Montag, 12. März 2012

KONY 2012


Seit dem 5. März geistern Videos mit dem Titel „Kony 2012“ durch diverse Plattformen wie Youtube, Vimeo oder Facebook. Ich bin mehrmals über diese Videos gestolpert und wurde auch darauf aufmerksam gemacht und habe deshalb beschlossen, mir einmal die knapp 30 Minuten dieses Videos anzutun. Ich hatte eine Menge erwartet, aber das, was dieses Video geboten hat, hat mich dann doch überrascht. Die Mengen an echten Fakten, die während der gesamten 30 Minuten angeboten wurde, lässt sich an einer Hand abzählen. Anstatt über Zahlen, Statistiken, Augenzeugenberichte oder militärische Aufklärungsberichte dem Zuschauer einen konkreten Überblick über die Sachlage  zu geben, wurde ich durchgehend mit Bildern, die einen durchaus zu Tränen rühren konnten, abgespeist.
 Der Anfang der Geschichte war wirklich nett gemacht und auch der erste Kontakt mit dem Protagonisten Jacob Acaye wurde sehr gut in Szene gesetzt. Wenn man nach ca. sieben Minuten Film mit einem elf oder zwölf Jahre alten Jungen, der lieber sterben würde als sein Leben weiterzuführen konfrontiert wird, ist man wahrscheinlich erst einmal tief getroffen. Spätestens von diesem Zeitpunkt an wird man die Geschichte aus einer sehr emotionalen Perspektive betrachten. Das Leid der Kinder wird später im Film noch mehrmals thematisiert, immer in Abwechslung mit den Erfolgreichen Aktionen der Gruppe, die gegen Kony kämpft. Nachdem ich den Film vollständig geguckt hatte, wusste ich jedoch nicht recht, ob ich lachen oder weinen sollte.
Weinen, nicht weil die Geschichte so traurig war, sondern weil die Aktion so traurig ist. Ihre Ziele sind mir mehr als unverständlich und scheinen teilweise sehr schlecht durchdacht. Aber dazu später noch mehr.
Lachen, weil sich dieser Film der wahrscheinlich beste Werbefilm ist, der seit Menschheitsgedenken gedreht wurde. Ich würde darauf wetten, dass dieser Film jeden Wettbewerb gewinnen würde, wenn die Fähigkeit, Menschen zu Aktionen anzuregen, bewertet würde. So viele Klischees, Motive und rhetorische Mittel der unbewussten Manipulation sind mir noch nie in so kurzer Zeit untergekommen. Sogar Göbbels hätte nur einen schlechteren Film zustande gebracht. Technisch bin ich zumindest vollständig von dem Film überzeugt und würde dem Regisseur jederzeit die Produktion von Werbefilmen zutrauen. Aber die hervorragende technische Seite des Film und meine Hochachtung vor dem Regisseur können die qualitativen Mängel des Films nicht überdecken.
 Das fast vollständige Fehlen von Fakten ist etwas, dass in einem Film, der zu Aktionen für oder gegen etwas anregen soll, eigentlich schon unverzeihbar ist, da man nur anhand der Fakten wenigstens teilweise Abschätzen kann, ob man die Aktion unterstützen sollte oder nicht. Natürlich machen emotionale Bilder immer deutlich mehr her und viele Organisationen rufen zu Spenden für Afrika einfach mit einem Bild von einem hungernden afrikanischen Kind auf. Es müssen aber immer wenigstens einige Hintergrundinformationen gegeben werden, die etwas über die reale Lage in der Region aussagen! Wenn dies nicht passiert, ist es unter Umständen nicht besonders klug dort sein Geld zu spenden. Der Film berichtet zwar von den Gräueltaten, die Konys LRA begangen hat und von der, in westlichen Medien kaum beachtete Kinderflucht, die jeden Abend in Richtung Städte stattfand. Aber der Film verschweigt, dass der Bürgerkrieg in Uganda seit ungefähr zehn Jahren beendet ist und sich die LRA aus Uganda zurückgezogen hat. Der Film verschweigt auch, dass auch die ugandische Armee und andere lokale Milizen, die mit dieser Armee zusammenarbeiten, über Kindersoldaten verfügt hat und auch sehr grausam vorgegangen ist. Diese Fakten würden nicht in das einfache schwarz-weiß, gut-böse Bild passen, dass der Film so schön und effektiv vermitteln möchte. Abgesehen von diesen nicht genannten Fakten, stört mich an dem Film noch etwas anderes ganz gewaltig. Etwas, das davon zeugt, dass sich der Regisseur Jason Russel nicht mit der Realität in Uganda auseinandergesetzt hat. Etwas, das letztendlich dazu führt, dass seine Aktion sicherlich gut gemeint war, aber nicht sinnvoll ist. Das Ziel der Aktion „Kony 2012“ ist, dass der Führer der LRA Joseph Kony in diesem Jahr gefangen wird. Um dies zu erreichen wird dazu aufgerufen dafür zu kämpfen, dass die amerikanischen Soldaten nicht abgezogen werden und gleichzeitig die Armee von Ruanda gegen Kony in den Krieg zieht. An diesem Punkt finde ich die gesamte Argumentation völlig realitätsfern. Das größte Problem, dass Uganda, Somalia und viele andere afrikanischen Länder haben ist Krieg! Und ausgerechnet ein Land, das gerade mal halbwegs stabil ist, soll wieder in den Krieg ziehen? Selbst wenn nur ein paar hundert man Kony suchen würde, würde dies bedeuteten, dass wieder eine Armee durch das Land marschiert, die unter Umständen nicht wirklich freundlich fragt, ob sie eine Unterkunft für die Nacht bekommen können. Außerdem stellt sich mir die große Frage, was den in Uganda auf einmal verbessert würde, wenn es Kony nicht mehr gibt? Vor dem Hintergedanken, dass Kony nicht mehr in Uganda aktiv ist, fällt mir da recht wenig ein. Gleichzeigt ist aber allgemein bekannt, das Uganda weitreichende Probleme hat, die man bekämpfen könnte. Da wäre beispielsweise ein Präsident, der seit 26 Jahren im Amt ist und öffentlich gegen Schwule hetzt. Da wären die enormen Staatsschulden, die jedes Jahr größer werden und dem Land jegliche Chance auf einen Anschluss an die Industrieländer verwehren. Außerdem gibt es da noch die völlig marode und kaum vorhandene Infrastruktur, das Fehlen jeglicher Kranken-und Rentenversicherung und das Problem der unheilbaren Krankheiten, wie die „Nodding Disease“. Uganda hat also eine ganze Menge an Problemen und auf genau diese Probleme sollte man sich fokussieren, wenn gerade mal Frieden herrscht.
Das Frühwarnsystem, das die Aktion „Invisible children“ aufgebaut hat, ist eine sinnvolle Aktion gewesen, da es den Menschen frühzeitigt ermöglicht, sich in relative Sicherheit zu bringen. Stationiert man Soldaten in der Nähe dieses Frühwarnsystems, könnte jeder Angriff der LRA sofort gekontert werden, ohne dass man Zivilisten und Soldaten durch eine lange Suche nach Kony unnötig gefährden würde. Auch der Bau der Schulen ist eine lobenswerte Aktion gewesen. Aber wenn von den Spendeneinnahmen nur ungefähr ein Drittel in afrikanische Projekte geht, dann Arbeitet die Organisation einfach viel zu ineffizient. Solche Projekte sollten dann lieber Organisationen überlassen werden, die ein deutlich größeren Teil der Spenden in Projekte umsetzten. Kurz gesagt, ist der Film zwar ein wahrscheinlich idealer Propagandafilm, aber das Projekt, das mit dem Film beworben wird, hängt dem Film qualitativ weit hinterher. Afrika benötig alles andere als Krieg und das hat die Aktion „Invisible children“ anscheinend irgendwie übersehen. Und wenn sogar eine große Anzahl von ugandischen Bloggern und Journalisten sich gegen dieses Projekt aussprechen, weil sie meinen, dass ihr Land mittlerweile deutlich ernsthaftere Probleme hat, dann sollte man sich überlegen, ob sie nicht vielleicht recht haben. Es gibt sicherlich kein Patentrezept für Afrika, aber Krieg ist immer die falsche Wahl. Vor allem, wenn der Gegner schon seit längerer Zeit überhaupt nicht mehr in Uganda operiert! Schützt die Kinder, Frauen, Männer und Familien, aber tut dies nur in der Verteidigung und durch die Verbesserung der Lebensumstände! Die Ziele von „Kony 2012“ sind dafür viel zu aggressiv.

