Mittwoch, 28. November 2012

Wahrheit = Realität ?



Erzählt man etwas unglaubliches, unwahrscheinliches oder komisches, bekommt man häufig die Frage: „ Ist das wahr?“ zu hören. Vor Gericht schwört man, dass man nur die Wahrheit erzählt. In der Mathematik werden „wahre“ von „falschen/unwahren“ Aussagen unterschieden. Die Wissenschaft probiert grundsätzlich „die Wahrheit“ herauszufinden und alles „unwahre“ zu vermeiden. Ehrlichkeit ist eine Eigenschaft die von vielen Menschen sehr hoch geschätzt wird. „Die Wahrheit“ ist augenscheinlich etwas, dass in unserer Gesellschaft sehr wichtig ist. Und etwas, über das sich sehr gut streiten lässt….

Wir leben unser gesamtes Leben eigentlich in der Annahme, dass die Realität, die wir unmittelbar wahrnehmen, wahr ist. Wir nehmen an, dass die Ergebnisse, die die Instrumente der Wissenschaftler liefern, wahr sind. Und wir glauben immer noch am ehesten das, was wir mit unseren eigenen Augen gesehen haben. Im „normalen“ Alltagsleben setzten wir „wahr“ also mit „Realität“ gleich und werden auch relativ schnell ungehalten, wenn uns jemand etwas erzählt, was wir nicht unserem Bild der Realität in Einklang gebracht werden kann. Dabei haben wir eigentlich jeden Grund dafür, nicht nur an unserer Wahrnehmung, sondern sogar an unserer eigenen Existenz zu zweifeln!

Wir Menschen sind, aus Ermangelung anderer gut ausgeprägter Sinne, Augentiere. Zwar können wir auch über riechen, hören, fühlen und schmecken eine Menge wahrnehmen, aber im Normalfall verlassen wir uns auf unsere Augen. Wenn wir beispielsweise ein Bild von Picasso in einem Museum betrachten, dann zweifeln wir keine Sekunde daran, dass wir wirklich das sehen, was wir sehen. Dabei hat das Bild, das auf unserer Netzhaut abgebildet wird, nicht wirklich viel mit dem zu tun, was wir nachher zu sehen glauben. Zu erst wird auf unserer Netzhaut alles auf dem Kopf abgebildet und unser Gehirn rechnet das erst später um. Wir sehen also eigentlich alles auf dem Kopf und haben es nur der Rechengeschwindigkeit unseres Gehirns zu verdanken, dass wir die Dinge so sehen, wie sie uns richtig herum erscheinen. Dann sehen wir auch nicht wirklich jeden einzelnen Punkt des Bildes, da auf der Netzhaut der sogenannte „blinde Fleck“ vorhanden ist. An dieser Stelle laufen die Nervenfasern des Sehnervs durch die Netzhaut in Richtung Gehirn. Dieses ergänzt aus den Umgebungsinformationen einfach die fehlenden Bildpunkte. Das, was wir nachher als Bild wahrnehmen, ist in Wirklichkeit eine mehrfach überarbeitete und retuschierte Fassung dessen, was auf unserer Netzhaut eigentlich an Photonen aufgetroffen ist. Wir Menschen werden also von unserem Gehirn eigentlich getäuscht und halten dabei trotzdem dass, was wir sehen, für wahr.

Das Beispiel des Auges zeigt sehr schön, wie sehr man in der Vorstellung, dass die Wahrheit doch wenigstens sichtbar ist, irren kann. Allerdings gibt es noch viel schönere Wege um zu zeigen, dass man prinzipiell nichts als „wahr“ bezeichnen kann. Die einfachste Methode dies zu tun ist, einfach alles anzuzweifeln. Wer dieses Spiel man mit einem Freund oder Familienmitglied getrieben hat weiß, dass man schon nach kurzer Zeit nicht mehr in der Lage ist zu beweisen, dass man selber überhaupt existiert. Die K.o-Frage lautet meist wie folgt: „ Kannst du mir beweisen, dass Gegenstand X wirklich existiert und nicht nur ein Produkt einer gemeinsamen Fantasie ist?“ Natürlich kann diese Frage in hunderten von verschiedenen Versionen gestellt werden, aber im Endeffekt führt sie immer zu dem Punkt, an dem der andere aufgeben muss. Man kann auf noch sie viele wissenschaftliche Experimente, Studien oder Erfahrungen verweisen, es ist einem nicht möglich, zweifelsfrei zu beweisen, dass etwas wirklich existiert und nicht nur eine gemeinsame Traumvorstellung ist. Man kann sogar nicht einmal seine eigene Existenz zweifelsfrei belegen, da man immer die Möglichkeit, dass man nur im Traum eines anderen Wesens oder vielleicht als Bewusstseinssplitter eines anderen Menschen existiert, in Betracht ziehen muss. Meistens wird dem Befragten über kurz oder lang die Mathematik als letzte Bastion der Wahrheit einfallen. Die Mathematik ist schließlich aus sich selbst heraus wahr…

Aber auch diese Bastion wird von dem Zweifler in Windeseile genommen. Denn auch die Mathematik basiert auf Prämissen, die man nicht hinterfragen darf, ohne das gesamte System zum Einsturz zu bringen. Die Unvollständigkeitssätze von Gödel besagen nämlich, dass es in hinreichend widerspruchsfreien Systemen immer unbeweisbare Aussagen gibt und das diese Systeme ihre eigene Widerspruchsfreiheit nicht selber beweisen können. Dies bedeutet, dass auch die Mathematik lediglich ein menschengemachtes Gebilde ist, dass keinen Anspruch auf „Wahrheit“ erheben kann, da es eben nicht zwangsläufig „wahr“, sondern nur „logisch“ ist. Und da die Mathematik Grundlage für eigentlich jede (Natur)wissenschaft ist, sind damit auch alle (Natur)wissenschaften nicht mehr in der Lage etwas über die „Wahrheit“ von etwas auszusagen. Wenn wir aber nichts beweisen können und zu nichts sagen können, dass es „wahr“ ist, können wir dann überhaupt vernünftig forschen? Können wir dann überhaupt vernünftig Wissenschaft betreiben? Können wir dann überhaupt vernünftig leben?

Ja, wir können! Und das aus gutem Grund. Es kann uns eigentlich vollkommen egal sein, was wahr ist, solange wir eine beobachtbare Realität haben, die sich nach bestimmten, beobachtbaren Regeln verhält. Ob diese Regeln nun „wahr“ oder Produkt irgend welcher anderen Kräfte sind, muss uns nicht großartig interessieren. Das gilt auch für sämtliche Ergebnisse der Wissenschaft. Sie mögen zwar nicht absolut wahr sein, aber in unsere Bezugssystem sind sie relativ wahr und damit für uns auch bindend. Es ist für uns absolut unbedeutend, ob die „wirkliche“ Wahrheit sich mit unseren Beobachtungen deckt, den für uns ist all das relativ „wahr“, was wir beobachten können. Dies bedeutet natürlich auch, dass die gesamte Diskussion um die „absolute Wahrheit“ eigentlich eine unnötige, philosophische Diskussion ist. Aber ich halte es für wichtig, dass man sich einmal klar darüber wird, das wir über kein absolutes Wissen, und damit auch über keine absoluten Regeln verfügen. Und aus diesem Grund sollten wir allem, dass Absolutheitsansprüche erhebt, erst einmal skeptisch gegenüber stehen. Es ist gibt nichts alternativloses und es gibt nichts absolutes. Es kommt immer auf das Bezugssystem an!  

Wahr ist das, was wir als wahr akzeptieren!


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