Erzählt man etwas unglaubliches, unwahrscheinliches oder komisches, bekommt
man häufig die Frage: „ Ist das wahr?“ zu hören. Vor Gericht schwört man, dass
man nur die Wahrheit erzählt. In der Mathematik werden „wahre“ von „falschen/unwahren“
Aussagen unterschieden. Die Wissenschaft probiert grundsätzlich „die Wahrheit“
herauszufinden und alles „unwahre“ zu vermeiden. Ehrlichkeit ist eine
Eigenschaft die von vielen Menschen sehr hoch geschätzt wird. „Die Wahrheit“
ist augenscheinlich etwas, dass in unserer Gesellschaft sehr wichtig ist. Und
etwas, über das sich sehr gut streiten lässt….
Wir leben unser gesamtes Leben eigentlich in der Annahme, dass die
Realität, die wir unmittelbar wahrnehmen, wahr ist. Wir nehmen an, dass die
Ergebnisse, die die Instrumente der Wissenschaftler liefern, wahr sind. Und wir
glauben immer noch am ehesten das, was wir mit unseren eigenen Augen gesehen
haben. Im „normalen“ Alltagsleben setzten wir „wahr“ also mit „Realität“ gleich
und werden auch relativ schnell ungehalten, wenn uns jemand etwas erzählt, was
wir nicht unserem Bild der Realität in Einklang gebracht werden kann. Dabei
haben wir eigentlich jeden Grund dafür, nicht nur an unserer Wahrnehmung,
sondern sogar an unserer eigenen Existenz zu zweifeln!
Wir Menschen sind, aus Ermangelung anderer gut ausgeprägter Sinne,
Augentiere. Zwar können wir auch über riechen, hören, fühlen und schmecken eine
Menge wahrnehmen, aber im Normalfall verlassen wir uns auf unsere Augen. Wenn
wir beispielsweise ein Bild von Picasso in einem Museum betrachten, dann
zweifeln wir keine Sekunde daran, dass wir wirklich das sehen, was wir sehen.
Dabei hat das Bild, das auf unserer Netzhaut abgebildet wird, nicht wirklich
viel mit dem zu tun, was wir nachher zu sehen glauben. Zu erst wird auf unserer
Netzhaut alles auf dem Kopf abgebildet und unser Gehirn rechnet das erst später
um. Wir sehen also eigentlich alles auf dem Kopf und haben es nur der
Rechengeschwindigkeit unseres Gehirns zu verdanken, dass wir die Dinge so
sehen, wie sie uns richtig herum erscheinen. Dann sehen wir auch nicht wirklich
jeden einzelnen Punkt des Bildes, da auf der Netzhaut der sogenannte „blinde
Fleck“ vorhanden ist. An dieser Stelle laufen die Nervenfasern des Sehnervs
durch die Netzhaut in Richtung Gehirn. Dieses ergänzt aus den Umgebungsinformationen
einfach die fehlenden Bildpunkte. Das, was wir nachher als Bild wahrnehmen, ist
in Wirklichkeit eine mehrfach überarbeitete und retuschierte Fassung dessen,
was auf unserer Netzhaut eigentlich an Photonen aufgetroffen ist. Wir Menschen
werden also von unserem Gehirn eigentlich getäuscht und halten dabei trotzdem
dass, was wir sehen, für wahr.