Lieber ungemütliche, wahre Fakten als emotionale, halbwahre Propaganda!

2 Kommentare:

  1. Ein Film, eine scheinbar gemeinnützige Aktion, die plötzlich in Massen sogar von Beautybloggern verbreitet wird, die pessimistisch gesehen für gewöhnlich schon mit ihrer Rechtschreibung zu kämpfen haben, machte mich skeptisch. Ist es sinnvoll, mir das anzusehen? Eine Aktion, die mich persönlich nur auf diesem Weg erreicht? Bisher habe ich den Film daher noch nicht gesehen, über die Aktion aber in der Zeitung gelesen, wo die Sicht auf die Problematik deiner sehr ähnlich war.

    Die Werbung ist sehr effizient, die Verbreitung dank williger Blogger, Twitterer, Youtuber, Facebook Nutzer und sonstige Wege ist sogar kostenlos. Was wünscht man sich mehr?
    Richtig, dass die beworbene Aktion auch sinnvoll ist. Krieg sollte nie die angestrebte Lösung sein und verschlechtert die Situation meiner Meinung nach im besten Fall nur vorläufig immer.
    Ein Appell ohne Hintergrundinformationen - das klingt völlig lächerlich und haltlos. Das macht es für mich unvorstellbar, dass so viele Personen den Film weitergeben, da ich immerhin annahm, dass sie ihn auch angesehen haben, bevor sie sich dazu entschieden, ihn zu verbreiten. Würde der Film mich aufgrund des Beweismangels aber nicht überzeugen, täte ich genau das nicht.


    Vielen Dank für den tollen Artikel, der die Werbewelle endlich auch einmal kritisch betrachtet. Ob ich mir den Film noch ansehe ist vorerst offen, doch mitreden können möchte man ja doch. Vorerst stellt sich mir die Frage aus allgemeinem Zeitmangel eh nicht. Vorher wartet noch einige Lektüre auf mich.

    Gruß,

    Apfelkern

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