernünftige Verfassung darstellt und krisenfest ist.

Die meisten Schüler, die Sozialwissenschaften hatten, werden wenigstens einmal eine Aufgabe in dieser Form bekommen haben. Meist werden die Gesellschaftsverträge dann in Gruppenarbeit erarbeitet und man hat unter Umständen sogar noch ein paar Hilfe, die auf die wichtigsten Probleme einer jeden Gesellschaft hinweisen. Man fängt also an einen Gesellschaftvertrag zu erstellen und stellt meist fest, dass es doch ein wenig schwieriger ist als anfangs erwartet. Doch dank der guten Grundausbildung, die man als Schüler in Sachen Sozialwissenschaften erhält, wird doch sicherlich ein annehmbarer Vertrag am Ende dabei herauskommen. Oder etwa nicht?

Im SoWi – Unterricht sind die meisten Schüler normalerweise davon überzeugt, dass die Demokratie das beste Herrschaftssystem ist, dass man sich momentan denken kann. Wenn man über die Herrschaftssysteme in anderen Staaten diskutiert werden die meisten ziemlich schnell darauf aufmerksam machen, wenn dort die Gewaltenteilung oder andere demokratische Strukturen fehlen. Auch das eigene System wird gerne kritisch beleuchtet und das Fehlen einer vollständigen Gewaltenteilung in Deutschland ist ein Thema, dass auch gerne mal zu heftiger Kritik an unserem System führt. Aus diesen Erfahrungen heraus denkt man also, dass die Schüler in dem Kurs echte Demokraten sind und die Gesellschaftsverträge dementsprechend auch demokratischer Natur sein werden. Wenn die Verträge dann aber vorgestellt werden, wird man schnell feststellen, dass man sich getäuscht hat.
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nteressanterweise sind die Mehrzahl der Verträge echte Diktaturen, ohne Gewaltenteilung, mit nur sehr eingeschränktem Mitspracherecht des Volkes und einem nahezu unangreifbaren Diktator als Führer. Als Argument für diese Art der Regierung wird meist genannt, dass doch einer führen muss, es würde schließlich auch in unserem Staat eine Person führen. Bei diesen Antworten kann man nur inständig hoffen, dass lediglich ein vorrübergehender Defekt im Gehirn des Gegenübers für diesen Satz zuständig ist. Es ist natürlich noch nicht allzu lange her, dass bei uns das „Führerprinzip“ galt und es haben vielleicht noch nicht alle mitbekommen, dass dieses Prinzip mittlerweile durch eine Demokratie ersetzt wurde. Dass die Entscheidungen der Bundesregierung nicht alleine von Frau Merkel kommen, sondern dass sie im Rahmen eines ziemlich langatmigen Prozesses entstanden sind, sollte eigentlich allgemein bekannt sein. Wozu gibt es sonst die unzähligen Landeskammern, die Ausschüsse, Kommissionen und Expertengremien? Eigentlich sollte man spätestens in der Oberstufe ungefähr darüber Bescheid wissen, wie politische Entscheidungen gefällt werden. Wenn man die Personen, die ihren Gesellschaftsvertrag diktatorisch gestaltet haben, besser kennt, fällt einem jedoch sehr häufig auf, dass sie sehr wohl wissen, wie man auf demokratische Art und Weise zu einer Lösung für verschiedenen Probleme kommt. Sie wählen meist sehr bewusst einen anderen Weg, da ihnen die schwierige Entscheidungsfindungen innerhalb einer Demokratie häufig einfach viel zu lange dauern. Wer den Film die Welle gesehen hat, erinnert sich vielleicht noch an die Frage, die Reinhard Wenger, ein Gymnasiallehrer und die Hauptperson des Films, zu Beginn des Filmes seinen Schülern stellte: „Ihr seid also der Meinung, dass die Diktatur in Deutschland nicht mehr möglich wäre?“ Die Schüler meinten alle, dass so etwas nicht mehr möglich sei, da sie zu aufgeklärt wären. Das darauffolgende Experiment lehrte sie in nur fünf Tage etwas anderes.

Der Film mag in einigen Bereichen etwas überzeichnet und in anderen ein wenig unlogisch sein, aber seine Kernaussage ist vollkommen richtig. Auch in unserem System könnte jederzeit eine Diktatur entstehen, es bräuchte nur die richtigen Leute zur richtigen Zeit an den richtigen Stellen. Die latente Bereitschaft, in so einem System mitzuwirken, bringt ein großer Teil der heutigen Jugend mit. Würde eine redegewandte Person, die auch noch gut aussieht und über ein wenig Charisma verfügt heute die Bühne der Politik betreten und diktatorische Ideen vermitteln, würde sie nach nicht allzu langer Zeit wahrscheinlich am Ziel ihrer Pläne sein. Diktaturen sind schließlich sehr bequem, solange man selber Nutznießer ist. Sie arbeiten häufig effektiver und schneller als Demokratien und sind oft auch in der Lage, einen gewissen nationalen Stolz zu wecken. Sie bieten also eigentlich alles, was eine attraktive Regierungsform benötigt.

Ich persönlich hoffe einfach, dass nie einer der Personen, die in dem Planspiel eine Diktatur entworfen hat, jemals in die Politik geht und dort Einfluss bekommt. Zwar gibt es viele Bereiche, in denen eine Demokratie einer Diktatur unterlegen ist, aber es gibt einen Bereich, in dem die Demokratie allein aufgrund ihrer Struktur überlegen ist: Das freie Selbstbestimmungsrecht der Bürger! Und dieses Recht ist so wertvoll, dass man es verteidigen sollte und dass man dafür auch die langen Diskussionen in einer Demokratie ertragen kann. Denn ein Leben in Freiheit möchte wahrscheinlich keiner missen. Vielleicht sollte man genau dies nochmal all den Personen ins Gedächtnis rufen, die eine Diktatur bevorzugt haben. Hoffentlich werden sie dann aufwachen und erkennen, dass manchmal der einfachste Weg nicht der beste ist! 

Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - 
abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind 
(Winston Churchill)

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