Das Beispiel des Auges zeigt sehr schön, wie sehr man in der Vorstellung,
dass die Wahrheit doch wenigstens sichtbar ist, irren kann. Allerdings gibt es
noch viel schönere Wege um zu zeigen, dass man prinzipiell nichts als „wahr“
bezeichnen kann. Die einfachste Methode dies zu tun ist, einfach alles
anzuzweifeln. Wer dieses Spiel man mit einem Freund oder Familienmitglied
getrieben hat weiß, dass man schon nach kurzer Zeit nicht mehr in der Lage ist
zu beweisen, dass man selber überhaupt existiert. Die K.o-Frage lautet meist
wie folgt: „ Kannst du mir beweisen, dass Gegenstand X wirklich existiert und
nicht nur ein Produkt einer gemeinsamen Fantasie ist?“ Natürlich kann diese
Frage in hunderten von verschiedenen Versionen gestellt werden, aber im
Endeffekt führt sie immer zu dem Punkt, an dem der andere aufgeben muss. Man
kann auf noch sie viele wissenschaftliche Experimente, Studien oder Erfahrungen
verweisen, es ist einem nicht möglich, zweifelsfrei zu beweisen, dass etwas
wirklich existiert und nicht nur eine gemeinsame Traumvorstellung ist. Man kann
sogar nicht einmal seine eigene Existenz zweifelsfrei belegen, da man immer die
Möglichkeit, dass man nur im Traum eines anderen Wesens oder vielleicht als
Bewusstseinssplitter eines anderen Menschen existiert, in Betracht ziehen muss.
Meistens wird dem Befragten über kurz oder lang die Mathematik als letzte
Bastion der Wahrheit einfallen. Die Mathematik ist schließlich aus sich selbst
heraus wahr…
Aber auch diese Bastion wird von dem Zweifler in Windeseile genommen. Denn
auch die Mathematik basiert auf Prämissen, die man nicht hinterfragen darf,
ohne das gesamte System zum Einsturz zu bringen. Die Unvollständigkeitssätze
von Gödel besagen nämlich, dass es in hinreichend widerspruchsfreien Systemen
immer unbeweisbare Aussagen gibt und das diese Systeme ihre eigene
Widerspruchsfreiheit nicht selber beweisen können. Dies bedeutet, dass auch die
Mathematik lediglich ein menschengemachtes Gebilde ist, dass keinen Anspruch auf
„Wahrheit“ erheben kann, da es eben nicht zwangsläufig „wahr“, sondern nur „logisch“
ist. Und da die Mathematik Grundlage für eigentlich jede (Natur)wissenschaft
ist, sind damit auch alle (Natur)wissenschaften nicht mehr in der Lage etwas
über die „Wahrheit“ von etwas auszusagen. Wenn wir aber nichts beweisen können
und zu nichts sagen können, dass es „wahr“ ist, können wir dann überhaupt
vernünftig forschen? Können wir dann überhaupt vernünftig Wissenschaft betreiben?
Können wir dann überhaupt vernünftig leben?
Ja, wir können! Und das aus gutem Grund. Es kann uns eigentlich vollkommen
egal sein, was wahr ist, solange wir eine beobachtbare Realität haben, die sich
nach bestimmten, beobachtbaren Regeln verhält. Ob diese Regeln nun „wahr“ oder
Produkt irgend welcher anderen Kräfte sind, muss uns nicht großartig
interessieren. Das gilt auch für sämtliche Ergebnisse der Wissenschaft. Sie
mögen zwar nicht absolut wahr sein, aber in unsere Bezugssystem sind sie
relativ wahr und damit für uns auch bindend. Es ist für uns absolut unbedeutend,
ob die „wirkliche“ Wahrheit sich mit unseren Beobachtungen deckt, den für uns
ist all das relativ „wahr“, was wir beobachten können. Dies bedeutet natürlich
auch, dass die gesamte Diskussion um die „absolute Wahrheit“ eigentlich eine
unnötige, philosophische Diskussion ist. Aber ich halte es für wichtig, dass
man sich einmal klar darüber wird, das wir über kein absolutes Wissen, und
damit auch über keine absoluten Regeln verfügen. Und aus diesem Grund sollten
wir allem, dass Absolutheitsansprüche erhebt, erst einmal skeptisch gegenüber
stehen. Es ist gibt nichts alternativloses und es gibt nichts absolutes. Es
kommt immer auf das Bezugssystem an!
Wahr ist das, was wir als wahr akzeptieren!